35. Osterfestival Tirol: Das Sein im Spannungsfeld von Raum und Zeit
Das 35. Osterfestival Tirol ging am Sonntag im Innsbrucker Congress mit „Set of Sets“ der Tanzcompagnie „GN / MC“ fulminant zu Ende.
Innsbruck – Mit Standing Ovations und gefühlt endlosem Applaus für die zwei Tänzerinnen und vier Tänzer von Guy Naders und Maria Campos’ Compagnie „GN / MC“ sowie Daniel Munarriz am Schlagzeug ging am Sonntagabend die 35. Ausgabe des Osterfestivals Tirol zu Ende. Nach 60 höchst konzentrierten Minuten, in denen es um nicht weniger bzw. mehr als um das Sein gegangen ist. Körperhaft erspürt im Spannungsfeld zwischen Raum und Zeit in der Aneinanderreihung von Bewegungen, die labyrinthisch durch das weiße Bühnenhalbrund mäandern.
„Sets of Sets“ beginnt im Dunklen und endet auch dort. Da wie dort ist es ganz still, nur die Berührungen der nackten Füße der sechs Tänzerinnen und Tänzer am Boden sind vage zu hören, bis so etwas wie Musik (komponiert von Miguel Marín) leise zu knistern beginnt, um sich durch das Zutun des Schlagwerkers Daniel Munarriz mehr und mehr zu steigern. Parallel zu dem, was sich auf der Bühne tut. Die von den AkteurInnen anfangs langsam hintereinandergehend im Uhrzeigersinn umrundet wird. Der Zustand des Seins kommt hier noch völlig unaufgeregt daher, die Zeit tickt langsam, jeder ist für sich allein, bis die Kreise kleiner, die Geher und Geherinnen zu Gruppen werden, um sich im nächsten Moment wieder zu vereinzeln. Doch das Kreisen um sich, die anderen und das große Ganze geht weiter, die TänzerInnen scheinen sich nachzurennen bzw. voreinander wegzurennen, gefangen im Sog von Zu- und Abneigung, der Sehnsucht nach Nähe wie Alleinsein.
Auch die Bewegungen, die die sechs machen, spiegeln das gesamte Repertoire des Seins. Sie sind genauso schlaff wie extrem konzentriert, kommen eckig oder organisch gerundet daher, um in Momenten der Ekstase sämtliche Flieh- und Schwerkräfte offensichtlich mühelos außer Kraft zu setzen. In diesen Phasen scheint der Bühnenraum zum Weltraum zu mutieren, die Tanzenden zu Planeten, die sich in größeren und ganz kleinen Radien umkreisen, bisweilen hart aufeinanderknallen oder sich sanft vereinigen, um immer wieder für einen kurzen Moment zu erstarren, sozusagen zur aus Leibern geformten Skulptur zu werden.
Doch das Sein geht weiter. Es wird wieder am Boden gerollt, auf Beinen, Köpfen und Händen gestanden. Körper fliegen durch die Luft, werden aufgefangen, um sich sofort wieder jeder Vereinnahmung durch die anderen zu entziehen, immer auf der Suche nach neuen Formen des Miteinanders. Denn jeder/jede trägt jeden/jede, jede/r ist nichts ohne die anderen. Nur selten löst sich eine Tänzerin oder ein Tänzer von den anderen, beginnt solistisch den Raum zu vermessen, bevor er/sie wieder zum Teil des großen losen Ganzen wird. Das langsame Gehen wieder beginnt, das Licht zunehmend dunkler wird, wodurch die Tanzenden durch die Schatten, die sie auf die weißen Wände werfen, so etwas wie Doppelgänger bekommen.
Neben dem Licht spielt die Musik als Ausdrucks- und Stimmungsträger eine zentrale Rolle in der 2018 entstandenen Produktion „Set of Sets“ der in Barcelona beheimateten Compagnie libanesischer und spanischer KünstlerInnen „GN / MC“.