Finnische Expertin zu Kampf um NATO-Beitritt: Haben für Schweden „alles getan"
Iro Särkkä: "Würde nicht sagen, dass Finnland Schweden im Stich gelassen hat". Gegenüber Schweden haben die beiden NATO-Mitglieder Ungarn und Türkei noch politische Vorbehalte.
Wien, Helsinki, Stockholm – Die finnische Außenpolitikexpertin Iro Särkkä ist dem Eindruck entgegen getreten, dass ihr Land den Nachbarn Schweden im Kampf um die NATO-Mitgliedschaft im Stich gelassen hat. In den trilateralen Gesprächen mit der Türkei hätten vielmehr beide Länder festgestellt, "dass wir alles getan haben, was wir konnten und es jetzt in der Hand der verbliebenen Staaten liegt", sagte die Forscherin am Finnish Institute of International Affairs am Dienstag in einem Online-Mediengespräch.
"Ich würde nicht sagen, dass Finnland Schweden im Stich gelassen hat", betonte die Politikwissenschafterin. Vielmehr habe Finnland selbst den größten Wunsch nach einem gemeinsamen Beitritt mit Schweden gehabt, weil dies beiden Ländern und auch der NATO am meisten genützt hätte. "Wir hoffen, dass Schweden so schnell wie möglich in die NATO kommen wird", betonte sie in dem von ERSTE Stiftung, dem Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM), dem Presseclub Concordia sowie dem forum journalismus und medien (fjum) organisierten Gespräch.
Vorbehalte von Ungarn und Türkei
Särkkä äußerte sich wenige Stunden, nachdem Ungarn als vorletztes NATO-Land den Beitrittsvertrag mit Finnland ratifiziert hatte. Auch die Türkei hat eine baldige Ratifizierung angekündigt. Gegenüber Schweden haben aber beide NATO-Mitglieder noch politische Vorbehalte. Schweden und Finnland hatten am 18. Mai 2022 gemeinsam den NATO-Beitritt beantragt. Ende Juni startete die Allianz das Beitrittsverfahren, am 5. Juli unterzeichneten alle NATO-Botschafter die Beitrittsprotokolle. Militärisch gibt es keinerlei Vorbehalte gegenüber der Mitgliedschaft der beiden bündnisfreien Staaten, weil diese ihre Armeen schon vor Jahren auf NATO-Niveau gebracht haben.
Wie sich Finnland als 31. NATO-Mitglied positionieren wird, ist laut Särkkä offen. Die Diskussion darüber werde erst nach dem Beitritt beginnen, sagte die Expertin. Sie wies darauf hin, dass man in Finnland die NATO in der Vergangenheit wegen ihrer "vielen Auslandsoperationen" kritisch gesehen habe. "Die Allianz ging in eine Richtung, in der sich Finnland nicht sah", sagte sie in offenkundiger Anspielung auf den Afghanistan-Einsatz.
Gleichwohl habe Finnland auch schon in der Vergangenheit die "NATO-Option" für den Fall bereit gehabt, "dass sich die Situation verschlechtern würde". Dies war dann nach der russischen Aggression gegen die Ukraine der Fall, die viele Finnen an die kriegerischen Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg erinnerte. Der russische Angriff und der Meinungsumschwung in der öffentlichen Meinung seien dann auch die Hauptgründe für den raschen NATO-Beitrittsantrag gewesen, so Särkkä. Von zuvor 25 Prozent Unterstützung für den NATO-Beitritt sei diese nach Kriegsausbruch auf bis zu 80 Prozent gestiegen, erinnerte sie.
Expertin sieht keine ausgemachte Sache
Aus Sicht der Expertin war es keine ausgemachte Sache, dass die westlichen NATO-Staaten Finnland mit offenen Armen aufnehmen würden. "Wenn der Krieg in der Ukraine anders verlaufen wäre, hätte sich die Frage gestellt, ob der Westen eine finnische Mitgliedschaft unterstützt hätte", so Särkkä. Schließlich habe es nach der ersten russischen Aggression gegen die Ukraine im Jahr 2014 "keine starke Reaktion" gegenüber Moskau gegeben.
Kein Thema sind NATO und der russische Aggressionskrieg in der Kampagne vor den finnischen Parlamentswahlen am Sonntag. Selbst bei den rechtspopulistischen Basisfinnen gebe es einige Mitglieder, "die wirklich leidenschaftlich die Ukraine unterstützen", sagte die Journalistin Veera Luoma-aho in dem Onlinegespräch. "Es wäre eine sehr schlechte Idee für die Basisfinnen, wenn sie Sympathien für Russland zeigen würden", sagte sie auf eine entsprechende Frage. Die sozialdemokratische Regierungschefin Sanna Marin wiederum überbiete mit ihrer "harten Linie" gegenüber Russland sogar die oppositionellen Konservativen, die sich als frühere Bannerträger der NATO-Mitgliedschaft Finnlands nun in einer "völlig neuen Situation" wiedergefunden hätten, sagte die Politik-Ressortleiterin der Zeitung Helsingin Sanomat. (APA)