Tiroler Motettenchor: Im Glauben erheben sich die Stimmen
Wörgl, Langkampfen – Männer und Frauen klopfen sich auf Rücken und Brust, schneiden Grimassen, befeuchten ihre Lippen. Tonleitern entlocken ihren Körpern Stimmen, hohe und tiefe, lauter und leiser. Das Aufwärmen ist vorbei, die Notenbücher werden geöffnet. Die Dimension des Klangs, die der Tiroler Motettenchor entfalten kann, lässt sich im provisorischen Proberaum nur erahnen.
„So viele Stimmen zusammen, das ist wie eine Welle, die dich erreicht“, versucht Theresa Anker in Worte zu fassen, welches Gefühl die sakrale Vokalmusik in ihr erweckt. Die 28-jährige Volksschullehrerin singt seit sechs Jahren als Sopranistin im Chor. „Ich bin keine Rampensau, alleine stehe ich nicht gerne auf der Bühne.“ Das „gemeinsame Erlebnis, Musik in der Gruppe zu machen“, fasziniert auch Günther Marek. 46 seiner 65 Lebensjahre teilte der Lehrer bereits mit den Musikliebenden. Der Dienstag ist seit Jahren ein Fixtermin in seinem Kalender.
An diesem Tag übt der Wörgler Gesangsverein in der Mittelschule in Langkampfen – ein Ausweichquartier, bis man die Räume in der renovierten alten Wörgler Musikschule wieder beziehen kann. Am kommenden Sonntag steht das erste von drei großen Konzerten im heurigen 65. Jubiläumsjahr an. Mit Gabriel Faurés „Requiem“, Gerald Finzis „Magnificat“ und Morten Lauridsens „Lux aeterna“ wollen die Sängerinnen und Sänger gemeinsam mit dem Orchester Sonarkraft, Helene Grabitzky (Sopran) und Wolfgang Resch (Bariton) in der Stadtpfarrkirche Wörgl auf Ostern einstimmen (17 Uhr, Tickets beim Chor, Buchhandlung Zangerl Wörgl). „Klänge der Hoffnung und Zuversicht im Angesicht von Sterben und Tod“ werden angepriesen. Sie seien gehobene Laiensänger, wenn man so will. Doch „jeder, der Interesse hat, ist eingeladen, mitzumachen“, erklärt Chorleiter Jan Golubkow, als er am Klavier sitzend an die Männer appelliert: „Die Frauen dominieren in der Klangwolke. Mehr Bass also!“
Der 35-jährige studierte Dirigent wirkte bei den Wiltener Sängerknaben und den Tiroler Festspielen Erl mit. In Tirol sei es schwierig, große Projekte umzusetzen, die Szene sei klein, meint er. Umso größer sei die Vorfreude auf die Aufführung der Carmina Burana (Carl Orff) gemeinsam mit zahlreichen Tiroler Chören und dem Tiroler Symphonieorchester am 4. Juli auf der Festung Kufstein und am 10. Juli in Innsbruck.
Zwei weitere Höhepunkte in der Geschichte des Vereins, die bis 1956 zum Kirchenchor Kirchbichl zurückreicht. Eine „singfreudige Truppe“ wollte mehr, erzählt der heutige Obmann Wolfgang Sieberer, so wagte sich zwei Jahre später der „Chor der Musikfreunde Wörgl“ an die konzertant aufgeführten Werke heran. Zuspruch und Andrang waren enorm, der Tiroler Motettenchor wurde schließlich 1966 aus der Taufe gehoben. Internationale Bewerbe und Kooperationen brachten Erfolge, zweimal lauschten sogar Päpste den Tiroler Sängerinnen und Sängern (Johannes XXIII. und Johannes Paul II.).
Ist Glaube ein Muss oder reicht ein Ohr für Vokalmusik? Er helfe, die Werke und deren meist in Latein verfassten Texte zu verstehen, sagen Anker und Marek. Golubkow formuliert es diplomatisch: „Ich schätze die Dinge, die durch kirchliche Netzwerke entstanden sind. Es ist eine unglaubliche Kunst, die hier gefördert wurde und die wir heute genießen können.“