Bayern, Tirol und Südtirol ziehen an einem Strang: Startschuss für „buchbare Autobahn“
Beim Lkw-Transit wurde am Mittwoch die Fehde zwischen Tirol und Bayern befriedet. Tirol, Südtirol und Bayern unterzeichneten auf der Festung Kufstein eine gemeinsame Erklärung für ein grenzüberschreitendes Verkehrsmanagement. Damit soll die Transit-Lawine nicht nur tageweise, sondern permanent dosiert und damit gelenkt werden.
Kufstein – In der Tiroler Dauercausa Transit ist am Mittwoch zumindest auf regionaler Ebene etwas (symbolische) Bewegung gekommen. Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Südtirols LH Arno Kompatscher (SVP) unterzeichneten und präsentierten am Mittwoch auf der Festung in Kufstein eine politische „Absichtserklärung“ für ein gemeinsames, digitales Verkehrsmanagementsystem am Brennerkorridor, das das sogenannte Lkw-„Slot-System“ beinhaltet.
📽️ Video | Tirol, Bayern, Südtirol einigen sich auf "Slot"-Erklärung
Freilich können die drei Länder ein solches Verkehrsmanagementsystem nicht im „Alleingang“ beschließen und umsetzen, dies fällt in die hoheitliche Zuständigkeit der Nationalstaaten, in diesem Fall Österreich, Deutschland und Italien.
In den kommenden Wochen und Monaten werden die drei Ländern nun ihren Vorschlag im Detail ausarbeiten. „Den übergeben wir dann an unsere Regierungen und die EU, die entscheiden. Die Verantwortung liegt dann nicht mehr bei uns. Das Gute ist: Niemand kann mehr sagen, wir streiten uns“, sagte Markus Söder.
💬 Die Stellungnahmen zum Verkehrsgipfel:
Anton Mattle, Landeshauptmann Tirol: „Das ist ein ganz besonderer Moment für mich. Auch weil ich als Neuer unter den Landeshauptleuten heute nach Kufstein einladen durfte. Wir werden heute eine Vereinbarung unterzeichnen, die wegweisend sein wird für die Zukunft. Mobilität soll so gestaltet werden, das die Gesundheit der Bevölkerung nicht gefährdet, die Natur schont und die Infrastrukturen nicht überbelastet. Lösungen können wir nur dann finden, wenn wir uns auf Wege und Maßnahmen verständigen. Wir präsentieren ein intelligentes Verkehrsmanagement-System. Es soll auf keiner Seite zu großen Staus kommen und entzerrt entsprechend die Verbindung von Norden nach Süden. Dafür brauchen wir aber auch Deutschland, Österreich und Italien. Wir geben heute den ersten Anstoß. Unsere Verständigung soll dazu beitragen, dass wir in kurzer Zeit vom Reden ins Tun kommen.“
Markus Söder, Ministerpräsident Bayern: „Mit diesem Alpengipfel senden wir ein wichtiges Signal: Einige Jahre herrschte Funkstille, jetzt senden wir wieder gemeinsam. Wir bieten an, ein Angebot zu haben, wie man mit der Verkehrssituation umgeht. Unser Ziel ist: Gespräch statt Streit, Idee statt Verweigerung. Wir waren ja grundlegend skeptisch was Blockabfertigung und Abfahrverbote betrifft. Wir wollen ein Konzept schaffen, mit dem Ziel, Entlastung zu schaffen. Unsere Gespräche sind jetzt konstruktiver als in der Vergangenheit. Wir spüren, dass der Brenner Entlastung braucht. Die Zahlen nehmen ständig zu. Der Lkw-Transit wird noch stärker statt weniger. Bisherige Konzepte haben nicht für eine dauerhafte Verbesserung gesorgt. Wir bieten nun ein wirklich digitales Verkehrsmanagement. Eine Art buchbare Autobahn – unentgeltlich aber bindend. Wir geben heute den Startschuss zur Entwicklung, aber das wird nicht über Nacht gehen. Es ist ein echtes Angebot für ganz Europa. Jetzt kann keiner mehr sagen: Wir streiten uns.“
Arno Kompatscher, Landeshauptmann Südtirol: „Allein, dass wir hier heute gemeinsam stehen, ist ein positives wichtiges Zeichen und ein Signal an die Staaten, dass wir an Lösungen kommen wollen. Der Güterverkehr wird in Zukunft nicht abnehmen. Vom Erdulden – Überfahren werden – wollen wir jetzt ins Tun kommen. Es muss möglich sein, dass nicht jeder jederzeit losfahren kann. Mit dem System bieten wir auch eine höhere Verkehrssicherheit, einen fließenden Verkehr. Unser primäres Ziel ist der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt. Es braucht eine staatenübergreifende Lösung. Und wir wünschen uns jetzt eine aktive Vermittlerrolle der EU-Kommission.“
Gemischte Reaktionen auf Gipfel, scharfe Frächter-Kritik
Während die italienischen Frächterverbände bereits gegen die Absichtserklärung mobil machten und den Grundsatz des freien Warenverkehrs verletzt sahen, gab es von der Tiroler Opposition und der SPÖ auf EU-Ebene teils durchaus Zustimmendes.
