Trotz Waffenruhe offenbar erneut Luftangriffe im Sudan
Die für 72 Stunden vereinbarte Waffenruhe hält weitgehend. Indes warnt die WHO wegen der Besetzung eines Labors mit Proben von Krankheitserregern vor einer "extrem gefährlichen" Lage.
Khartum – Trotz einer seit Mitternacht geltenden Waffenruhe ist es am Dienstag in der Hauptstadtregion des Sudans laut Medienberichten erneut zu Luftangriffen gekommen. Dabei soll die Stadt Omdurman, die unmittelbar an die Hauptstadt Khartum angrenzt, in den Fokus gerückt sein. Eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur berichtete, dass bei den Gefechten auch ein Krankenhaus getroffen wurde. Bisher gab es keine Informationen über die Anzahl von Toten oder Verletzten.
Im Sudan sind vor mehr als einer Woche schwere Kämpfe zwischen dem Militär und Paramilitär ausgebrochen. De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, will mithilfe des Militärs seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo entmachten, den Anführer der einflussreichen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF). Die beiden hatten die Führung des Landes am Horn von Afrika mit rund 46 Millionen Einwohnern durch zwei gemeinsame Militärcoups 2019 und 2021 übernommen. Bei den Kämpfen sind nach WHO-Informationen mindestens rund 460 Menschen umgekommen und fast 4100 verletzt worden. Die wahre Zahl dürfte deutlich höher liegen.
Gefährliche Lage nach Besetzung von Labor
Nach der Besetzung eines staatlichen Medizinlabors mit Proben von Krankheitserregern warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterdessen vor einer "extrem, extrem gefährlichen" Situation. WHO-Sprecher Nima Saeed Abid sprach im Zusammenhang mit der "Besetzung des Medizinlabors durch eine Konfliktpartei" von einem "sehr großen biologischen Risiko". Er sagte nicht, welche der beiden Konfliktparteien das Labor besetzt hält. In der Einrichtung werden nach WHO-Angaben Proben verschiedener potenziell tödlicher Krankheitserreger wie Cholera, Masern und Kinderlähmung gelagert. Alle anwesenden Labortechniker seien von den Kämpfern vertrieben worden, hieß es.
Die deutsche Bundeswehr wird unterdessen ihre Evakuierungsflüge aus dem Sudan am Dienstagabend beenden. Das gaben Auswärtiges Amt und das Verteidigungsministerium in einer gemeinsamen Erklärung bekannt. "Sofern andere Nationen den Betrieb des Flugverkehrs sicherstellen, sind keine weiteren deutschen Evakuierungsflüge aus dieser Region geplant", heißt es dort. Am Abend ist ein letzter und damit sechster Flug geplant. Das Krisenunterstützungsteam des Auswärtigen Amtes und die Bundeswehr würden dann ihre Kräfte zurück nach Deutschland verlegen. Noch in Sudan verbliebenen Deutsche könnten in den nächsten Tagen von den internationalen Partnern bei deren Evakuierungsflügen mitgenommen werden.
Beide Ministerien gaben an, dass bis Dienstagmittag bei fünf Evakuierungsflügen rund 490 Personen durch die Bundeswehr ausgeflogen wurden, darunter rund 170 Deutsche und 20 Jordanier. Die Bundeswehr habe insgesamt Menschen aus rund 30 Nationen evakuiert, zum Beispiel 90 Kanadier und mehr als 40 Niederländer. Die Menschen wurden zunächst nach Jordanien geflogen.
Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius dankten allen zivilen und militärischen Kräften für ihre Leistung im Rahmen der Evakuierungsmission. Bei dem Einsatz waren rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten im Nahen Osten und Nordafrika im Einsatz.
