Ukrainer kehren nach Panzer-Ausbildung zurück, Awdijwka wird evakuiert
Geopolitik-Experte Maximilian Terhalle warnte den Westen davor, aus Angst vor einem Atomschlag die Unterstützung für die Ukraine zu kürzen. Indes kehren ukrainische Soldaten nach einer Panzerausbildung in Großbritannien zurück.
Moskau/Minsk – Wenige Tage nach seiner Visite von Armeestellungen bei Bachmut hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag einen weiteren Frontbesuch absolviert. "Region Saporischschja, Positionen an der Front", teilte Selenskyj auf seiner Facebook-Seite mit. "Ich bin jedem einzelnen unserer Krieger dankbar, die die Ukraine verteidigen, unsere Souveränität, unsere Städte, und unsere Kinder. Wir werden bestimmt siegen."
Wie schon bei seinem Frontbesuch am vergangenen Mittwoch überreichte Selenskyj auch diesmal staatliche Auszeichnungen an verdiente Soldaten. Der Präsident zeigte sich "geehrt", an der Seite der Armeeangehörigen sein zu dürfen, meldete die Nachrichtenagentur Ukrinform. Die politische und militärische Führung der Ukraine ist in jüngster Zeit wegen der äußerst verlustreichen Kämpfe in Bachmut unter Druck geraten. Vor diesem Hintergrund kündigte die Armeeführung eine baldige Offensive bei Bachmut an.
Trotz Einkreisung von drei Seiten: Bachmut soll gehalten werden
Der Chef der Landstreitkräfte, Oleksandr Syrskyj bekräftigte indes den unbedingten Willen der Armee, die von drei Seiten umzingelte Stadt zu halten. Die Verteidigung Bachmuts sei eine "militärische Notwendigkeit", sagte Syrskyj nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform am Montag. Zuvor hatte die Militärverwaltung zur Evakuierung der südlich gelegenen Stadt Awdijiwka aufgerufen.
Die Schlacht zur Verteidigung Bachmuts sei derzeit in der "intensivsten Phase", sagte Syrskyj nach einem Besuch an der Frontlinie. Die Lage sei "herausfordernd". Obwohl der Feind bedeutende Verluste an Personal, Waffen und Ausrüstung erleide, führe er weiterhin Angriffe durch. "Unsere Verteidiger halten die Angriffe heldenhaft unter äußerst schwierigen Bedingungen zurück und geben dem Feind keine Möglichkeit, seine Vorhaben umzusetzen", sagte der Spitzenmilitär.
Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete indes von einem russischen Angriff auf die Stadt Slowjansk mit mehreren zivilen Opfern. "Die Ukraine wird Misshandlungen unserer Leute, diese Toten und Verletzten nicht verzeihen", schrieb der 45-Jährige am Montag in sozialen Netzwerken. Alle "russischen Terroristen" würden zur Verantwortung gezogen. Dazu veröffentlichte der Staatschef ein Video mit brennenden Autos und Trümmern aus der Großstadt.
Awdijiwka soll evakuiert werden
Der Chef der ukrainischen Militärverwaltung in Awdijiwka ruft die Bewohner der Stadt zur Evakuierung auf. "Ihr müsst gehen, ihr müsst eure Sachen packen, vor allem mit euren Kindern", schreibt der Leiter der Militärverwaltung der Stadt, Witali Barabasch, auf Telegram. "Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Awdijiwka gleicht immer mehr einem Ort aus postapokalyptischen Filmen."
Die Evakuierung der noch in der Stadt verbliebenen Mitarbeiter von Versorgungsunternehmen habe begonnen und der Mobilfunkempfang werde bald abgeschaltet, "weil es in der Stadt Spitzel der russischen Besatzer gibt." Am Sonntag beschoss Russland laut ukrainischen Angaben zwei Hochhäuser in Awdijiwka. Offiziellen Angaben zufolge leben noch etwa 2.000 Zivilisten in Awdijiwka in der Region Donezk, etwa 90 Kilometer südwestlich des umkämpften Bachmuts. Die Stadt zählte vor dem Krieg mehr als 30.000 Einwohner. Russland bestreitet, in dem seit 13 Monaten andauernden Krieg gegen sein Nachbarland Zivilisten ins Visier genommen zu haben.
Soldaten beendeten Ausbildung an Challenger-2-Panzern
Nach ihrer Ausbildung an Kampfpanzern vom Typ Challenger 2 in Großbritannien sind ukrainische Soldaten indes auf dem Weg an die Front. "Es ist wirklich inspirierend, die Entschlossenheit ukrainischer Soldaten mitzuerleben, die ihre Ausbildung auf britischen Challenger-2-Panzern auf britischem Boden abgeschlossen haben", sagte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace einer Mitteilung vom Montag zufolge.
