„Angriff auf Putin"

Moskau wirft Ukraine Drohnen-Angriff auf Kreml vor, Selenskyj dementiert

Laut Kreml wurden zwei Drohnen ausgeschaltet.
© APA/AFP/NATALIA KOLESNIKOVA

In der Nacht auf Mittwoch wurden zwei Drohnen über dem Kreml abgeschossen. Das russische Präsidialamt spricht von einem versuchten Angriff auf Putin. Dieser sei erfolgreich abgewehrt worden. Die Ukraine dementiert.

Moskau – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weist russische Vorwürfe eines Attentatsversuchs auf Staatschef Wladimir Putin zurück. "Wir haben Putin oder Moskau nicht angegriffen", erklärte Selenskyj am Mittwoch vor Journalisten in Helsinki. "Wir greifen Putin nicht an, wir überlassen das einem Tribunal." Russland hatte die Ukraine beschuldigt, mit einem Drohnenangriff Putin nach dem Leben getrachtet zu haben.

Putin sei unversehrt, er habe sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht im Kreml aufgehalten, teilte das russische Präsidialamt am Mittwoch mit. "Wir werten dies als einen geplanten Terrorangriff und als Anschlag auf den Präsidenten am Vorabend der Siegesparade am 9. Mai", hieß es seitens des russischen Präsidialamtes. Die russische Seite behalte sich das Recht vor, darauf mit Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren, wo und wann sie dies für richtig halte, hieß es. "Zwei unbemannte Fluggeräte waren auf den Kreml gerichtet", erklärte das Präsidialamt. "Durch rechtzeitige Maßnahmen des Militärs und der Spezialdienste unter Verwendung von Radarkampfsystemen wurden die Geräte außer Betrieb gesetzt."

Der Berater des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, Mychailo Podoljak, hatte bereits zuvor betont, die Ukraine habe nichts mit dem Angriff zu tun. Der Ukraine würde ein solches Vorgehen nichts auf dem Schlachtfeld nützen und nur Russland dazu provozieren, "radikalere Maßnahmen" zu ergreifen. Die Stellungnahme Russlands könne darauf hinweisen, dass es sich auf einen großen "terroristischen" Angriff auf die Ukraine in den kommenden Tagen vorbereite.

Laut russischen Behörden seien Trümmer der Drohnen auf das Kreml-Gelände gestürzt. Es habe keine Opfer gegeben, es sei auch kein Schaden an Gebäuden entstanden. In einem in den sozialen Medien verbreiteten Video waren blasse Rauchwolken über dem Kreml zu sehen. Die Echtheit des Videos ließ sich zunächst nicht bestätigen.

Putin ging seinen Amtsgeschäften der staatlichen Nachrichtenagentur RIA zufolge am Mittwoch in seiner Residenz Nowo Ogarjowo außerhalb von Moskau nach. Das Präsidialamt teilte zudem mit, die Militärparade am 9. Mai in Moskau, zu der auch ausländische Gäste erwartet werden, werde wie geplant abgehalten. An diesem Tag wird traditionell der Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland gefeiert.

US-Außenminister rät bei Angaben aus Moskau zur Vorsicht

US-Außenminister Antony Blinken sagte mit Blick auf die Authentizität der Informationen aus Russland, alles was aus dem Kreml komme, sei mit großer Vorsicht zu genießen. Auf die Frage, ob die USA die Ukraine kritisieren würden, wenn das Land sich für Gegenangriffe auf russischem Territorium entschiede, antwortete Blinken, die Entscheidungen über die Verteidigung des Landes lägen allein bei der Ukraine. Ein US-Beamter, der namentlich nicht genannt werden wollte, erklärte, die Information aus Moskau würden noch überprüft. "Wenn da etwas war, dann gab es keine Vorwarnung."

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor mehr als 14 Monaten hat es keine ähnlich scharfen Vorwürfe Russlands gegen die Ukraine gegeben. In Russland wurden umgehend Forderungen nach rascher Vergeltung laut. Der einflussreiche Präsident des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin, verlangte den Einsatz von "Waffen, die das Kiewer Terrorregime stoppen und zerstören können". Margarita Simonjan, Leiterin des staatlichen Fernsehsenders RT, schrieb auf Telegram: "Vielleicht geht es jetzt wirklich los?" (APA/Reuters)

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Russland-Experte Mangott: Angriff wohl "demonstrativer Akt Kiews"

Der Russland-Experte Gerhard Mangott hält einen Angriff von ukrainischer Seite auf den Kreml in der Nacht auf Mittwoch für wahrscheinlich - wobei es wohl nicht darum gegangen sei, Präsident Wladimir Putin zu töten, so Mangott am Mittwoch. Der Politologe der Universität Innsbruck spricht von einem "demonstrativen Akt der Ukraine". Putin sei selten im Kreml, schon gar nicht in der Nacht, das wisse Kiew.

"Wenn westliche Medien nun davon schreiben, dass es sich um ein Attentat auf Putin handelt, dient das der russischen Propaganda", sagt Mangott. Mit dem Tod Putins wäre auch "nichts gewonnen, der Krieg würde fortgesetzt".

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte am Mittwochnachmittag: "Wir haben Putin nicht angegriffen, wir überlassen das dem Tribunal." Der Berater Selenskyjs, Mychailo Podoljak, hatte via Twitter zuvor von Guerilla-Aktivitäten lokaler - also russischer - Widerstandskräfte geschrieben: "Wie Sie wissen, kann man Drohnen in jedem Militärgeschäft kaufen..."

Laut Mangott fehlen "belastbare Belege" für die Existenz solcher Gruppen, auch wenn es etwa viele ukrainische Gastarbeiter in Russland gebe. "Die These von einem russischen Partisanenakt halte ich nicht für glaubwürdig." Wenn es stimme, dass hinter Sabotageakten wie dem Entgleisen von Güterzügen in der westrussischen Region Brjansk Kiew stecke, dann stelle sich die Frage: "Warum sollte die Ukraine keinen Drohnenangriff auf den Kreml schaffen, technisch ist sie dazu in der Lage und ein Motiv hätte sie dafür."

Bestätigen könne Kiew einen Drohnenangriff auf den Kreml nicht, da westliche Waffenlieferungen mit der Bedingung verknüpft seien, diese für die Verteidigung zu nutzen.

Für Russland könnte der behauptete Angriff jedenfalls eine Rechtfertigung für verschärfte Angriffe auf das Regierungsviertel in Kiew sein. "Doch Kiew verfügt über eine gute Luftabwehr", so Mangott. Eine Rechtfertigung, um Zivilistinnen und Zivilisten zu töten, brauche Moskau nicht: "Das passiert ohnehin schon."

Technisch sei Moskau in der Lage zu einer kompletten Inszenierung eines Angriffs, einer "False-Flag-Operation" - das heißt, auch ein Fake-Video wäre möglich. Mit einem wie auch immer inszenierten Angriff könnte man der russischen Bevölkerung verdeutlichen, dass das Heimatland in Gefahr sei, dass Krieg drohe, so Mangott. "Doch nur, weil man technisch dazu in der Lage ist und ein Motiv hat, begründet das nicht immer eine Täterschaft", sagt er. Russland würde damit nämlich auch zugeben, dass die Luftabwehr offenbar nicht sehr effektiv sei.

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