Schwere Vorwürfe gegen Dichand, Kurz und Co.: Eine Abrechnung auf 104 Seiten
Die Vorwürfe der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Eva Dichand & Co haben es in sich. Sebastian Kurz wehrt sich gegen neue Details zu bekannten Vorwürfen.
Wien – Razzia! Als am Donnerstag in der Früh Polizisten in Zivil im 1. Wiener Gemeindebezirk an der Adresse der Gratiszeitung Heute erscheinen, zieht es die von einer Assistentin verständigte Herausgeberin Eva Dichand vor, „heute doch nicht ins Büro“ zu kommen, wie die TT erfuhr. Seither ist die seit Jahren schwelende Inseratenaffäre um ein umfangreiches Kapitel gewachsen. Die Vorwürfe der WKStA wiegen schwer. Für die von ihr aufgeführten Straftatbestände – Untreue, Bestechung, Bestechlichkeit – (für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung) gibt es einen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren.
Was die Korruptionsjäger zur Anklage bringen und beweisen wollen: Es habe strafrechtlich relevante Deals gegeben. Für die Republik bzw. den Steuerzahler nutzlose Inserate gegen wohlwollende Berichterstattung für den aufstrebenden ÖVP-Star Sebastian Kurz. Interventionen der Verlegerfamilie Dichand (Heute, Kronen Zeitung) betreffend das Inseratenvolumen sei man im Finanzministerium (wo Thomas Schmid Generalsekretär war) willfährig nachgekommen. Außerdem hätten die Dichands in Sachen Stiftungsrecht erfolgreich ihre Interessen verfolgt. Da die Koalition – im Mai 2019 tauchte das Ibiza-Video auf – platzte, wurde eine entsprechende Gesetzesänderung aber nicht umgesetzt.
Ex-Kanzler Kurz streitet auf Facebook ab
Gestern meldete sich Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) via Facebook zu Wort. Die ihn belastenden Vorwürfe von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid seien „frei erfunden“, schrieb er. Wie schon tags zuvor Eva Dichand betonte Kurz, Schmid wolle den Kronzeugenstatus erlangen und versuchen, straffrei auszugehen. „Ich freue mich jedenfalls auf den Tag, an dem vor Gericht bewiesen wird, dass diese Vorwürfe falsch sind“, schloss er sein Posting.
Was einen Hauptvorwurf der WKStA betrifft, gibt sich Kurz überrascht bis gelassen. So kommentierte er: Es wäre „interessant zu erfahren, wieso laut Einschätzung der WKStA die Bewerbung des Familienbonus durch das BMF eine Straftat, nämlich Untreue, sein soll, und gleichzeitig Inserate zum Schnitzelgutschein der Stadt Wien (...) eine notwendige Information der Öffentlichkeit darstellen sollen“, so Kurz.
„Die Vorwürfe gegen den Herrn Kurz sind eigentlich seit Oktober 2021 unverändert, nämlich die drei Paragrafen Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue. Kurz betreffen die gestrige Anordnung und die Fakten jedenfalls, am Ermittlungsgegenstand ändert sich dadurch aber nichts“, kommentierte eine Sprecherin der WKStA die Hausdurchsuchung gegenüber der APA.
📽️ Video | "ZiB 2" über Ermittlungen gegen "Heute"
Tatsächlich zerlegt die WKStA – so geht es aus dem Durchsuchungsbeschluss hervor, der der TT vorliegt – das Inseratenprozedere im Finanzministerium (vor der Kanzlerschaft Kurz’) bzw. im Bundeskanzleramt, von wo die Inserate ab Dezember 2017 zentral gesteuert wurden, akribisch. So heißt es etwa in der Anordnung: „Die gegenständlichen Inseratschaltungen und Kampagnen hatten nicht wie vom Gesetz verlangt die Befriedigung eines konkreten allgemeinen Informationsbedürfnisses zum Ziel, sondern es ging darum, sich den medialen Goodwill zu erkaufen.“ Als Beispiel werden umfangreiche Kampagnen zu „Zolltipps und Artenschutz“ genannt. Auch der neu eingeführte Familienbonus sei in extremem Ausmaß beworben worden. „Ein redlicher Vertreter der Republik hätte diese Schaltungen nicht beauftragt und bezahlt“, so sieht es die WKStA. Und die Ermittler lassen auch keinen Zweifel daran, dass alle Beteiligten – Kurz und sein Umfeld sowie die Verleger (neben den Dichands auch Heute-Geschäftsführer Wolfgang Jansky) – genau wussten, was sie taten. Ausgedealt wurde die Zusammenarbeit unter anderem bei einem Treffen in der Privatwohnung eines Wiener Szene-Gastronoms, eines Freundes von Schmid.
Dass Eva Dichand wenig zimperlich vorging, zeigen WhatsApp-Chats zwischen ihr und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), in denen es um Inserate ging, die ihre Konkurrenten von der Fellner-Mediengruppe (Österreich) erhielten. „Wir sind ziemlich geschockt, weil ihr Fellner so viel Geld zukommen lasst“, heißt es da etwa. „Findet mein Mann auch“ (gemeint ist Krone-Chef Christoph Dichand, Anm.). Und weiter schreibt die WKStA: Dichand lässt die Maßregelung darin münden, dass sie betont, „Das kann es echt nicht sein. schauen uns das jetzt genau an“. Und: „Wir können auch anders“. Dass das Inseratenvolumen bei Heute und Krone daraufhin stark anstieg, ist für die WKStA-Ermittler ein weiterer passender Puzzlestein im großen Bild der Inseratenaffäre.
Im Visier der WKStA
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