Krieg in der Ukraine

Explosionen in Melitopol, Tote Zivilisten durch russischen Beschuss von Kleinstadt

Die umkämpfte Region in Donezk ist gezeichnet vom Krieg.
© IMAGO/Dmitri Kotjuh

Die ukrainische Armee berichtet von einem teilweisen russischen Rückzug in Donezk. Man rechne mit einer folgenden Offensive. Laut US-Experten ist die russische Winteroffensive gescheitert.

Kiew – Mehrere Zivilisten sind am Sonntag durch russischen Beschuss der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka getötet worden. Wie Präsidentenberater Andrij Jermak am Twitter mitteilte, wurden 16 Wohnblöcke, acht Häuser, ein Kindergarten und ein Verwaltungsgebäude in der Kleinstadt beschädigt. Sechs Menschen seien gestorben, acht weitere verletzt worden. Indes gab es in einer russischen Militäreinrichtung der strategisch bedeutenden Stadt Melitopol mehrere Explosionen.

Kostjantyniwka sei zwei Mal von Raketen des Typs S-300 getroffen worden, so Jermak. Zuvor hatte er von Streumunition und Mehrfachraketenwerfern gesprochen. Der Chef der ukrainischen Militärverwaltung für die Region Donezk, Pawlo Kyrylenko, sagte, dass die russischen Raketen das Zentrum der Stadt getroffen hätten. Zu Friedenszeiten hatte die Industriestadt etwa 70.000 Einwohner.

Die Explosionen in Melitopol ereigneten sich in einer Eisenbahnremise, die von den Besatzern für Reparaturen und als Treibstoff- und Munitionslager genützt werde, sagte der gewählte Bürgermeister der Stadt, Iwan Fedorow. Schon bei einem Angriff am Montag sei das Dach des Lagers beschädigt worden. Dutzende Soldaten seien eliminiert worden, so Fedorow. Der Lokalpolitiker äußerte sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform im ukrainischen Fernsehen. "Gegen 9.30 Uhr wurden mindestens sechs Explosionen in der derzeit besetzten Stadt Melitopol vernommen", so Fedorow. Alle Explosionen hätten sich auf dem Eisenbahngelände ereignet. Es sei noch unklar, welche Verluste der Feind durch die Explosionen am Sonntag erlitten habe.

Wichtiger Verkehrsknotenpunkt

Melitopol ist von zentraler Bedeutung für den Erhalt der russischen Landbrücke zur besetzten Krim. Nach Einschätzung von Militärexperten könnte der wichtige Verkehrsknotenpunkt in der Region Saporischschja das Ziel der erwarteten ukrainischen Gegenoffensive sein. Durch eine Einnahme der Stadt wäre nämlich die Straßen- und Bahnverbindung zwischen der russisch besetzten Ostukraine und der bereits im Jahr 2014 illegal annektierten Halbinsel Krim gekappt. Damit wäre die Versorgung der westlich von Melitopol stationierten russischen Truppenteile massiv erschwert und nur noch auf dem Seeweg oder die stark exponierte Kertsch-Brücke möglich.

Der ukrainsiche Präsident Wolodymyr Selenskyj erinnerte indes an die Befreiung der Region Kiew vor genau einem Jahr. "Ihr habt die größte Gewalt gegen die Menschlichkeit unserer Zeit aufgehalten. Ihr habt eine Gewalt gestoppt, die alles verachtet und alles zerstören will, das Menschen Bedeutung gibt", schrieb er am Sonntag auf Telegram. Zugleich veröffentlicht er Fotos der Gegend rund um Kiew nach dem russischen Rückzug vor einem Jahr. Damals war auch das Massaker von Butscha entdeckt worden. "Wir werden unser gesamtes Gebiet befreien", zeigte sich Selenskyj überzeugt. "Wir werden die ukrainische Flagge wieder in all unseren Städten und all unseren Dörfern wehen lassen." Derweil schwor der ukrainische Armeechef seine Landsleute auf weitere Kämpfe ein. "Wir werden weiter für die Unabhängigkeit unserer Nation kämpfen", schrieb Walerij Saluschnyj auf Telegram. Derzeit hält Russland gut 18 Prozent des ukrainischen Territoriums besetzt.

Russischer Rückzug in Donezk

Unterdessen berichtete die ukrainische Armee von einem teilweisen russischen Rückzug im ostukrainischen Donezk. Man bereite sich auf Verteidigungsoperationen vor, weil eine mächtigere Offensive zu erwarten sei, sagte ein Armeesprecher nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform. In der Region Saporischschja würden die Invesoren Befestigungsarbeiten, taktische Übungen und Aufklärungsoperationen durchführen. Ohne Details zu nennen, berichtete die Armee auch davon, dass ukrainische Fallschirmjäger eine russische Einheit in einem der Frontabschnitte "eliminiert" hätten.

US-Militärexperten erklärten die russische Winteroffensive derweil für gescheitert. Die gesteckten Ziele einer vollständigen Einnahme der Gebiete Donezk und Luhansk seien nicht erreicht worden, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington. Die Analysten erwarten demnach einen baldigen neuen Umbau der russischen Kommandostrukturen für den Krieg gegen die Ukraine. Der erst im Jänner als Befehlshaber der Truppen im Kriegsgebiet eingesetzte Generalstabschef Waleri Gerassimow habe die Erwartungen von Kremlchef Wladimir Putin nicht erfüllt, hieß es. Er könne kaum Gebietsgewinne vorweisen. Laut ISW galt für Gerassimow der 31. März als Zieldatum, den kompletten Donbass einzunehmen.

Russische Soldaten trinken sich zu Tode

Das britische Verteidigungsministerium machte indes den verbreiteten Alkoholmissbrauch als Grund für die schlechte russische Armeeperformance aus. Eine große Zahl der russischen Armeeverluste von bis zu 200.000 Soldaten sei auf andere Ursachen als Kampfhandlungen zurückzuführen, erklärte das Ministerium am Sonntag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse. "Russische Kommandanten betrachten den verbreiteten Alkoholmissbrauch wohl als besonders abträglich für die Effektivität der Kampfhandlungen", hieß es. Anfang der Woche habe ein russischer Telegram-Nachrichtenkanal davon berichtet, dass es eine "extrem hohe" Anzahl an Vorfällen, Straftaten und Todesfällen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum unter den Streitkräften gebe, schrieben die Briten. Starkes Trinken sei in der russischen Gesellschaft weit verbreitet und als stillschweigend als Teil des militärischen Lebens akzeptiert worden, auch bei Kampfeinsätzen. Zu den weiteren Hauptursachen für nicht-kampfbedingte Verluste zählten vermutlich auch eine schlechte Ausbildung an den Waffen, Verkehrsunfälle und auf die klimatischen Bedingungen zurückzuführende Schädigungen wie Unterkühlung. (APA/Reuters/dpa)