Scharfe Geschütze fuhren die Frächter südlich des Brenners auf: Die Maßnahmen, die Südtirol, Nordtirol und Bayern ergreifen wollen, würden die Durchfahrt von Lkw am Brenner weiter einschränken und könnten die Schritte des italienischen Verkehrsministers Matteo Salvini (Lega) für den freien Warenverkehr vereiteln, sagte Paolo Uggè, Präsident des Verbands Fai-Conftrasporto. "Es scheint fast so, als wolle man Italien mit seinen Waren und seiner Wirtschaft isolieren. Genug ist genug: Die italienische Regierung soll sofort handeln und die Maßnahmen ergreifen, die wir dem Minister bereits in Gesprächen vorgeschlagen haben", so Uggè.
Ähnlich kritisch auch der Frächterverband ANITA. "Das Verkehrsmanagementsystem mit der obligatorischen Reservierung von Lkw-Transitfahrten auf der Brenner-Achse, das Mattle, Söder und Kompatscher gemeinsam unterstützen wollen, widerspricht dem Grundsatz des freien Verkehrs, einem der Grundpfeiler der Europäischen Union und ist sowohl praktisch als auch operativ nicht umsetzbar", kritisierte ANITA-Präsident Thomas Baumgartner.
SPÖ-Schieder zufrieden
SPÖ-EU-Abgeordneter Andreas Schieder, der auch im Verkehrsausschuss sitzt, meinte unterdessen, dass das Slot-System ein "erster Schritt zu einer nachhaltigen Lösung des Transitproblems" werden könne. Die nationalen Regierungen sollten sich ein Beispiel am koordinierten Vorgehen Tirols, Südtirols und Bayerns nehmen. Klagen seien nicht der richtige Weg, vielmehr müsse auf EU-Ebene zusammengearbeitet werden. Auch dort gebe es "einiges zu tun". "Die EU muss endlich die Rahmenbedingungen schaffen, um die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen Schiene und Straße auszugleichen", mahnte Schieder ein und kritisierte die EU, die "viel zu zögerlich gegen die mächtige Frächterlobby" vorgehe.
Nicht sehr zufrieden mit dem Kufsteiner Ergebnis zeigte sich die oppositionelle Tiroler FPÖ. Landtagsabgeordnete und Verkehrssprecherin Evelyn Achhorner wollte zuerst eine Lkw-Obergrenze festgesetzt wissen, erst dann sollte die Anzahl der Slots fixiert werden. "Es geht nicht nur um die gleichmäßige Verteilung des Verkehrs, sondern um die Gesamtmenge", in diesem Punkt würden die drei Politiker "vermutlich ganz unterschiedliche Auffassungen haben", hielt Achhorner in einer Aussendung fest. Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) würde zudem ohne "konkrete Antworten" zu Detailfragen von dem Treffen zurückkehren, kritisierte sie.
Für Liste Fritz-Obfrau Andrea Haselwanter-Schneider war das Treffen in Kufstein hingegen ein "erster Schritt im Kampf gegen die ausufernde Transitlawine." "Deshalb sollte man nun sofort vom Reden ins Tun kommen und eine für den notwendigen Staatsvertrag zwischen Deutschland, Österreich und Italien für alle akzeptable und brauchbare Lösung ausarbeiten", verlangte Haselwanter-Schneider. Ein "Slot-System" allein sei aber zu wenig, es gelte, notwendige, begleitende Maßnahmen in einem allfälligen Staatsvertrag zu berücksichtigen.
Auch die Liste Fritz-Politikerin verlangte wie die FPÖ eine Obergrenze für Transitfahrten: "Für die Liste Fritz sind in Zukunft mehr als eine Million Transitfahrten durch unser Land nicht mehr akzeptabel, mehr ist unserer Bevölkerung nicht zuzumuten."