Was bedeutet „neue Gentechnik"?

EU will Gentechnik auf Felder und Teller bringen: Was man wissen sollte

Wissenschafterinnen und Wissenschafter drängen schon länger darauf, die strengen EU-Regeln für die neue Gentechnik zu lockern.
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Gesetze zu Gentechnik sollen deutlich gelockert werden. Aus Österreich kommt viel Kritik, aber auch Lob für den Schritt.

Brüssel, Wien – Die EU-Kommission hat am Mittwoch neue Pläne für einen deutlich lockereren Umgang mit der Neuen Gentechnik (NGT) in der Landwirtschaft vorgestellt. Neue Mutationsverfahren wie die Genschere Crispr/Cas sollen demnach künftig einfacher zum Einsatz kommen.

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1. Wie unterscheiden sich „neue Gentechnik“ und „alte Gentechnik“?

Vereinfacht gesagt, wird bei der alten Gentechnik einer Pflanze die DNA eines fremden Organismus eingesetzt. Die dadurch entstandene Pflanze könnte so in der Natur nicht vorkommen. Bei der neuen Gentechnik werden nur die Gene, die in der Pflanze bereits vorhanden sind, verändert. Ein Beispiel dafür ist die so genannte Genschere Crispr/Cas. Dabei wird der DNA-Strang an einer vorgegebenen Stelle durchgeschnitten und dort gezielt verändert. Sojabohnen mit gesünderen Fettsäuren, Weizen, dessen Körner weniger Gluten enthalten, Mais, der beständiger gegen Hitze und Trockenheit ist, können damit zigmal schneller erzeugt werden als mit klassischen Zuchtverfahren.

2. Vorschlag der EU-Kommission:

Risikobewertungen und harte Regulierungen soll es künftig nur noch für genmanipulierte Pflanzen geben, denen etwa Gen-Bestandteile anderer Arten eingesetzt wurden. Bei Saatgut, dessen Erbinformation durch die Genschere verändert wurde, sollen sie nicht mehr gelten. Dieses soll künftig breit eingesetzt werden dürfen, mit Einschränkungen bei Bio-Produkten.

3. Was bedeutet das für die Konsumenten?

Beim Einkauf könnten Konsumenten nicht mehr erkennen, ob die Lebensmittel mit neuen Zuchtmethoden erzeugt wurden, weil diese nicht mehr als Gentechnik eingestuft würden.

4. Wie sieht die Wissenschaft die neuen Zuchtmethoden?

Heinz Faßmann, Ex-Wissenschaftsminister, heute Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, trat kürzlich in einem offenen Brief gemeinsam mit den Rektoren der heimischen Universitäten für Lockerungen bei neuer Gentechnik ein. Faßmann sieht im Entwurf einen „Schritt in die richtige Richtung“ mit dem das „Potenzial der Forschung in dem Bereich besser ausgeschöpft werden“ könne. Man müsse „nun endlich zu einer faktenbasierten Debatte kommen“.

Reaktionen

Leonore Gewessler: „Der Vorschlag der Kommission ist eine Gefahr für den österreichischen Weg der Landwirtschaft und nimmt KonsumentInnen auch ihre Wahlfreiheit.“

Brigitte Reisenberger, Global 2000: „Dieser Vorschlag gefährdet die Umwelt und die biologische Vielfalt, indem er ungeprüfte neue Gentechnik-Produkte auf unsere Felder und Teller bringen will.“

Heinz Faßmann, Präsident ÖAW: „Mit den neuen Regelungen kann das Potenzial der Forschung in dem Bereich besser ausgeschöpft werden.“

Frans Timmermans, Vizepräsident EU-Kommission: „Unser Vorschlag erfolgt nach einer umfassenden und gründlichen Beratung und basiert auf Wissenschaft.“

5. Kritik am Vorschlag übte gestern unter anderem Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne).

Sie sieht darin eine Gefahr für den österreichischen Weg der Wahlfreiheit bei Gentechnik. Strenge Regelungen auch für die so genannte neue Gentechnik seien gemeinsame Regierungsposition, erklärten auch Konsumentenschutzminister Johannes Rauch (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP).

Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace und Global2000 sehen im Vorschlag einen Angriff auf die Transparenz und Wahlfreiheit bei Lebensmitteln und fordern ein „Nein“ Österreichs zu den Kommissions-Plänen. Der Vorschlag gefährde die Umwelt und die biologische Vielfalt, „indem er ungeprüfte neue Gentechnik-Produkte auf unsere Felder und Teller bringen will“, betonte Brigitte Reisenberger von Global 2000.

6. Wie geht es weiter?

EU-Staaten und Europaparlament müssen die Vorschläge nun diskutieren und einen Kompromiss ausarbeiten. Wann eine Entscheidung dazu fallen wird, ist noch nicht absehbar. (APA, ecke)

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An der Gentechnikfreiheit in Österreich soll keinesfalls gerüttelt werden, sagt Landwirtschaftskammer-Generalsekretär Ferdinand Lembacher.

1. Könnte künftig auch in Österreich mit „neuer Gentechnik“ verändertes Saatgut eingesetzt werden?

Neue Züchtungsmethoden und klassische Gentechnik werden heute rechtlich gleich behandelt. Damit ist aktuell ein Anbau in Österreich nicht möglich. Ob die Umsetzung der Kommissionsvorschläge daran etwas ändern würde, muss erst geprüft werden.

2. Wäre die Gentechnikfreiheit heimischer Lebensmittel damit Geschichte?

Wir wollen keinesfalls an der österreichischen Gentechnikfreiheit rütteln. Es ist zu klären, was im rechtlichen Sinn als Gentechnik zu behandeln ist und was nicht. Die Definition der Abgrenzung wollen wir aber wissenschaftlich und nicht ideologisch diskutiert wissen.

3. Kann sichergestellt werden, dass die neuen Züchtungsmethoden nicht gefährlich sind?

Die Wissenschaft sagt uns, dass für die Gesundheit kein Risiko besteht. Zusätzlich geben wir zu bedenken, dass es auch ökologisch sinnvolle Züchtungsziele, wie Trockentoleranz oder Krankheits­resistenzen gibt, die uns helfen könnten, Betriebsmittel einzusparen und damit die Nachhaltigkeit der Produktion zu verbessern.

Das Gespräch führte Stefan Eckerieder