Gericht sieht Gefahr der Tatbegehung

Geplanter Pride-Anschlag in Wien: Radikalisierung schon bei Kindern

Die Veranstalter der Regenbogenparade wurden nicht über den geplanten Anschlag informiert.
© IMAGO/Isabelle Ouvrard

Ein 17-Jähriger und ein 14-Jähriger sind nach dem geplanten Anschlag auf die Pride-Parade in Wien in U-Haft. Ein 20-Jähriger wurde unterdessen entlassen. In der Regierung hat die Diskussion über die Überwachung extremistischer Gefährder eingesetzt. Experten zufolge werden diese immer jünger.

Wien/St. Pölten – In Verbindung mit einem möglicherweise geplanten islamistischen Anschlag auf die 27. Regenbogenparade für LGBTIQ-Rechte vergangenen Samstag in Wien sitzen zwei Verdächtige im Alter von 14 und 17 Jahren wegen Tatbegehungsgefahr in U-Haft. Die Frist laufe bis 3. Juli, sagte Birgit Eisenmagen, Sprecherin des Landesgerichts St. Pölten, am Montag auf APA-Anfrage. Bei einem dritten Beschuldigten bestehe "kein dringender Tatverdacht", teilte Eisenmagen mit, ohne Details zu nennen.

Während in der Innenpolitik nach dem Zwischenfall am Wochenende die Diskussion über Überwachungsmaßnahmen von extremistischen Gefährdern läuft, sehen Experten bei immer jünger werdenden Jugendlichen Gefährdungspotenzial. Bereits Zwölfjährige werden heute radikalisiert, so ein Experte.

Wie berichtet, hatten die drei, die mit dem IS (Daesh) sympathisieren, offenbar mit Messern und einem Auto einen Anschlag auf das Fest geplant. Sie wurden nur eine Stunde vor Beginn der Parade festgenommen. Dass ein Risiko für die Besucher bestanden hatte, stellte am Montag Omar Haijawi-Pircher, Leiter der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), im Ö1-"Morgenjournal" in Abrede. "Die Verdächtigen waren zu jeder Zeit unter unserer Kontrolle." Der späte Zugriff um 12 Uhr am Samstag sei aus "einsatztechnischen und kriminaltaktischen" Gründen erfolgt, sagte er. Die Veranstalter und Besucher der Parade habe man nicht verständigt, weil man keine Massenpanik auslösen wollte, so der Ermittler.

DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner und der Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl.
© APA/TOBIAS STEINMAURER

14-Jähriger mit Axt unter dem Bett

Wie der Kurier berichtet, soll der erst 14-jährige Tatverdächtige mit tschetschenischen Wurzeln eine Axt direkt unter seinem Bett versteckt haben, als er von der Spezialeinheit Cobra festgenommen wurde.

Eine Absage der Pride wurde laut Haijawi-Pirchner nicht in Erwägung gezogen worden, weil die jungen Männer allein und ohne Komplizen agiert hätten. Sie waren ins Visier von Ermittlern geraten, weil sie im Internet in der radikalislamistischen Szene unterwegs gewesen sein sollen. Neben Waffen stellten die Ermittler auch Datenträger sicher, die jetzt ausgewertet werden müssen.

Über die beiden jüngeren Verdächtigen ist am Sonntag die U-Haft verhängt worden. Ein 20-Jähriger – der Bruder des 17-Jährigen – konnte die Justizanstalt St. Pölten hingegen verlassen. Die Enthaftung sei noch nicht rechtskräftig, teilte Eisenmagen mit. Die Staatsanwaltschaft kann noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen. Keine Auskünfte gab es vonseiten des Gerichts darüber, ob und wie sich die Beschuldigten im Rahmen der Haftverhandlung zu den Vorwürfen geäußert haben.

Karner verteidigt Vorgehen bei Pride-Parade

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat am Montag das Vorgehen der Behörden in Verbindung mit einem möglicherweise geplanten islamistischen Anschlag auf die 27. Regenbogenparade für LGBTIQ-Rechte vergangenen Samstag in Wien ausdrücklich gelobt. Auch dass die Öffentlichkeit erst am Sonntag informiert wurde, sei "wohlüberlegt" und "sachlich begründet" gewesen. Es stehe aus kriminaltechnischer Sicht immer die "Sicherheit der Menschen im Fokus", betonte der Minister.

