Reform des EU-Asylsystem

EU-Staaten erzielten Durchbruch: Asylregeln sollen verschärft werden

Diese Bilder bleiben in Erinnerung: Im März 2020 versuchten Tausende Migranten von der Türkei über die Landgrenze nach Griechenland und somit in die EU zu gelangen.
© AFP/Mitrolidis

Die EU-Staaten arbeiten seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 an einer weitreichenden Reform des EU-Asylsystems. Nach viel Streit gibt es nun einen Durchbruch bei den Verhandlungen.

Luxemburg – Nach jahrelangem Ringen haben sich die EU-Staaten auf eine Verschärfung der EU-Asylregeln verständigt. Konkret ging es bei den EU-Innenministern am Donnerstag in Luxemburg um die Verteilung von Asylsuchenden in der Europäischen Union sowie um Vorprüfungen von Asylanträgen für Menschen an der europäischen Außengrenze mit geringen Chancen auf Bleiberecht. Die Pläne sollen nach Angaben der EU-Kommission auch weitreichende Kooperationsprojekte mit Nicht-EU-Ländern ermöglichen.

📽️ Video | Durchbruch in EU-Asylfragen erzielt

Der Kompromiss sieht vor allem einen deutlich rigideren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive vor. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von sechs Monaten geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson können abgelehnte Asylbewerber künftig grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind. Sollte die Regelung beschlossen werden, könnte damit zum Beispiel Italien über das Mittelmeer kommende Menschen nach Tunesien zurückschicken, wenn sich die Regierung in Tunis einverstanden damit erklärt. Um sie zu einer Zustimmung zu bewegen, könnte etwa finanzielle Unterstützung geleistet werden.

Für den finalen Gesetzestext müssen die EU-Staaten nun in Verhandlungen mit dem EU-Parlament treten.

Karner: „Weiterer Schritt für gerechteres Asylsystem"

„Es ist uns heute nach intensiven, harten, zähen Verhandlungen ein weiterer wichtiger Schritt gelungen für ein strengeres, auch manchmal schärferes und gerechteres Asylsystem", sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) nach den Beratungen. Es werde aber „weitere Schritte geben müssen", fügte er hinzu. Österreich, Italien und Griechenland hätten sich für die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit sicheren Nicht-EU-Ländern eingesetzt.

„Die verpflichtende Verfahren an der Außengrenze sind ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Damit wird eine Forderung Österreichs umgesetzt, für die wir auf allen Ebenen gekämpft haben", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Freitag. Es habe sich gelohnt, klar aufzuzeigen, dass Schengen nicht funktioniere und strengere Regeln an den Außengrenzen notwendig seien, so der Kanzler. Denn es brauche eine klare Trennung von Asyl und Wirtschaftsmigration. „Aber klar ist: Um die gescheiterte Asylpolitik der EU in den letzten Jahren wieder zu reparieren braucht es eine Totalreform", so Nehammer. Dazu brauche es einen robusten Außengrenzschutz und Asylverfahren in Drittstaaten.

Der ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas begrüßte auf Twitter, dass „der Rat damit endlich an den Verhandlungstisch mit dem EU-Parlament kommt". Der Weg sei aber noch lang, so Karas. Gleichzeitig betonte er, dass Außengrenzschutz EU-Kompetenz werden müsse und es einheitliche Asylverfahren an der Außengrenze brauche. Weiters sei ein solidarischer Verteilungsschlüssel und koordiniertere Hilfe vor Ort notwendig, twitterte Karas.

Kritik von der FPÖ

Kritik an der Einigung kam indes von der FPÖ. „ÖVP-Innenminister Karner ist bei seinem zentralen Versprechen, eine Umverteilung von Asylsuchenden zu verhindern, umgefallen. Damit fällt er den Österreichern in den Rücken!", zeigten sich FPÖ-Chef Herbert Kickl und FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer enttäuscht. Sollte es zu einer Einigung mit dem EU-Parlament kommen, fordere die FPÖ eine Volksabstimmung in Österreich über dieses Asylpaket. Das geplante Umverteilungsmodell werde auch deshalb nicht funktionieren, weil die Sozialsysteme in den Ländern zu unterschiedlich seien, so Kickl weiters.

