„The Whale“: Gefangen in innerer Traurigkeit
Darren Aronofsky ermöglicht mit „The Whale“ seinem Hauptdarsteller Brendan Fraser ein emotionales, oscarprämiertes Comeback.
Innsbruck – Darren Aronofsky hat ein Händchen für Comeback-Geschichten. Mit „The Wrestler“ ebnete er Schauspieler Mickey Rourke den Weg zurück ins Filmgeschäft. Nun ermöglicht „The Whale“ seinem 54-jährigen Hauptdarsteller Brendan Fraser eine Wiederauferstehung nach einigen Jahren im Aus. Auch wenn Amerika seine „Comeback Kids“ liebt: Beide Schauspieler hatten mit realen persönlichen Problemen zu kämpfen, das ist mehr als nur ein Marketing-Gschichtl. Und beide Schauspieler wurden für den Oscar nominiert; Brendan Fraser hat ihn für seine Rolle in „The Whale“ heuer auch gewonnen – ein ehrlich emotionaler Moment.
„The Whale“ ist also einer jener Filme, die sich unauflöslich mit ihrer Entstehungsgeschichte verbinden. Denn auch in der Theater-Adaption geht es um eine Figur am Abgrund. Charlie ist Hochschullehrer für Englisch. Und er ist adipös. Nicht leicht, sondern so stark, dass es schwer gesundheitsgefährdend ist. Er arbeitet im Home-Office, mit verdeckter Kamera, kann sein Wohnzimmer nicht mehr verlassen und bestellt sich Pizza. Nur die befreundete Krankenschwester Liz (großartig: Hong Chau) versorgt den gewichtigen Patienten, der sich im kaputten US-Sozialstaat keine Krankenversicherung leisten kann. Sein einziger Wunsch: seiner Teenager-Tochter Ellie (Sadie Sink) das Selbstvertrauen mitzugeben, das er selbst schon lange verloren hat.
🎬 Trailer | „The Whale“
Die Adipositas ist im Film nicht nur Krankheit, sondern zugleich eine große Metapher für die innere Traurigkeit der Hauptfigur. Charlie hat sich völlig von der Welt zurückgezogen. Er frisst Scham und Schuld in sich hinein. Sein Rückzug spiegelt sich in der filmischen Reduktion des ungewöhnlichen Theaterstoffs ebenso wie im Filmdreh am Beginn des zweiten Pandemiejahres 2021. All diese Querverbindungen öffnen das relativ simple Drama mit seinen ehrlichen, aber nicht gerade subtilen Tränendrüsenmomenten für neue Zugänge.
Regisseur Darren Aronofsky ist bekannt für seine eigenwilligen Projekte. Auch in diesem Film bringt der „Mother“-Regisseur biblische Anspielungen unter, das Motiv des Wals taucht zudem als „Moby Dick“ auf, dessen Lektüre Englischlehrer Charlie mehrfach zitiert. Eine klassische Erlösungsgeschichte hat Aronofsky mit „The Whale“ aber auch diesmal verfilmt.
Für Teile des Publikums wird das ein Zuviel an Kitsch-Gewicht darstellen. Auch wenn Drehbuch, Regie und vor allem das starke Schauspielensemble einen gewissen Schmäh in die Mitleidsmomente bringen. Charlie ist trotz oder gerade wegen seiner körperlichen Erscheinung und seelischen Selbstaufgabe jedenfalls ein ungemein sympathischer Charakter. Auch Fraser erzählte in Interviews, „ich könnte mit diesem Typ befreundet sein“. Und: Er kann sich mit dem psychischen Tal seiner Figur identifizieren. Im realistischen 136-Kilo-Fatsuit vermittelt Charlie eine existenzielle Menschlichkeit, die berührt.
„The Whale“ bekam bei seiner Weltpremiere in Venedig viel Applaus, der vor allem Brendan Fraser selbst galt. Für seine „Brenaissance“ nach ihm Oscargewinn ist jedenfalls nur das Beste zu wünschen.
🎬 The Whale. Ab 12 Jahren, ab morgen im Kino.