Justizreform in Israel nimmt weitere Hürde: Massive Proteste
Israels Regierung will die unabhängige Justiz im Land gezielt schwächen. Mit einem neuen Gesetz soll das Höchste Gericht nur noch eingeschränkt handeln können. Die Protestbewegung ruft zu einem „Tag der Störung" auf.
Jerusalem – Ungeachtet massiver Proteste treibt Israels rechts-religiöse Regierung ihre umstrittene Justizreform weiter voran. Das Parlament in Jerusalem billigte in der Nacht auf Dienstag einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeit des Höchsten Gerichts einschränken soll. 64 von 120 Abgeordneten stimmten in erster Lesung dafür und 56 dagegen. Bis die Änderung in Kraft tritt, sind noch zwei Lesungen notwendig. In Israel kam am Dienstag es erneut zu Protesten gegen die Justizreform.
Die Opposition rief zu einem Tag des Protests aufgerufen, nachdem das Parlament in der Nacht den Gesetzentwurf in erster von drei Lesungen gebilligt hatte. Landesweit blockierten zahlreiche Demonstranten am Autobahnen und andere wichtige Straßen. Sie schwenkten israelische Fahnen und Leuchtfeuer, einige legten sich auf die Straße. Betroffen waren Jerusalem und die Wirtschaftsmetropole Tel Aviv aber auch die Landesmitte. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben 24 Personen fest. Sie setzte auch einen Wasserwerfer ein, um Demonstranten auseinanderzutreiben, und trug andere gewaltsam weg. Auch am internationalen Flughafen Ben Gurion waren Proteste geplant.
Der in erster Lesung verabschiedete Gesetzentwurf sieht vor, dass es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich sein soll, eine Entscheidung der Regierung sowie einzelner Minister als „unangemessen" zu bewerten. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen könnte.
📽️ Video | ORF-Analyse zur Justizreform in Israel
Die Regierung wirft dem Höchsten Gericht dagegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen. Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das umfassende Vorhaben der Regierung große Teile der israelischen Gesellschaft. Weiteres Ziel der Reform ist es, dass Politiker mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erhalten sollen. Dieses Kernvorhaben der Reform soll Medien zufolge in der nächsten Sitzungsperiode im Herbst auf die Agenda gesetzt werden.
Anfang des Jahres hatte das Höchste Gericht die Ernennung des Vorsitzenden der Shas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als „unangemessen" eingestuft. Daraufhin musste Ministerpräsident Benjamin Netanyahu seinen Vertrauten entlassen. Beobachter erwarten, dass die Regierung dies wieder rückgängig machen will.
Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte die umfassenden Pläne zum Umbau der Justiz nach massivem Druck Ende März zunächst gestoppt, vor rund drei Wochen jedoch wieder leicht abgeschwächt auf die Agenda gesetzt. Monatelange Gespräche über einen Kompromiss unter Vermittlung von Präsident Yitzhak (Isaac) Herzog zwischen Regierung und Opposition blieben erfolglos.
Am Sonntagabend forderte Herzog in einem eindringlichen Appell beide Parteien auf, den Dialog wieder zu suchen. Alles andere sei „ein Fehler von historischem Ausmaß". Die Opposition zeigte sich am Montag gesprächsbereit, sollte die Regierung ihre Pläne stoppen. Medienberichten zufolge teilte Netanyahu am Abend Herzog mit, diese weiter vorantreiben zu wollen.
Netanyahus Koalition ist die am weitesten rechts stehende, die das Land je hatte. Die Gesetzesänderungen erfolgen auch auf Druck von Netanyahus strengreligiösen Koalitionspartnern. Sie könnten Netanyahu laut Experten jedoch auch in einem schon länger gegen ihn laufenden Korruptionsprozess in die Hände spielen.
Schallenberg: „Tragbare und konstruktive Lösung" muss gefunden werden
Der Streit umd die geplante Justizreform hat Israel tief erschüttert und gespalten. Auch die USA und andere westliche Verbündete Israels haben Bedenken geäußert.
In einer Stellungnahme des österreichischen Außenministeriums hieß es am Dienstag, Israel genieße als „stabile und gefestigte Demokratie in einer von Spannungen geprägten Region einen besonderen Ruf". Man sei überzeugt, dass sich die israelische Regierung dessen bewusst sei „und dieses Alleinstellungsmerkmal als Demokratie nicht leichtfertig aufs Spiel setzt". Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz seien das „Rückgrat einer Demokratie".
Zugleich seien die anhaltenden Proteste in Israel „auch Ausdruck einer besonders aktiv gelebten Demokratie und Bürgerbeteiligung", hieß es aus dem Außenministerium. Auch wenn Vermittlungsversuche zwischen Regierung und Opposition bisher nicht gefruchtet hätten, müsse „eine tragbare und konstruktive Lösung gefunden werden, die diese Prinzipien respektiert". Dies betone Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) auch regelmäßig in seinen Gesprächen mit seinem israelischen Amtskollegen Eli Cohen. (APA/dpa)