Karner erklärte dazu am Montag am Rande einer Veranstaltung in Wien, es habe sich um eine "sensible Situation" gehandelt: Es gehe "um das Recht auf Information, aber auch um das Recht auf Sicherheit". "In diesem Spannungsfeld hat die DSN-Direktion das durchgeführt." Die Organisation der Parade habe sich auch bedankt für das Vorgehen, berichtete Karner.

Das Wichtigste sei, dass der Verfassungsschutz drei (mutmaßliche) Islamisten aus dem Verkehr gezogen habe, so der Minister. Es hätten im Vorfeld entsprechende Ermittlungen stattgefunden, "immer in enger Abstimmung mit der Justiz".

Die Staatsanwaltschaft St. Pölten ermittelt gegen die mutmaßlichen Islamisten wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation. Die Zuständigkeit basiert auf dem Wohnsitz der Brüder, die in der niederösterreichischen Landeshauptstadt gemeldet sind. Der 14-Jährige lebt in Wien.

Extremisten werden immer jünger

Generell sei der Extremismus auf dem Vormarsch, speziell im islamistischen und rechtsextremistischen Bereich, so Haijawi-Pirchner. Hier könne mehr Personal zwar nie schaden, um die Bedrohungen, die derzeit in Österreich bestünden, gut unter Kontrolle zu haben.

Der am Londoner Kings College tätige Extremismusforscher Peter R. Neumann hat am Montag im APA-Gespräch darauf verwiesen, dass "die demografische Spannweite bei Islamisten mittlerweile viel breiter ist als vor zehn Jahren".

"Damals, während der Hochphase des IS, war das typische Profil eines Islamisten: männlich, zwischen 18 und 25 Jahre", sagte Neumann, Professor für Security Studies an der britischen Universität. "Das ist jedoch etwas, das heutzutage nicht mehr gilt", meinte der Experte. Die "demografische Spannweite" habe sich verändert. "Wir sehen heute auch Zwölfjährige als Extremisten, genauso wie das auch in der anderen Richtung möglich ist. Das Bild ist etwas diverser geworden", sagte Neumann.

Nach dem womöglich verhinderten Anschlag hat in der Regierung eine Diskussion darüber eingesetzt, ob die Strafverfolgungsbehörden über hinreichende Mittel zur Überwachung extremistischer Gefährder verfügen. Die Grünen räumten ein, eine der zentralen Aufgaben in einer Demokratie sei "selbstverständlich, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten". Allerdings sei im Rahmen der BVT-Reform der Nachrichtendienst reformiert und strukturell verbessert worden, "so dass die DSN die bestehenden Befugnisse nun wieder effizient zum Schutz der Bevölkerung nutzen kann.

Was die Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen wie die Einführung eines Bundestrojaners betrifft, ist die Grüne Position klar, auch mit Blick auf die Wahrung der Grundrechte: Die Gefahren einer solchen Maßnahme überwiegen ihren Nutzen.
Der grüne Parlamentsclub zur Diskussion über Überwachungsmaßnahmen

Insgesamt sei die Bedrohungslage unübersichtlicher geworden, erklärte Neumann, der hervorhob, dass die Radikalisierungstendenzen weltweit grundsätzlich eher abnehmen würden. "Es gibt heute vergleichsweise viel weniger Radikalisierung", so Neumann, "weil die Netzwerke zerschlagen worden sind und es bestimmte radikale Moscheen nicht mehr in dem Ausmaß gibt, als das früher der Fall war." Dadurch habe sich jedoch auch die Rekrutierung von potenziellen Extremisten verändert. "Das Internet und hier insbesondere TikTok spielt dabei eine wichtige Rolle", erläuterte Neumann. Vor allem die chinesische Video-Plattform habe an Bedeutung gewonnen.

Der Experte übte in diesem Zusammenhang Kritik an der App. So habe TikTok noch nicht ausreichend gegen solche Tendenzen getan. "Solche Plattformen wachsen relativ schnell und bauen erst unter politischem Druck entsprechende Kapazitäten auf. Laut einem Europol-Bericht wurden in Österreich im vergangenen Jahr 16 Personen wegen islamistischer Straftaten festgenommen. (APA/TT.com)

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