„Ein Schritt in die richtige Richtung, aber viel zu spät und nicht genug", nannte der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, die Einigung. „Dass mit dem neuen Grenzverfahren versucht wird, wenigstens einen Teil der Migranten an der Außengrenze zu stoppen und einer schnelleren Entscheidung zu unterziehen, könnte sich positiv auf die hauptbetroffenen Länder innerhalb der Union wie etwa Österreich auswirken", so Vilimsky. Er sei sich nur nicht sicher, ob die Umsetzung auch wirklich funktionieren werde. Auch sei völlig ungeklärt, wie man die extrem geringen Abschiebequoten in der EU erhöhen wolle.

📽️ Video | Analyse: EU-Asylregeln werden verschärft

Neben den verschärften Asylverfahren solle es auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen geben. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan.

Auf die Frage, ob Österreich davon ausgenommen ist, antwortete Karner: „Wir haben im letzten Jahr über 110.000 Asylanträge gehabt, wir haben beispielsweise Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze." Man habe auch andere solidarische Maßnahmen ergriffen, man erwarte sich auch zunehmend Solidarität von anderen, so Karner. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser äußerte sich dazu auf Nachfrage ebenfalls: „Österreich ist dabei, insofern haben sie sich zu dieser Solidarität verpflichtet."

Italien könnte profitieren

Von der Pflicht zur Solidarität könnten beispielsweise Länder wie Italien profitieren. Nach Angaben des UNO-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.

Nicht unterstützt wurde die Reform bei dem Treffen von den Ländern Polen, Ungarn, Malta, der Slowakei und Bulgarien. Tschechien machte nach der Einigung deutlich, dass es sich nicht an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Polen und Ungarn hatten sich bereits in der Vergangenheit ähnlich geäußert.

Nach der Einigung können die Verhandlungen mit dem EU-Parlament beginnen. Es könnten auch deshalb auch noch Änderungen kommen. Ein Kompromiss für den gesamten Asyl- und Migrationspakt, der mehrere Regelungen vorsieht, soll noch vor den Europawahlen 2024 erzielt werden. (APA, TT.com)

Gemeinsames Europäisches Asylsystem als Dauer-Baustelle

Worum geht es? Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 ist klar, dass die geltenden EU-Asylregeln überarbeitet werden müssen. Damals waren Länder wie Griechenland oder Italien mit einem Massenzustrom an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der Dublin-Verordnung sollen Asylwerber da registriert werden, wo sie die EU zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig.

Was soll nun passieren? Kern der Reformvorschläge sind Maßnahmen, die zu einem deutlichen Rückgang des Zustroms von Menschen ohne Anrecht auf Schutz führen sollen. Wer aus einem Staat einreist, der als relativ sicher gilt, könnte künftig nach dem Grenzübertritt in eine streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtung kommen. Dort würde dann innerhalb weniger Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat – wenn nicht, würde er umgehend zurückgeschickt werden.

Wie soll die Verteilung von Migranten geregelt werden? Wenn Länder mit einem sehr großen Zustrom an Menschen konfrontiert sind, sollen sie über einen Solidaritätsmechanismus Unterstützung von anderen Mitgliedstaaten beantragen können. Eine bestimmte Anzahl an Schutzsuchenden würde dann über einen Verteilungsschlüssel in andere Länder kommen. Staaten, die sich daran nicht beteiligen wollen, müssten für jeden nicht aufgenommenen Menschen eine Kompensationszahlung leisten.

Wo kommen derzeit die meisten Migranten an? Besonders betroffen ist Italien. Laut UNHCR wurden dort in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert. (TT, dpa, APA)

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