Ukrainische Gegenoffensive: Es fehlt der Durchbruch
Russland hat die Gegenoffensive der Ukraine bisher erfolgreich abgewehrt.
Kiew – Monatelang hatten die Ukraine und ihre Unterstützer im Westen eine Gegenoffensive vorbereitet, um Russland die völkerrechtswidrig besetzten Gebiete wieder abzujagen. Seit Anfang Juni läuft diese Offensive bereits, doch die bisherigen Ergebnisse sind für die Ukrainer enttäuschend. Hohen Verlusten an Soldaten und Material stehen kaum Gebietsgewinne gegenüber. Derzeit versuchen sich die Ukrainer neu zu gruppieren, um in den kommenden Wochen vielleicht doch noch den entscheidenden Durchbruch zu schaffen.
„Eine Offensive ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie in den ersten Tagen durchschlägt“, sagt der Bundesheer-Oberst Markus Reisner, Kommandant der Garde und zuvor Leiter der Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie. Die Ukraine habe ab dem 4. Juni an drei Stellen massiv angegriffen. Doch alle drei Vorstöße erreichten nicht einmal die Hauptverteidigungslinien der russischen Invasoren.
Gründe dafür sieht Reisner mehrere. Dazu gehört die faktische Luftüberlegenheit der Russen. Diese hätten beispielsweise die anmarschierenden ukrainischen Truppen schon aus Kampfhubschraubern beschossen, bevor sie überhaupt zum Angriff übergehen konnten. Auch seien zwei Patriot-Systeme im Raum Kiew zu wenig, um das Land vor den strategischen Luftangriffen zu schützen.
Den Russen sei es auch gelungen, die Kommunikation der Ukrainer im elektromagnetischen Feld zu stören. Zudem gebe es bei der Feuerkraft nach wie vor große Unterschiede zwischen beiden Seiten. Jene Million Stück Artilleriemunition, die Europa im Frühjahr versprochen hat, sollen erst bis Jahresende geliefert werden. Und mit der Sprengung des Kachowka-Staudamms verkürzte Russland die Front. Truppen, die dort stationiert waren, können nun woanders zum Einsatz kommen.
Den Ukrainern fällt nach den überraschenden Rückeroberungen im vergangenen Jahr womöglich auch eine überzogene Erwartungshaltung auf den Kopf. „Man braucht einen gewissen Realismus, um das einschätzen zu können“, sagt Reisner. „Wenn man Russland unterschätzt, dann schadet das vor allem den Ukrainern.“
Er sieht die Gegenoffensive aber noch nicht am Ende. Die Ukrainer hätten eine operative Pause eingelegt und sich breiter aufgestellt, um Lücken in der russischen Verteidigung zu erkennen und sich taktisch neu zu formieren. Bisher habe die Ukraine nur etwa ein Drittel der für die Gegenoffensive vorgesehenen Truppen eingesetzt.
„Das ist jetzt der Moment, der über den Verlauf des Krieges in den kommenden Monaten entscheidet“, sagt Reisner. „Entweder die Ukraine bricht durch und die Russen sind dann möglicherweise bereit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Oder es gelingt nicht; dann machen die Russen weiter, weil sie überzeugt sind, dass sie nur durchhalten müssen, während der Westen nicht lange genug aushalten wird.“
Die Ukraine wolle jedenfalls bis zum NATO-Gipfel im Juli in Vilnius Ergebnisse der Offensive präsentieren. Dort geht es auch um die weitere militärische Unterstützung.