Teuerung traf in Armut lebende Familien im Winter besonders hart
Wegen Kälte in den Wohnungen suchten Familien Schutz im öffentlichen Raum, entwa in Einkaufszentren. 58 Prozent schränkten Kinderbedürfnisse wegen Heizkosten ein. Eine Studie von Volkshilfe und GÖG zeigt auch psychische Belastung.
Wien – 368.000 Kinder und Jugendliche sind laut Daten der Statistik Austria von 2021 von Armut und Ausgrenzung betroffen. Die Teuerung und der Winter sorgten für zusätzliche Verschärfung. Eine Befragung von Volkshilfe und Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) unter mehr als 100 armutsbetroffenen Eltern zeigt nun auf, dass viele der Familien in ungesunden Wohnverhältnissen leben und teils wegen der Kälte in der eigenen Wohnung Schutz im öffentlichen Raum suchen, etwa in Einkaufszentren.
"Winter der Teuerung"
"Der Winter der Teuerung, wie wir ihn nennen, ist besonders dramatisch gewesen", erläuterte Andrea Schmidt von der GÖG als eine der Studienautorinnen. Die Inflationsrate des Vorjahres betrug 8,6 Prozent, die Preise für Haushaltsenergie sind mit 37 Prozent im Vergleich zu 2021 besonders stark gestiegen, berichtete die Leiterin des Kompetenzzentrums Klima und Gesundheit der GÖG in einem Pressegespräch. 58 Prozent der im Februar und März interviewten Eltern gaben an, dass sie aufgrund der steigenden Heizkosten andere Bedürfnisse ihrer Kinder – wie Freizeitaktivitäten, Kleidung und auch Essen – einschränken.
Befragt wurden 103 Eltern von insgesamt 202 Kindern unter elf Jahren, die in dem Projekt "Existenzsicherung für armutsbetroffene und armutsgefährdete Kinder und Jugendliche in der Pandemie" der Volkshilfe Österreich betreut werden, das rund 500 Haushalte umfasst. Die Studie ist damit nicht repräsentativ für die Bevölkerungsgruppe. Diese sei schwer zu befragen, weil es teils Sprachbarrieren gibt oder die Betroffenen nicht teilnehmen wollen, erläuterte Mitautorin Hanna Lichtenberger aus dem Forschungsteam "Kinderarmut Abschaffen" der Volkshilfe Österreich.
Die wissenschaftliche Analyse zeichnet dennoch ein Bild von "tatsächlich armutsbetroffen Familien" mit nachgewiesenen niedrigen Einkommen, erläuterte Ernest Aigner von der GÖG. Ein Viertel oder mehr der Befragten berichteten von Feuchtigkeit oder Schimmel in der Wohnung, wobei Schimmel langfristige Gesundheitsfolgen wie Asthma haben kann, betonten die Forscher. Rund ein Drittel der Eltern gab an, dass ihre Heizung sehr viel Energie verbraucht und fast die Hälfte, dass Fenster in der Wohnung undicht sind.
Einkaufszentren als Zufluchtsort
Drei von vier Haushalten ziehen Kindern wärmere Kleidung an, teils auch Straßen-Winterkleidung, um sie im Wohnraum vor Kälte zu schützen. Die Kinderzimmer werden oft mehr als andere Räume oder als einziger Raum beheizt, gaben die Befragten an. "Das zeigt, dass wirklich das Kindeswohl im Zentrum steht für armutsbetroffene Eltern", sagte Aigner. Ein Viertel nutzt den öffentlichen Raum, um der Kälte daheim zu entkommen. Wir wissen aus der Armutsforschung, dass Einkaufszentren auch für armutsbetroffene Jugendliche ein Zufluchtsort sind, erläuterte Lichtenberger.
Im Sommer haben es arme Menschen leichter, etwa in Parks oder an öffentlichen Badeplätzen ihre Freizeit zu gestalten, das sei im Winter eingeschränkter möglich, berichtete die Forscherin von der Volkshilfe. "Die allgemeine Teuerung ist für 90 Prozent eine belastende Situation", berichtete GÖG-Experte Aigner aus der Umfrage. Drei von zehn belastet es psychisch, dass sie ihre "Kinder nicht vor Kälte schützen können", betonte der Mitautor der Studie.
Die Erhebung zeigt, dass es Bedarf an öffentlichen und kostenlosen Räumen und Indoor-Spielplätzen zum Aufwärmen gibt, sagte Lichtenberger. Es brauche zudem Nachmittagsbetreuung, "die für alle leistbar ist", Eltern würden ihre Kinder davon abmelden, um Kosten zu sparen. "Da gibt es auch Familien, die melden die Kinder vom Mittagessen ab", schilderte die Volkshilfe-Expertin. Ihre Organisation fordert außerdem eine Kindergrundsicherung, wie sie in Deutschland bereits geplant ist, damit betroffene Familien neben der Kinderbeihilfe auch eine einkommensbezogene finanzielle Unterstützung haben, betonte Lichtenberger.
SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch ortete aufgrund der Studie politisches Versagen. "Kinderarmut ist ganz besonders in einem reichen Land wie Österreich eine Zumutung – beenden wir sie", forderte er in einer Aussendung. Die Regierung setze "auf eine Politik der Einmalzahlungen". Diese seien "nicht treffsicher, kosten viel Geld, senken aber keinen einzigen Preis und erhöhen am Ende außerdem die Inflation. Darunter leiden besonders armutsgefährdete Familien und Haushalte." Ähnlich reagierte die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch: "ÖVP und Grüne unternehmen, obwohl sie es könnten, nichts gegen Inflation, Energiekosten und vollkommen aus dem Ruder gelaufene Lebensmittelpreise." Mehr als 70 Jahre Aufbau und soziale Sicherheit würden vernichtet, kritisierte die FPÖ-Abgeordnete, die "so schnell wie nur möglich" Neuwahlen forderte.
Schon im März 2022 hätte die Republik Österreich der EU-Kommission im Rahmen der "Europäischen Kindergarantie" einen Nationalen Aktionsplan zur Reduktion von Kinderarmut vorlegen müssen. "Wir warten nun schon ein Jahr darauf, dass die Regierung Maßnahmen vorlegt, damit Kinder und Jugendliche nicht in Armut aufwachsen müssen", kritisierte Arbeiterkammer-Wien-Direktion Silvia Hruška-Frank in einer Aussendung. Handlungsbedarf sieht die AK Wien auch beim Sozialhilfe-Grundsatzgesetz. Dieses sollte sicherstellen, dass in Österreich niemand hungern oder frieren muss. Wie die Studie zeige, erfülle es aber "seine Aufgabe bei Weitem nicht". (APA)