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Zu alt für den Job? Warum Biden noch einmal US-Präsident werden kann

Joe Bidens Schwäche und Stärke: Vorigen Sommer hatte der Präsident einen Fahrradunfall, was ihn in der öffentlichen Wahrnehmung alt wirken ließ. Dabei war er nur im Zehenriemen hängen geblieben, was häufig passiert. Die Erzählung hätte eigentlich sein müssen, dass Biden noch immer regelmäßig Radsport betreibt, meint Altersforscher Olhansky.
© AFP/Kamm

Nun ist es also offiziell: US-Präsident Joe Biden bewirbt sich nächstes Jahr um die Wiederwahl. Selbst in seiner eigenen Partei schütteln viele den Kopf. Biden wäre zu Beginn seiner zweiten Amtszeit 82 Jahre alt, am Ende 86. Kann er das Ding noch einmal schaukeln?

Warum tritt Biden wieder an?

Biden habe das Gefühl, seine Arbeit sei unvollendet, sagt der US-Politologe David Rowe. Der Präsident sei „zutiefst patriotisch und spürt, dass die amerikanische Demokratie vor den gewaltigsten und komplexesten Herausforderungen für ihre Existenz seit dem Zweiten Weltkrieg steht“. Als Beispiele nennt Rowe die von Amtsvorgänger Donald Trump entfesselte MAGA-Bewegung (Make America Great Again) und die Verschiebung der globalen Ordnung durch den Ukraine-Krieg. „Diese Herausforderungen bestehen weiter.“

Niemand in Washington verfügt über vergleichbare politische Erfahrung. Biden wurde 1972 erstmals in den Senat gewählt und war acht Jahre Vizepräsident. Er sieht sich in der Verantwortung, sein Land zu retten.

Abgesehen davon hat zuletzt 1968 ein Präsident darauf verzichtet, zur Wiederwahl anzutreten. Und Biden steht insgesamt nicht so schlecht da. Als Hauptgrund für die Skepsis bleibt damit sein Alter. Rowe: „Wäre Biden nicht so alt, hätte wohl niemand in der Demokratischen Partei oder bei den Unabhängigen Bedenken gegen seine erneute Kandidatur.“

Wollen ihn die Amerikaner?

Zuletzt sagte nur ein Viertel der Amerikaner, Biden solle noch einmal antreten. Auch viele Demokraten sehnen sich nach einem frischen Gesicht, sie wissen aber nicht, welches, schrieb die New York Times. Allerdings: Vier von fünf Demokraten sind mit der Arbeit des Präsidenten zufrieden. Ebenso viele gaben zuletzt an, sie würden sicher oder wahrscheinlich für ihn stimmen, sollte er der Kandidat sein. Biden löst also keinen Enthusiasmus aus, aber er gilt vielen als wählbar, wenn es darauf ankommt – ähnlich wie 2020.

Die Partei hat sich schon länger damit abgefunden, wieder mit Biden ins Rennen zu gehen. Andere Interessenten haben durchblicken lassen, dass sie bis 2028 warten. Selbst die Parteilinke bescheinigt dem Mitte-Politiker, dass er ihre Erwartungen übertroffen hat.

Biden könnte also mit dem offiziellen Start seiner Kampagne noch warten. Dass er bereits zum Jahrtag seiner Bewerbung 2019 loslegt, hat viele überrascht.

Kann er ein zweites Mal gewinnen?

Biden gilt als nicht besonders populär, aber seine Regierung habe sich nach anfänglichen Schwierigkeiten als effektiv erwiesen, sagt Rowe. „Er war in der Innen- wie auch in der Außenpolitik ein überraschend konsequenter Präsident“ – von der Umgestaltung der Wirtschaft bis zur Ukraine. Und je mehr die Erinnerung an den katastrophalen Abzug aus Afghanistan verblasst und die Teuerung zurückgeht, „desto deutlicher wird die Stärke von Bidens Bilanz“.

Die größte Schwachstelle sei das Alter, sagt Rowe. 69 Prozent der Menschen, die sagen, Biden solle nicht mehr antreten, beziehen sich auf das Alter. Zwar ist Biden schon seit Jahrzehnten für seine Ausrutscher berüchtigt. Aber im Wahlkampf mit 80 Jahren werde „jedes Stottern und jede verbale Entgleisung als Zeichen nachlassender geistiger Schärfe gewertet“.

Dennoch bilanziert Rowe: „Ich denke, dass Biden eine gute Chance hat, wiedergewählt zu werden.“

Ist er zu alt für das Präsidentenamt?

„Biologisch gesehen ist Biden wahrscheinlich um viele Jahre jünger“, sagt der amerikanische Altersforscher Jay Olhansky. Beim Präsidenten gebe es starke Signale dafür, dass er zur Gruppe der „Superager“ gehört, die jenseits der 80 sehr rüstig bleiben. Im Wahlkampf 2020 sei Bidens Alter nicht relevant gewesen, „und in Bidens jüngeren medizinischen Unterlagen sind keine neuen Beweise aufgetaucht, die das Gegenteil nahelegen“.

Im Schnitt verdopple sich alle sieben bis acht Jahre das Risiko, „dass mit dem menschlichen Körper und Geist etwas schiefgeht“. Aber auf Superager treffe das nicht im selben Maß zu, und gerade Spitzenpolitiker scheinen oft durch Stress aufzuleben.

Aber auch Olhansky erwartet, dass Bidens Gegner sein Alter thematisieren. Er spricht von den „stärksten Bemühungen, die ich bisher gesehen habe, um das Alter bei einer Präsidentschaftswahl als politische Waffe einzusetzen“.

Gibt es 2024 ein Déjà-vu?

Bidens Wahlchancen hängen wesentlich davon ab, wer sein Gegner sein wird. „Er wäre verwundbar gegenüber einem jüngeren und dynamischeren republikanischen Kandidaten, der die gemäßigten Wähler ansprechen kann“, sagt Rowe. Aber im Moment deuten alle Zeichen auf Donald Trump. Zwei Drittel der republikanischen Vorwahlteilnehmer stehen hinter dem Ex-Präsidenten, und bisher hat es kein Republikaner gewagt, sich offen mit ihm anzulegen.

„Da Trump ein ähnliches Alter hat (76, Anm.), wäre damit das Alter vom Tisch“, sagt Rowe. Zudem hat Biden bewiesen, dass er gegen Trump gewinnen kann. Der Guardian nannte ihn „Trump-Würger“.

Derzeit gilt eine Neuauflage des Duells von 2020 als wahrscheinlichste Variante. Selbst wenn Trump in der Vorwahl unterliegt, könnte Biden davon profitieren. Trump sei „rachsüchtig genug und hat noch genügend Anhänger, um sicherzustellen, dass jeder republikanische Kandidat, der nicht er selbst ist, in der allgemeinen Wahl verliert“, sagt Rowe.