Amtsinhaber Erdogan siegte bei Präsidenten-Stichwahl in der Türkei
Recep Tayyip Erdogan ist erneut zum Präsidenten der Türkei gewählt worden und steht vor einer weiteren fünfjährigen Amtszeit. Laut staatlicher Wahlkommission lag Erdogan mit 52,1 Prozent deutlich vor Kilicdaroglu, der 47,9 Prozent erreichte.
Istanbul/Ankara – Der seit 20 Jahren regierende türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan steht vor einer weiteren fünfjährigen Amtszeit. Laut vorläufigem Endergebnis siegte der 69-Jährige am Sonntag in der Stichwahl um das Präsidentenamt. Laut staatlicher Wahlkommission lag Erdogan mit 52,1 Prozent deutlich vor Kilicdaroglu, der 47,9 Prozent erreichte. Erdogan erklärte in Istanbul vor jubelnden Anhängern, er sehe das Ergebnis als Auftrag für eine Fortsetzung seiner Präsidentschaft.
Bei einer anschließenden Rede vor dem Präsidentenpalast in Ankara sprach Erdogan von einem Sieg der Demokratie, bei dem niemand verloren habe. Der Opposition warf er ein weiteres Mal Verbindungen zum Terrorismus vor, gegen den er nun verschärft vorgehen wolle. Ausländischen Medien warf Erdogan Stimmungsmache vor. Deutsche, französische und englische Zeitungen hätten versucht, ihn zu "stürzen", es aber nicht geschafft, sagte Erdogan.
Sein unterlegener Herausforderer Kilicdaroglu zeigte sich "traurig" über die Folgen von Erdogans Sieg für die Zukunft der Türkei. Die Wahl sei die unfairste seit Jahren gewesen, erklärte Kilicdaroglu.
Der Urnengang am Sonntag war die erste Stichwahl um das Präsidentenamt in der Geschichte des Landes. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erhalten. Umfragen vor der ersten Runde hatten den sozialdemokratischen Oppositionschef Kilicdaroglu noch vorn gesehen. Anders als vorhergesagt landete Erdogan dann jedoch knapp fünf Prozentpunkte vor Kilicdaroglu und verfehlte die absolute Mehrheit nur knapp.
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Putin als einer der ersten Gratulanten
Zu den ersten internationalen Gratulanten Erdogans zählte am Sonntag der russische Präsident Wladimir Putin. Er nannte Erdogan einen "lieben Freund" und bezeichnete das Wahlergebnis als Bestätigung einer "unabhängigen Außenpolitik" des türkischen Präsidenten. Das NATO-Mitglied Türkei pflegt auch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine enge Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine und zur EU. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, er setzte auf "die strategische Partnerschaft" der Ukraine und der Türkei und erhoffe sich eine gemeinsame Stärkung von Sicherheit und Stabilität in Europa.
US-Präsident Joe Biden teilte mit, er zähle auf die Zusammenarbeit bei "bilateralen Angelegenheiten und globalen Herausforderungen". Die beiden NATO-Verbündeten liegen in verschiedenen Punkten über Kreuz. So sperrt sich Erdogan gegen den von Schweden infolge des Ukraine-Kriegs angestrebten NATO-Beitritt. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gratulierte Erdogan. "Ich freue mich, unsere Arbeit zusammen fortzusetzen und den NATO-Gipfel im Juli vorzubereiten", so Stoltenberg auf Twitter.
Gratulationen kamen auch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel, die erklärten, sie freuten sich darauf, den Aufbau der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei weiter voranzutreiben.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, er wolle mit Erdogan "unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben." Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron meinte, Frankreich und die Türkei hätten "gemeinsam gewaltige Herausforderungen zu bewältigen, der britische Premierminister Rishi Sunak erwähnte speziell die "Bewältigung von Bedrohungen der Sicherheit als NATO-Verbündete".
In Österreich lebende Türken stimmten klar für Erdogan
Die in Österreich lebenden türkischen Staatsbürger haben auch bei der Stichwahl mit großer Mehrheit für Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan gestimmt. Fast 74 Prozent der wahlberechtigten Türkinnen und Türken in Österreich gaben ihm nach vorläufigen Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu ihre Stimme. Damit schnitt Erdogan in Österreich erneut deutlich besser ab als insgesamt. In Wien wurde die Wiederwahl Erdogans von dessen Fans am Sonntagabend lautstark gefeiert.
