Rassismus, LGBTQI+, Studienkredite: Konservative spielen Macht am US-Höchstgericht aus
Konservative Höchstrichter in den USA holen nach, was die Republikaner politisch und gesellschaftlich nicht durchsetzen konnten.
Washington – Die konservative Mehrheit am US-Höchstgericht hat nachgelegt: Ein Jahr nach der Abschaffung des Verfassungsrechts auf Abtreibung fällten die Richter Ende voriger Woche drei weitere Entscheidungen, die das Land nach konservativen Vorstellungen umkrempeln. Sie untergraben damit auch ihre eigene Legitimation.
Erstens untersagten sie Hochschulen, bei der Zulassung von Studierenden deren Hautfarbe zu berücksichtigen. Die „affirmative action“ genannten Programme sind als Antwort auf die Bürgerrechtsbewegung entstanden und sollten gegen rassistische Diskriminierung im Bildungssektor wirken. Gegner sahen darin eine Benachteiligung von Weißen und haben nun Recht erhalten. Als Nächstes dürften jetzt Unternehmen unter Druck geraten, die bei ihrer Personalpolitik ebenfalls auf Vielfalt setzen.
Zweitens erlaubten die Richter einer Webdesignerin, aus religiösen Gründen homosexuellen Paaren ihre Dienste zu verweigern. Kritiker sehen damit die Türe geöffnet für die Diskriminierung von LGBTQI+. Hinter der Klägerin steht eine rechtsgerichtete christliche Gruppe, die vom Southern Poverty Law Center als extremistisch eingestuft wird.
Drittens kippten die Richter den Plan der Biden-Regierung, 40 Millionen Amerikanern ihre Studienkredite zu erlassen und damit vor allem weniger wohlhabende Haushalte zu unterstützen. Die Regierung habe ihre Befugnisse überschritten, urteilte der Supreme Court mit der konservativen Mehrheit von 6:3.
Alle drei Entscheidungen haben enorme Auswirkungen auf das soziale Gefüge in den USA. Formal geht es um die Auslegung der Verfassung, aber die entscheidende Rolle spielen dabei die ideologischen Überzeugungen der Richter. Wären mehr Höchstrichter von demokratischen Präsidenten nominiert worden, hätte es diese drei Entscheidungen so nicht gegeben – ebensowenig wie die neuen Abtreibungsverbote.
Das ist auch demokratiepolitisch höchst brisant. Denn für die umstrittenen Entscheidungen gibt es in den USA keine parlamentarische oder gesellschaftliche Mehrheit. 60 bis 70 Prozent der Amerikaner unterstützen das Recht auf Abtreibung, das Erlassen von Studienkrediten, gleiche Rechte für homosexuelle Paare sowie affirmative action. Doch weil es den Republikanern mithilfe von Zufall und politischen Tricks gelungen ist, die Ausrichtung des Höchstgerichts zu drehen, können sie nun auf diesem Weg ihre Forderungen umsetzen. Die von ihnen eingesetzten Höchstrichter warfen in Sachen Abtreibung und affirmative action sogar die jahrzehntelange Judikatur ihrer Vorgänger über Bord.
Als Folge davon könnten das Image des Supreme Court als überparteiliche Instanz und generell das Vertrauen in Politik und Institutionen Schaden nehmen. Verschärfend kommt hinzu, dass drei der sechs konservativen Höchstrichter derzeit wegen Luxusgeschenken von konservativen Parteispendern am Pranger stehen. Bis der Supreme Court das politische und gesellschaftliche Gefüge wieder besser abbildet, können viele Jahre vergehen.