Russland greift im Westen an

Acht Dörfer zurückerobert: Ukraine meldet Vormarsch im Süden

Der Krieg hat in der Ukraine seine Spuren hinterlassen.
© APA/AFP/SERGEI SUPINSKY

Die ukrainischen Verteidiger hätten die Vorstöße des Feindes bei Lyman und Kupjansk gestoppt haben, schrieb Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar auf Telegram.

Kiew (Kyjiw) – Die ukrainische Armee hat im Zuge ihrer Gegenoffensive Angaben über kleinere Geländegewinne im Süden bekräftigt. In der Region Saporischschja sollten nun befreite Positionen an den Stoßrichtungen Berdjansk und Melitopol verstärkt werden, teilte der ukrainische Generalstabssprecher Andrij Kowaljow am Freitag mit. Im Osten des Landes wurden derweil laut Verteidigungsministerium zwei russische Angriffe auf die Städte Kupjansk und Lyman aufgehalten.

Im Süden des Landes kämen die ukrainischen Truppen schrittweise und stetig voran, auch wenn sie durch russische Minenfelder behindert würden. "Man sollte nicht erwarten, dass die Offensive etwas sehr Schnelles ist", sagte Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Freitag im ukrainischen Fernsehen. Der Hauptschlag stehe noch bevor. Einige Reserve-Einheiten würden erst später eingesetzt.

"Das Leben des Soldaten ist der höchste Wert für die Ukraine"

Die politische Führung in Kiew hat die bisher geringen Fortschritte der ukrainischen Gegenoffensive mit dem Zögern des Westens bei Waffenlieferungen erklärt. "Die bei der Überzeugung der Partner verlorene Zeit, die notwendigen Waffen zu liefern, spiegelt sich im konkreten Ausbau russischer Befestigungen wider", schrieb der Berater im Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, am Freitag im Kurznachrichtendienst Twitter. Die Russen hätten sich tiefer eingegraben und ein System von Minenfeldern angelegt.

Ein Durchbrechen der russischen Frontlinien erfordere nun einen "klugen und überlegten Ansatz". "Das Leben des Soldaten ist der höchste Wert für die Ukraine", unterstrich Podoljak. Der reale Krieg sei kein Blockbuster aus Hollywood. Die Militärführung würde sich daher bei ihrem Vorgehen nicht auf die "Fans auf den Tribünen" stützen, sondern auf die "Militärwissenschaft und den Verstand".

Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte kürzlich Schwierigkeiten bei der Gegenoffensive eingeräumt, die sich noch in der Anfangsphase befindet und bei der die Ukraine auch auf neue Waffen aus dem Westen wie den deutschen Kampfpanzer Leopard setzt. Der Vormarsch sei "langsamer als gewünscht". Man lasse sich aber nicht unter Druck setzen. Vize-Verteidigungsministerin Maljar sagte nun, der Osten bleibe der Schwerpunkt der russischen Angriffe. Russland versuche dort weiterhin, die Oblaste Donezk und Luhansk in der Industrieregion Donbass vollständig zu erobern.

Marschflugkörper über dem Westen der Ukraine abgefangen

Die Ukraine hatte nach eigenen Angaben in den vergangenen zwei Wochen acht Dörfer im Süden zurückerobert. Die Vorstöße in die stark befestigten und verminten Gebiete unter russischer Kontrolle sind zwar klein, aber die größten seit November. Die Führung in Kiew hat die Gegenoffensive seit Monaten vorbereitet, von der sie sich einen Wendepunkt in dem Krieg erhofft. Sie hat allerdings eine Nachrichtensperre verhängt und unabhängige Berichte sind rar. Auf beiden Seiten soll es aber schwere Verluste geben. Experten zufolge steht der Einsatz des Großteils der ukrainischen Truppen noch aus, von denen ein Teil vom Westen ausgebildet und ausgerüstet wurde.

Bei russischen Angriffen in der Nacht habe die Ukraine 13 Marschflugkörper über dem Westen des Landes abgefangen. "Die Abschüsse erfolgten gegen Mitternacht von vier Bombern vom Typ TU-95MS vom Kaspischen Meer aus", teilte die ukrainische Luftwaffe am Freitag in einem Onlinedienst mit. Der Bürgermeister von Chmelnyzkyj berichtete von mehreren Explosionen in der Stadt und lobte das ukrainische Luftabwehr-System. Ukrainischen Streitkräfte zufolge wurde zudem eine russische Aufklärungsdrohne abgeschossen.

Russland meldet Todesopfer

In der südukrainischen Stadt Cherson sind laut dortigen Behörden mindestens zwei Mitarbeiter eines städtischen Transportunternehmens durch russischen Beschuss getötet worden. Vier weitere Menschen seien verletzt ins Krankenhaus gebracht worden, wie die Militärverwaltung am Freitag auf Telegram berichtete. Die Hauptstadt des gleichnamigen Gebiets Cherson kämpft unter andauernden russischen Angriffen seit Wochen mit den Flutfolgen nach der Zerstörung des nahe gelegenen Kachowka-Staudamms.

Russland meldete ein Todesopfer in der besetzten südlichen Region Saporischschja durch ukrainischen Beschuss. Ukrainische Truppen hätten eine Straße in der Nähe des Dorfes Nowohoriwka beschossen, so die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf Rettungsdienste. Eine weitere Person sei dabei verletzt worden.

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner hat Russland in drastischen Worten vorgeworfen, Truppen angesichts der ukrainischen Gegenoffensive aus dem Süden und dem Osten der Ukraine zurückzuziehen. "Auf dem Schlachtfeld (...) zieht sich die russische Armee an den Fronten von Saporischschja und Cherson zurück", sagte Jewgeni Prigoschin am Freitag in Online-Netzwerken. "Die Streitkräfte der Ukraine drängen die russische Armee zurück."

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"Wir waschen uns in Blut. Niemand bringt Verstärkung. Was sie uns erzählen, ist eine bittere Täuschung", sagte Prigoschin weiter und widersprach dabei direkt den Aussagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der von "katastrophalen" Verlusten beim Gegner und einer Flaute bei der Gegenoffensive der ukrainischen Seite gesprochen hatte. Der Kreml hatte im vergangenen Jahr die Regionen Cherson und Saporischschja im Süden der Ukraine für annektiert erklärt, räumt aber ein, keine volle Kontrolle über sie zu haben.

Die zu einem beträchtlichen Teil aus russischen Gefängnissen rekrutierten Prigoschin-Söldner haben bei den russischen Kämpfen in der Ukraine eine zentrale Rolle gespielt. Ganz besonders prominent traten die Kämpfer des 62-jährigen Geschäftsmanns mit ehemals guten Kreml-Verbindungen bei der langwierigen und blutigen Einnahme von Bachmut in der Region Donetsk auf.

In den vergangenen Monaten hat sich Prigoschin – frustriert über Nachschubprobleme und mangelnde Unterstützung durch Moskau – über seinen Telegram-Kanal zu einem der vehementesten Kritiker der militärischen Führung Russlands entwickelt und unterlief in seiner jüngsten Mitteilung sogar Putins Begründung für die Offensive im Nachbarland: "Weshalb hat die militärische Spezialoperation angefangen?", fragte Prigoschin und antwortete sich selbst: "Der Krieg wurde für die Selbstdarstellung eines Haufen Bastarde gebraucht." (APA/dpa/Reuters)