Appelle am Weltflüchtlingstag

Scharfe Kritik an Regierung wegen Unklarheit um Ukraine-Flüchtlinge

Ein Mann aus der Ukraine in einem Erstaufnahmezentrum in Graz im März 2022. NGOs kritisieren, dass noch immer die Zivilgesellschaft die meisten Dinge übernehme, die eigentlich Aufgabe der Politik wären.
© ERWIN SCHERIAU

Die Zivilgesellschaft kompensiere das Versagen der Bundesregierung im Umgang mit den Flüchtlingen, kritisieren NGOs. Innenminister Karner (ÖVP) müsse "endlich ins Tun kommen".

Wien – Mehrere NGOs haben anlässlich des Weltflüchtlingstags am Dienstag in einer gemeinsamen Pressekonferenz an die türkis-grüne Bundesregierung und insbesondere an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) appelliert, "die Jammerei zu beenden und endlich ins Tun zu kommen". Seitens der Zivilgesellschaft lägen genügend Vorschläge auf dem Tisch, diese müssten nur umgesetzt werden. Dringender Handlungsbedarf bestehe etwa beim Teuerungsausgleich für Quartiergeber von Ukraine-Flüchtlingen.

Auch brauche es Vorschläge, wie es mit den Flüchtenden aus der Ukraine weiter gehen soll, wenn der temporäre Schutz im kommenden Jahr endet, betonte Lukas Gahleitner-Gertz von der "asylkoordination österreich", der gleichzeitig das zivilgesellschaftliche Engagement hervorhob. Etwa würden 70 Prozent der aus der Ukraine Geflüchteten nach wie vor privat untergebracht. "Die Quartiergeber brauchen staatliche Unterstützung, bekommen sie aber nicht."

"Zivilgesellschaft kompensiert Systemversagen"

Statt "Abschiebe-Rhetorik, Symbolpolitik und das Bauen von Luftschlössern" seien dringend Maßnahmen nötig, so der Appell der gemeinsamen Pressekonferenz von Amnesty International, asylkoordination österreich, Diakonie, SOS Balkanroute, Train of Hope und Volkshilfe. Es sei "absurd", dass die Zivilgesellschaft das "Systemversagen" der Regierung "im großen Stil" kompensieren müsse, kritisierte Nina Andresen (Train of Hope). Es hätten nämlich nur dank der Freiwilligen Versorgungsstrukturen aufgebaut und aufrecht erhalten werden könne. "Ohne Zivilgesellschaft wäre die Versorgung der Ukraine-Vertriebenen deutlich schlechter gelungen."

Für Christoph Riedl von der Diakonie sollten die Ukraine-Flüchtlinge in die Sozialhilfe transferiert werden. Denn die Grundversorgung sei für eine dauerhafte Unterbringung nicht geeignet und sollte einen gewissen Zeitraum nicht überschreiten. Überhaupt gehört das System der Grundversorgung "total" reformiert, findet Riedl. Darüber hinaus brauche es einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge, argumentierte wiederum Silvia Zechmeister (Volkshilfe): "Bei unserem Fachkräftemangel ein Gebot der Stunde." Derzeit sei dies nur in Ausnahmefällen erlaubt. Weil viele der Asylwerber "extrem traumatisiert" seien, sei auch der Ausbau von psychosozialen Einrichtungen dringend nötig, so Zechmeister. Und im ländlichen Bereich müssten Bildungsmöglichkeiten und Sprachkurse ausgebaut werden.

"Niemand weiß, was mit diesen Kindern passiert"

Eine angemessene Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen "ab dem ersten Tag", verlangte Stephan Handl von Amnesty International. Österreich sei das Land, in dem die meisten unbegleiteten Kinder Asyl beantragen. Vier von fünf würden einen Aufnahmestatus hierzulande erhalten und könnten bleiben, so Handl: "Das Problem ist, die meisten, die ankommen, schaffen es nicht bis zu dem Punkt." Über 80 Prozent würden wieder verschwinden. "Niemand weiß, was mit diesen Kindern passiert." Das sei eine "menschenrechtliche Bankrotterklärung". Selbiges hatte tags zuvor auch die Bundesjugendvertretung verlangt.

📽️ Video | Weltweit mehr Flüchtlinge als je zuvor

Scharfe Kritik an der Bundesregierung und an der EU übte der Obmann der SOS Balkanroute, Petar Rosandić. Jeder wisse mittlerweile, dass die EU-Außengrenze eine "rechtsfreie Zone" sei. Die jüngste Schiffstragödie sei ein Beispiel dafür. Dass gemeinsam etwas bewirkt werden könne, zeige jedoch der aktuelle Erfolg der Verhinderung des "illegalen Flüchtlingslagers Lipa bei Bihać in Bosnien, erbaut von der ÖVP-nahen Organisation ICMPD mit Sitz in Wien". Dort habe man Menschen ohne Urteil und Rechtsgrundlage einsperren wollen. Die Verhinderung des illegalen Gefängnisses sei eine "bitternotwendige Watsche" gewesen, "nicht nur für die neokoloniale Westbalkanpolitik der Bundesregierung sondern auch für die gesamte Externalisierungspolitik der EU", sagte Rosandić. Kritik übte er daran, dass das ICMPD nun versuche, seine NGO und ihn mit "Slapp-Klagen mundtot zu machen".

Grün-Abgeordnete fordert "legale Fluchtwege nach Europa"

Auch aus der Politik kamen Appelle. Die Grünen plädierten für Mut und Solidarität statt Angstmache und Abschottung. "Neben einer koordinierten Seenotrettung im Mittelmeer braucht es für Schutzsuchende vor allem auch eines: legale Fluchtwege nach Europa", argumentierte die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic in einer Aussendung.

Die Integration von Flüchtlingen sei der "wirksamste Weg, sie bei der Wiederaufnahme ihres Lebens zu unterstützen und sie in die Lage zu versetzen, zum guten Zusammenleben in unserem Land beizutragen", betonte wiederum SPÖ-Bereichssprecherin für globale Entwicklung, Petra Bayr. Bereits am Montag hatte NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper als "gemeinsame Aufgabe der Europäischen Union" gefordert, effizienter in Krisenregionen zu helfen und für legale Fluchtrouten, faire Aufteilung und rasche Verfahren zu sorgen.

Kickl für sofortiges Aussetzen des Asylrechts

Anders die Freiheitlichen: FPÖ-Chef Herbert Kickl betonte, dass Asyl "Schutz auf Zeit" bedeute und "kein Deckmantel für illegale Masseneinwanderung" sein dürfe. Dies sei auch die Intention der Genfer Flüchtlingskonvention, die diesen Schutz im nächstgelegenen, sicheren Land vorsieht, argumentierte er. Dieses Recht sei ein "hohes Gut" und dürfe nicht mit illegaler Einwanderung vermischt werden. Derartige Versuche ortet Kickl jedoch bei der EU, der schwarz-grünen Bundesregierung und unzähligen NGOs: "Tatsächlich Verfolgte, die Schutz suchen und nicht mit dem Ziel eines besseren Lebens in wirtschaftsstarken Staaten mit gut ausgebauten Sozialsystem, wie etwa Österreich, durch eine Vielzahl sicherer Staaten reisen, werden dadurch unsichtbar gemacht." Einmal mehr unterstrich Kickl die freiheitliche Forderung nach einer "Festung Österreich" und dem sofortigen Aussetzen des Asylrechts. Denn Österreich sei ausschließlich von sicheren Staaten umgeben. (APA)

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