"Sie kehren besser ausgerüstet, aber nicht weniger gefährdet in ihre Heimat zurück. Wir werden ihnen weiterhin zur Seite stehen und alles tun, um die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen", so Wallace. Das Training sei abgeschlossen, hieß es vom Verteidigungsministerium. Dabei ging es unter anderem darum, wie Challenger-Besatzungen zusammenarbeiten und kommandiert werden sowie Ziele effektiv identifiziert und angegriffen werden. "Wir waren alle sehr beeindruckt von den gezeigten Fähigkeiten und haben keine Zweifel, dass unsere Freunde die Challenger-2-Panzer in den kommenden Schlachten effektiv einsetzen werden, wenn sie zur Verteidigung ihres Heimatlandes kämpfen werden", sagte Oberstleutnant John Stone, der die Ausbildung geleitet hatte.
Großbritannien hatte im Jänner als erstes Land die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine angekündigt und damit Verbündete wie Deutschland unter Druck gesetzt, selbst Panzer zu schicken. Insgesamt stellt London 14 Challenger 2 zur Verfügung.
Atomwaffen in Belarus sollen Unterstützung für Ukraine schwächen
Russland hält trotz der Sanktionsdrohungen des Westens an der geplanten Stationierung von taktischen Atomwaffen in Belarus fest. "Auf die Pläne Russlands kann solch eine Reaktion natürlich keinen Einfluss nehmen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag zu möglichen Strafmaßnahmen. Zuvor hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Belarus zum Verzicht auf die nuklearen Waffen aufgefordert und andernfalls mit Sanktionen als Antwort gedroht.
Borrell kritisierte die russischen Pläne als "unverantwortliche Eskalation" und eine Bedrohung für die europäische Sicherheit. Der polnische Europaminister Szymon Szynkowski sprach ebenfalls von einer "Eskalation", forderte aber zugleich eine "ruhige Antwort" des Westens darauf.
Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolaj Patruschew, legte indes nach. Er betonte, dass die NATO-Staaten Teil des Ukraine-Konflikts seien. Zur Begründung verwies er auf die Reaktion der Militärallianz auf die Entscheidung Russlands, in Belarus taktische Atomwaffen zu stationieren. Sie sprach von gefährlicher und unverantwortlicher Rhetorik.
Experte: Putin will einschüchtern
Mit der Stationierung taktischer Atomwaffen im Nachbarland Belarus will Russlands Präsident Wladimir Putin nach Ansicht eines Experten den Westen abschrecken und von Fehlern ablenken. "Sie sollen den Westen einschüchtern, seine Waffenlieferungen für die ukrainischen Offensiven 2023 weiterzuführen", sagte der Politologe Maximilian Terhalle der Deutschen Presse-Agentur.
"In erster Linie aber soll die Ankündigung davon ablenken, dass Putin zum Beispiel in Bachmut nicht den Fortschritt macht, den er zwingend braucht." Der Geopolitik-Experte, der am King's College in London gelehrt hat, warnte den Westen davor, aus Angst vor einem Atomschlag die Unterstützung für die Ukraine zu kürzen.
"Das Muster einer taktischen Nukleardrohung bei konventionellem Nicht-Erfolg ist bereits bekannt vom letzten Oktober", sagte Terhalle. "Es ist ein gutes Anzeichen, dass die russische Armee und Wagner-Truppen nicht in der Lage sind, die Ukrainer zu brechen." Die Stadt Bachmut im Osten der Ukraine ist seit Monaten schwer umkämpft und heute praktisch zerstört.
Der Politologe betonte: "Wie 2022 wird Putin auch 2023 keine Nuklearwaffen einsetzen, weil er dadurch seine wichtigste Waffe, die Einschüchterung, die im Falle Deutschlands und der Panzerfrage erheblich die Nato beeinflusst hat, aus der Hand verlieren würde." Gleichzeitig befördere der Kremlchef mit der Stationierung in Belarus unbeabsichtigt eine Debatte um die Notwendigkeit stärkerer nuklearer Fähigkeiten in Europa. (APA/dpa)
IAEA-Chef Grossi offenbar bald zu erneuten Gesprächen in Moskau
Ein Besuch des Chefs der UN-Atomaufsicht IAEA, Rafael Grossi, in Moskau ist einem russischen Medienbericht zufolge in naher Zukunft möglich. Grossi kündigte am Samstag an, dass er im Laufe der Woche das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine besuchen werde, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.
Auf die Frage, ob Russland plane, Grossi nach Moskau einzuladen, sagt der russische Botschafter bei internationalen Organisationen in Wien, Michail Uljanow, dies sei "durchaus realistisch", berichtete die russische Nachrichtenagentur RIA. "Nicht kommende Woche aber etwas später könnte der Besuch von Rafael Grossi in Russland stattfinden." Grossi drängt auf die Einrichtung einer Sicherheitszone um Saporischschja.
Pakt mit Lukaschenko
EU warnt vor „Eskalation“ wegen Putins Atomwaffen-Plan für Belarus
Krieg in der Ukraine