Nach Auszählung von mehr als 91 Prozent der Wahlurnen stimmten 73,88 Prozent der Auslandstürkinnen und -türken in Österreich für den Amtsinhaber, 26,12 Prozent wählten dessen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Offizielle Zahlen der Wahlbehörde zum Ergebnis der Stichwahl in Österreich lagen zunächst noch nicht vor. In der ersten Runde der Präsidentenwahl vor zwei Wochen hatten knapp 72 Prozent der Austro-Türken für Erdogan gestimmt.
Erdogan schnitt in Österreich im internationalen Vergleich besonders gut ab. Besser als in der Heimat war das Ergebnis für den Amtsinhaber auch erneut in anderen europäischen Ländern mit großen türkischen Communitys allen voran Deutschland, wo laut vorläufigen Ergebnissen rund 67,4 Prozent für Erdogan stimmten, Frankreich (66,6 Prozent), Niederlande (70,4 Prozent) und Belgien (74,9). Dagegen lag in Ländern wie Großbritannien, Schweden oder der Schweiz Kilicdaroglu voran.
Zahlreiche Fans des türkischen Präsidenten feierte am Sonntagabend in Wien den Wahlsieg. Auf Videos in sozialen Netzwerken war zu sehen, wie am Reumannplatz in Wien Favoriten lautstark Feiernde türkische Fahnen schwenkten. Besondere Vorkommnisse gab es dabei laut Polizei keine. Auch die Verkehrslage sei unter Kontrolle, hieß es auf APA-Anfrage.
Die Wahlbeteiligung hatte in der zweiten Wahlrunde in Österreich mit 57,6 Prozent ein Rekordniveau erreicht. Rund 108.000 türkische Staatsbürger waren hierzulande wahlberechtigt. Abgestimmt werden konnten in Wien, Salzburg, Bregenz, Linz, Graz und Innsbruck.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, er wolle mit Erdogan "unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben." Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron meinte, Frankreich und die Türkei hätten "gemeinsam gewaltige Herausforderungen zu bewältigen.
EVP-Chef Weber gegen EU-Beitritt der Türkei
In Österreich gratulierte Bundespräsident Van der Bellen Erdogan zur Wiederwahl und kündigte an, er werde "der positiven Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen und der Zusammenarbeit unserer beiden Länder im multilateralen Bereich weiterhin besondere Aufmerksamkeit schenken".
Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, sprach sich unterdessen dafür aus, den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei zu beenden. "Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine enge Partnerschaft wichtig ist, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU allerdings niemand mehr will - weder die Türkei noch die EU", sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag).
Offenbar konnten weder die verheerende Wirtschaftskrise noch das scharf kritisierte zögerliche Krisenmanagement Erdogans nach dem Erdbeben im Februar mit 50.000 Toten seine Anhänger davon abhalten, dem islamisch-konservativen Staatschef die Treue zu halten. Zu seinen wichtigsten Wählern gehört die fromme Landbevölkerung im anatolischen Kernland, der Erdogan zu mehr religiöser Freiheit und Wohlstand verholfen hat.
Erdogan, einst Hoffnungsträger des Westens, wird vorgeworfen, mit zunehmend harter Hand zu regieren und das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten in eine Autokratie geführt zu haben. Erdogans Wiederwahl könnte nun bedeuten, dass dieser seine Macht weiter zementiert. Sein hartes Vorgehen gegen Andersdenkende und die Inhaftierung zahlreicher Oppositioneller werden in der westlichen Welt mit Sorge gesehen. Auch Erdogans Außenpolitik stößt zunehmend auf Kritik.
Kilicdaroglu und das hinter ihm vereinte Oppositionsbündnis aus sechs Parteien hatten für den Fall eines Wahlsiegs die Wiederherstellung der Demokratie und die Abschaffung des von Erdogan eingeführten Präsidialsystem angekündigt. Noch am Wahltag, nach der Stimmabgabe in Ankara, hatte Kilicdaroglu seine Landsleute dazu aufgerufen, "für echte Demokratie und Freiheit in diesem Land zu stimmen" und "die autoritäre Regierung loszuwerden". (APA/AFP/dpa/Reuters)
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