Radikal zärtlich

„Gestures of Affection“: Bettina Siegeles Debüt für die Tiroler Künstler:innenschaft

Kartografierung emotionaler Erinnerungen: Robert Gabris’ „My Country, My Blood“ ist seit heute in der Neuen Galerie zu sehen.
© Jarosch

Innsbruck – Der Fistbump wurde in Corona-Zeiten zur pandemiekonformen Begrüßungsformel – sogar in formellen Treffen, was gelegentlich ungelenke Fuchteleien hervorbrachte. Die gute alte informelle Umarmung kommt erst langsam wieder zurück, Künstlerin Laura Cemin machte sie mit „In between. The warmth“ 2020 prompt zur intimen Performance. Zehn Sekunden drückte sie ihre Liebsten – und ordnete jedem und jeder daraufhin ein Objekt zu. Mit der fotografischen Dokumentation der Performance eröffnet Bettina Siegele, seit 2022 Leiterin der Tiroler Künstler:innenschaft, nun ihre erste eigene Ausstellung in der Neuen Galerie. Sie gibt damit den BesucherInnen schon zu Beginn der Schau eine Geste der Zuneigung mit.

Keine schlechte Idee, fühlt man sich in „Gestures of Affection“, wie Siegele ihr kuratorisches Debüt für die Künstler:innenschaft nennt, doch gleich seltsam willkommen. Und auch sonst macht Siegele es dem Publikum nicht allzu schwer. Sie ordnet die vier Positionen fein säuberlich in die vier Räume der Neuen Galerie. Der Körper und die Identität bzw. wie man beidem im Heute (nach Autorin S¸eyda Kurt) radikal zärtlich begegnen könnte, vereint die doch sehr unterschiedlichen Kunstschaffenden.

Von Cemin hangelt man sich weiter zu Robert Gabris, der 260 Erinnerungen und Emotionen auf einer Landkarte festhält und damit seine Vorstellung von Heimat, die sich nicht an nationale Grenzen hält, kurzerhand emotional vermisst. Eng mit der eigenen postmigrantischen Identität ist auch die Arbeit von caner teker verbunden. Das in Gelb getauchte „tools for anarchiving“ hat wie Cemins Eingangswerk eine performative Vorgeschichte, in der caner teker den traditionell türkischen Öl-Ringkampf in ein Ringen mit der eigenen (Trans-)Identität umwandelte. Toxische Männlichkeit jedenfalls löst sich jetzt in den Seifenstücken aus destilliertem Schweiß und Öl auf.

Dem Körper und dem Alltag der Mutter begegnet derweil die gebürtige Innsbruckerin Anna Lerchbaumer – und zwar nicht ohne Augenzwinkern. Aus Babywippe und Co. werden bei ihr dysfunktionale Care-Roboter, die niemand mehr in den Schlaf wiegen, sondern eher das Auge unterhalten. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine jedenfalls verschwimmt in der Installation „3 verpasste Anrufe am Babyphone“ endgültig – eine interessante Auseinandersetzung, von der man gerne mehr sehen möchte.

Insgesamt ist Siegele also ein anspruchsvolles Debüt gelungen, das sich zugänglich präsentiert, ohne gefühlig zu werden – gleichzeitig aber kaum neue Aspekte zum Thema aufschlägt. Aber Zeit für neue Zugänge bleibt ja noch genug. (bunt)

Neue Galerie. Rennweg 1, Innsbruck; bis 5. August. Mi-Fr 12–17 Uhr, Sa 11–15 Uhr.

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