Pulverfass in Jerusalem

Für Muslime ist er „Das edle Heiligtum“, für Juden der „Tempelberg“

Der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee sind für Muslime einer der heiligsten Orte. Der Prophet Mohammed soll von diesem Ort aus seine Himmelfahrt angetreten haben.
© AHMAD GHARABLI

Der Hügel in Ost-Jerusalem beherbergt heilige Stätten beider Religionen – das macht den Ort gleichzeitig zum Pulverfass. Immer wieder kommt es dort zu Zusammenstößen – insbesondere während des muslimischen Fastenmonats Ramadan.

Jerusalem – Der Tempelberg in Jerusalem ist ein besonders wichtiger Ort der religiösen Verehrung für Juden und Muslime – und zugleich ein Pulverfass, an dem sich immer wieder gewaltsame Zusammenstöße zwischen Palästinensern und Israelis entzünden. Nun drang die israelische Polizei in die Al-Aqsa-Moschee ein, um von den Behörden so bezeichnete palästinensische "Aufwiegler" festzunehmen, die sich dort nach den Gebeten mit Feuerwerkskörpern und Steinen verschanzt hatten.

Einen Tag später gerieten Palästinenser und Polizisten erneut aneinander – inmitten einer ohnehin angespannten Lage während des muslimischen Fastenmonats Ramadan und des jüdischen Pessachfestes.

Israelische Sicherheitskräfte zerren eine Palästinenserin vom Platz vor der Moschee.
© AHMAD GHARABLI

Tempelberg und „edles Heiligtum“

Bis vor 2000 Jahren befanden sich auf dem Hügel im Südosten der Jerusalemer Altstadt – so zumindest der biblische Bericht – der Erste Tempel von König Salomon und geschichtlich gesichert der unter Herodes stark erweiterte Zweite Tempel.

Seit 1300 Jahren stehen auf der rechteckigen Hochfläche die Al-Aqsa-Moschee und der islamische Felsendom. Der Prophet Mohammed soll von diesem Ort aus seine Himmelfahrt angetreten haben. Muslime verehren den Ort als Al-Haram Al-Sharif, "das edle Heiligtum". Er ist für sie nach Mekka mit der Kaaba und Medina mit dem Prophetengrab die drittheiligste Stätte.

Auch nach der Besetzung Ost-Jerusalems durch die israelische Armee 1967 blieb das 14 Hektar große Plateau unter Verwaltung einer jordanischen Waqf (Arabisch für "fromme Stiftung"). Im israelisch-jordanischen Friedensvertrag von 1994 wurde die besondere Rolle des jordanischen Königshauses als Hüter der heiligen muslimischen Stätten in Jerusalem bekräftigt.

Das Judentum verehrt den Tempelberg als seinen allerheiligsten Ort. Nur dort, wo der im Jahr 70 von der römischen Besatzungsmacht zerstörte Zweite Tempel stand, soll eine direkte Verbindung zu Gott herstellbar sein. Die Klagemauer an der Westseite des Plateaus dient heute als zentrale Gebetsstätte für Juden aus aller Welt.

Der Zugang zum Tempelberg wird von israelischen Sicherheitskräften kontrolliert, Muslimen ist er Tag und Nacht erlaubt. Um Provokationen zu vermeiden, dürfen Jüdinnen und Juden – wie andere nicht-muslimische Besucherinnen und Besucher – ihn zwar besichtigen, aber dort nicht beten. Dies ist eine Anordnung der israelischen Polizei, die für die Sicherheit des Geländes zuständig ist.

Immer wieder Spannungen und Zusammenstöße

Die Oberrabbiner wie auch die große Mehrheit der religiösen Jüdinnen und Juden sind sogar völlig dagegen, das Gelände zu betreten, um das nicht endgültig lokalisierbare Allerheiligste nicht mit den Füßen zu beschmutzen. Ultranationalistische Juden, die sich dem Bau eines Dritten Tempels verschrieben haben, versuchen allerdings immer wieder, heimlich auf dem Tempelberg zu beten.

Solche Vorfälle lösen regelmäßig Spannungen mit gläubigen Muslimen aus. Hintergrund ist die Befürchtung, dass Israel einseitig versucht, den zerbrechlichen Status Quo vor Ort zu verändern.

Auf dem Tempelberg haben sich Palästinenser und Israelis in der Vergangenheit immer wieder gewalttätige Zusammenstöße geliefert – insbesondere während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, in dem zehntausende Gläubige die Al-Aqsa-Moschee aufsuchen.

Wie brisant das Thema Tempelberg ist, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 2000: Ein Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon von der konservativen Likud-Partei wurde von den Palästinensern als Provokation wahrgenommen. Tags darauf lieferten sich Palästinenser gewaltsame Auseinandersetzungen mit der israelischen Polizei, die mehrere Demonstrierende erschoss. Dies markierte den Beginn der zweiten Intifada.

Ein Besuch des damaligen israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon am Tempelberg sorgte im Jahr 2000 für gewaltsame Auseinandersetzungen.
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Im Mai 2021 hatten Zusammenstöße auf dem Tempelberg und rund um die Al-Aqsa-Moschee – ebenfalls während des Ramadan – zu tagelangen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen und der israelischen Armee geführt. Bis zum Inkrafttreten einer von Ägypten vermittelten Waffenruhe wurden 260 Palästinenserinnen und Palästinenser durch israelische Luftangriffe getötet. Auf israelischer Seite gab es durch Raketenangriffe der Hamas 13 Todesopfer.

Im vergangenen April wurden bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften auf dem und um den Tempelberg hunderte Menschen verletzt. Im Jänner schürte ein Besuch des rechtsextremen israelischen Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir auf dem Tempelberg die Angst vor einer erneuten Gewaltwelle. (APA/AFP)