Bis es schmerzt

Umfassende Retrospektive: Albertina blickt auf Werk der Künstlerin VALIE EXPORT

Mit dem Körper hat sich VALIE EXPORT in den Stadtraum eingeschrieben. „Verletzungen I“ (1972) ist derzeit in der Albertina zu sehen.
© V. Export/Hendrich

Vom Körper und der Sprache in den Raum: Die Albertina widmet VALIE EXPORT eine umfassende Retrospektive. Der Blick zurück eröffnet neue Einblicke in ihr vielfältiges Schaffen.

Wien – Etliche drehen sich verwundert um, manche schmunzeln verstohlen, andere schauen irritiert. Es ist schließlich kein 0815-Wauwau, mit dem VALIE EXPORT da 1968 in der Kärntner Straße Gassi geht. Am Ende der Leine hängt Künstler Peter Weibel – aus Performancezwecken auf allen vieren. Um an der Seite der Künstlerin die herkömmlichen gesellschaftlichen Machtverhältnisse lustvoll umzudrehen.

Unweit des damaligen Schauplatzes sind die Aufnahmen „Aus der Mappe der Hundigkeit“ nun wieder zu sehen. Die Albertina widmet der Filmemacherin, Performance- und Medienkünstlerin VALIE EXPORT nämlich aktuell eine umfassende Retrospektive – endlich, möchte man hinzufügen. Nicht nur, weil das Museum spätestens seit der Übernahme der Essl-Sammlung (via Hans Peter Haselsteiner) etliche Werke im hauseigenen Depot verwahrt. Sondern schlicht und einfach, weil VALIE EXPORT mit ihrem Werk die feministische Avantgarde in Österreich so maßgeblich geprägt hat. Ihre Arbeiten, neben der „Mappe der Hundigkeit“ etwa das nicht minder pikante „Tapp- und Tastkino“, werden international gezeigt. Seit 2017 wird der Vorlass der Künstlerin in ihrer Heimat Linz allumfassend untersucht und kontextualisiert. Und: VALIE EXPORT arbeitet sich bis heute am weiblichen Körper und den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen ab – zuletzt Anfang 2023 im Kunsthaus Bregenz. In Tirol wagte zuletzt das Schloss Ambras 2018 eine (kuriose) Zusammenarbeit. In der Albertina liegt der Fokus nun auf Arbeiten zwischen 1966 und 1998.

Neben dem Grundstock aus dem Depot hat Kurator Walter Moser für die 163 Werke starke Retrospektive bei der Galerie Ropac angeklopft, die die Künstlerin seit 2018 vertritt. Von dort kommt etwa die farbige Siebdruck-Reihe „Aktionshose: Genitalpanik“, für die VALIE EXPORT 1969 mit Lederjacke sowie Gewehr – und mit entblößtem Schambereich posiert. Und zwar so gar nicht verschämt. Ihr Blick lädt vielmehr zum Hinschauen ein. Daran kommt das Albertina-Publikum gar nicht vorbei. Per Rolltreppe gleitet es im Untergeschoß des Hauses unausweichlich auf das Porträt im Großformat zu. Volle Aufmerksamkeit ist garantiert.

Diese liegt von Kuratorenseite zunächst auf dem Körper, der bei VALIE EXPORT Leinwand wird. Dabei fordert sie den Leib bisweilen ordentlich – bis es schmerzt. Bei „... Remote ... Remote ...“ (1973), in dem sich die Künstlerin die Nagelhaut mit einem Messer traktiert, tut sogar das Zusehen weh – auch dieses Video gehört zu den Hauptwerken. Von Kojen in Betonoptik in Schwerpunkte gegliedert, hangelt sich die Schau weiter von der Sprache zum Raum. Und endet mit den „Körperkonfigurationen“ beim Einschreiben in den Stadtraum wieder beim Körper.

So weit, so bekannt. Für die aktuelle Schau bleibt die Frage: Welche neuen Einblicke eröffnet der Blick zurück? Weniger bekannt sind VALIE EXPORTs „Nachstellungen“ Alter Meister, in denen die Künstlerin etwa als zeitgenössische Botticelli-Venus visuell überlieferte Geschlechterrollen schonungslos offenlegt – allein für dieses Kapitel lohnt sich der Museumsbesuch in Wien.

Wenig spektakulär gerät dagegen der erstmals realisierte „Foto-Raum“. Die Idee, den (Ausstellungs-)Raum mit dem Rundumblick nach Außen zu erweitern, hatte die Künstlerin bereits 1970. 2023 wird die „totale Illusion“, wie es VALIE EXPORT nennt, von heutigen technischen Möglichkeiten eingeholt. Aber kein Grund zur (Genital-)Panik! An Brisanz hat VALIE EXPORTs Werk deshalb noch lange nicht verloren.

📍 Albertina. Albertinaplatz 1, Wien; bis 1. Oktober, tägl. 10–18 Uhr, www.albertina.at

Künstlerin der radikalen Gesten

Sie könne einfach nicht malen, wird VALIE EXPORT nicht müde zu betonen. Gerade deshalb habe die heute 83-Jährige einst zur Kamera gegriffen, erzählt die Künstlerin anlässlich der Eröffnung ihrer Ausstellung in der Albertina. Seit dem Wochenende ist die Retrospektive in Wien zu sehen. Es ist das erste Mal, dass das prestigeträchtige Haus der Pionierin der feministischen Kunst in Österreich eine derart große Bühne widmet. Dabei gehört VALIE EXPORT auch international zu den bekanntesten Künstlerinnen der Gegenwart. Christoph Grissemann hatte sie zuletzt in „Willkommen Österreich“ zusätzlich auch noch als „coolste Österreicherin“ anmoderiert.

Dort plauderte die Künstlerin munter über ihr katholisches Aufwachsen als Waltraud Lehner in Oberösterreich – eine Zeit, die sie letztlich bis heute prägt. Aus den alten Orgelpfeifen der Wallfahrtskirche am Pöstlingberg realisierte VALIE EXPORT ihre jüngste Installation, die Anfang des Jahres im Kunsthaus Bregenz zu sehen war. 2018 schon lud das Schloss Ambras in Innsbruck die Künstlerin zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem historischen Bau.

VALIE EXPORT nennt sich die Künstlerin übrigens seit 1967. In einer radikalen Geste legte sie ihren Namen ab und sich den Namen einer damals beliebten Zigarettenmarke („Smart Export“) zu, um sich damit deutlich (und in Großschrift!) als Künstlerin zu positionieren. In dieser Zeit realisierte sie erste Performances – auch gemeinsam mit ihrem vor Kurzem verstorbenen Künstlerkollegen Peter Weibel. Zudem beschäftigte sie sich mit Fotografie und Film – und war mit ihrem medienreflexiven Zugang vielen ihrer männlichen Kollegen um einiges voraus.

Ihr künstlerisches Schaffen wurde mit zahlreichen Preisen bedacht. Ihr Vorlass wird seit 2017 im VALIE EXPORT Center in Linz erforscht. Mit­initiiert wurde es von der Südtirolerin Sabine Folie.