Auch Österreicher gerettet
Bis Dienstag früh waren unterdessen insgesamt 34 Österreicherinnen und Österreicher im Rahmen von Evakuierungsmissionen auf dem Luftweg sicher außer Landes gebracht worden, wie das Außenministerium der APA mitteilte. 27 Personen - darunter rund ein Dutzend Kinder - davon waren bereits in der Nacht auf Montag an Bord von drei Flugzeugen der Deutschen Bundeswehr nach Jordanien ausgeflogen worden. Die Bemühungen, auch die verbliebenen Österreicher bei einer sicheren Ausreise zu unterstützen, liefen am Dienstag weiter. Auf geplanten Evakuierungsflügen europäischer Partner seien auch Kapazitäten für ausreisewillige österreichische Staatsbürger zugesagt und vorhanden, heiße es.
Aufgrund der anhaltenden Kämpfe in Khartum hatten zahlreiche Länder Evakuierungseinsätze für ihre Staatsangehörigen in dem nordostafrikanischen Land gestartet. Großbritannien begann am Dienstag mit einer "groß angelegten Evakuierung", nachdem Kritik an der Regierung in London laut geworden war, sie würde ihre Staatsbürger im Sudan im Stich zu lassen. Ein Sprecher von Premierminister Rishi Sunak sagte: "Wir arbeiten hierbei eng mit unseren deutschen Verbündeten zusammen."
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte unterdessen, Frankreich habe 538 Menschen aus dem Sudan ausgeflogen, darunter 209 Franzosen. Die Ukraine meldete, sie habe 138 Menschen aus dem Sudan nach Ägypten gebracht, darunter 87 Ukrainer. Seit Samstag wurden im Rahmen der verschiedenen internationalen Einsätze bisher mehr als 4000 Menschen in Sicherheit gebracht.
UNO-Konvoi erreichte Rotes Meer
Ein UNO-Konvoi mit etwa 700 Menschen erreichte Montag die Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer. Der UNO-Sonderbeauftragte für den Sudan, der Deutsche Volker Perthes, erklärte, der Konvoi sei sicher angekommen.
Bei den Kämpfen im Sudan kam indes ein Mitarbeiter der ägyptischen Botschaft ums Leben. Er sei auf dem Weg zur Botschaft in Khartum getötet worden, teilte ein Sprecher des Außenministeriums in Kairo am späten Montagabend bei Twitter mit. Der Mann habe als stellvertretender Verwaltungs-Attaché gearbeitet. Er sei auf dem Weg zur Botschaft gewesen, um die Evakuierung ägyptischer Staatsbürger zu unterstützen.
US-Außenminister Antony Blinken hatte am Montag erklärt, die sudanesische Armee und die paramilitärische RSF-Miliz hätten sich nach "intensiven Verhandlungen" auf eine dreitägige landesweite Waffenruhe ab Mitternacht verständigt. Sowohl die Armee als auch die RSF-Miliz bestätigten ihre Zustimmung zu der Vereinbarung.
USA vermitteln für dauerhaften Frieden
Blinken rief beide Seiten auf, die Feuerpause in diesem Zeitraum "sofort und vollständig" einzuhalten. Die USA wollten sich zudem für ein "dauerhaftes Ende der Kämpfe" einsetzen, erklärte der Außenminister.
Die Europäische Union begrüßte die Ankündigung einer Waffenruhe. "Wir fordern beide Seiten auf, sie vollauf einzuhalten", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.
Über die Sicherheitssituation im Sudan außerhalb der Hauptstadt ist derzeit wenig bekannt. Vor der Waffenruhe waren vor allem aus der westlichen Region Darfur heftige Kämpfe gemeldet worden. Tausende Sudanesen haben versucht nach Ägypten zu fliehen. Die Vereinten Nationen rechnen damit, dass bis zu 270.000 Menschen aus dem nordostafrikanischen Land in die Nachbarländer Tschad und Südsudan fliehen könnten.
Großbritannien hat wegen der Krise eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats beantragt. Diplomatenkreisen zufolge soll diese noch am Dienstag stattfinden. Bei den seit Mitte April anhaltenden Gefechten zwischen der Armee und der RSF-Miliz wurden nach UNO-Angaben mindestens 459 Menschen getötet und mehr als 4000 weitere verletzt. (APA, dpa, AFP)