Krieg in der Ukraine

Ukrainische Soldaten-Witwen im Einsatz an der Front

Ukrainische Soldatinnen am Internationalen Frauentag in Kiew. Laut offiziellen Angaben dienen 42.000 Frauen in der ukrainischen Armee. 5000 von ihnen kämpfen an der Front.
© imago

Ukrainerinnen greifen nach dem Tod ihrer Männer zur Waffe. Und kämpfen selbst in der Hölle von Bachmut. Dort, wo seit Wochen die Kämpfe am heftigsten toben.

Kiew –Als Russland die Ukraine überfiel, trafen Switlana Powar und ihr Mann Semen eine Vereinbarung: Sie bleibt dem Sohn zuliebe zu Hause, er geht an die Front, damit ihr Kind eines Tages in Frieden leben kann. Doch dann wurde Semen Powar getötet, Switlana erfuhr davon an ihrem 42. Geburtstag im September. Seither fühlt sie sich nicht mehr an den Pakt gebunden, sie meldete sich zum Kriegsdienst.

„Ich bettelte fünf Monate an den Türen der Militärbüros“, berichtet Powar. Schließlich nahm die Armee die Witwe auf. Seither ist sie in der Nähe von Bachmut im Osten im Einsatz – dort, wo die Kämpfe am heftigsten sind. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass jemand über mich wacht. Ich sage mir, dass er existiert, dass er mir hilft.“

Manchmal habe ich das Gefühl, dass jemand über mich wacht. Ich sage mir, dass er existiert, dass er mir hilft.
Switlana Powar, Soldatin

Während Powar spricht, geht ihr Blick hinaus aus dem Fenster ihrer Kiewer Wohnung aus der Sowjetzeit. Gerade hat sie Fronturlaub. Sie presst die Hände beim Erzählen fest zusammen, dann kommen ihr die Tränen. Der Wunsch, gegen die russische Invasion zu kämpfen, sei nicht aus Rache entstanden, sondern aus dem Bedürfnis, zu Ende zu bringen, was ihr Mann begonnen habe, sagt Powar. „Mein Mann sagte immer, dass wir unseren Glauben an Gott, die Liebe zu unserem Land und die Gabe der Barmherzigkeit weitergeben müssen – und nicht den Krieg. Wir müssen ihn beenden, nicht unsere Kinder.“

Powar schaffte es nicht, ihrem Sohn zu sagen, dass sie genau dort kämpfen würde, wo sein Vater als Scharfschütze ums Leben kam. Doch ihr Sohn, der in Polen studiert, fand es schließlich selbst heraus. Seitdem versucht er mit ihr zu besprechen, was zu tun ist, wenn auch sie von der russischen Armee getötet wird. Doch Powar will darüber nicht reden. „Wenn er damit anfängt, breche ich diese Gespräche ab und sage ihm, dass alles gut gehen wird.“

Als er starb, wurde mir klar, dass sich jemand für seine Sache einsetzen muss.
Jewgenija Kolesnitschenko, Soldatin

42.000 Frauen dienen offiziellen Angaben zufolge in der ukrainischen Armee, 5000 von ihnen an der Front. Zahlen darüber, wie viele von ihnen Soldaten-Witwen sind, gibt es nicht. Switlana Powar ist jedoch sicher nicht die einzige.

Jewgenija Kolesnitschenko aus der zerstörten Stadt Awdijiwka in der Region Donezk beschloss bei der Beerdigung ihres Mannes, an die Front zu gehen – als Sanitäterin. Kolesnitschenko war mit ihrer 13-jährigen Tochter und ihren zehn Jahre alten Zwillingsbuben bereits in Polen in Sicherheit, als im November der Anruf kam: Ihr Mann sei in Bachmut gefallen.

„Als er starb, wurde mir klar, dass sich jemand für seine Sache einsetzen muss“, sagt die 34-Jährige im ostukrainischen Karliwka. Vor dem Krieg hatte sie ihr eigenes Geschäft, in dem sie Stickmuster entwarf. Nach dem russischen Überfall wollte Kolesnitschenko als Militärsanitäterin arbeiten, aber ihr Mann war dagegen gewesen. Hätte sie ihn retten können? „Ich weiß, dass er mit seinen Verletzungen nicht überleben konnte. Aber jetzt tue ich mein Bestes, um andere Helden zu retten“, sagt sie. Aus der Ferne ist das Donnern der Granaten von der Front zu hören, in der Nähe summen Bienen. „Ich arbeite, damit so viele Ehemänner und Söhne wie möglich nach Hause zurückkehren.“

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Zwei von Kolesnitschenkos Kolleginnen haben ihre Männer ebenfalls im Krieg verloren. Sie kennt auch Frauen, die wie Switlana Powar an der Front kämpfen. Die Zukunft des Landes stehe auf dem Spiel, sagt Kolesnitschenko. „Deshalb bin ich hier.“ Sie ist sich im Klaren, dass ihre Kinder bald Vollwaisen sein könnten. Kolesnitschenko hat schon geregelt, wer sich dann um die drei kümmern würde. (AFP/Jonathan Brown)

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