„Das muss aufhören": Van der Bellen warnt bei Bregenzer Festspielen vor ausgrenzender Sprache
„Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird", appellierte der Bundespräsident in seiner Rede bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele.
Wien, Bregenz – Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat bei der Eröffnung der 77. Bregenzer Festspiele am Mittwoch vor „zerbrochenen Fenstern" durch ausgrenzende Sprache gewarnt und an die Parteien appelliert, stattdessen um die besten Lösungen zu kämpfen. Den „Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten" sowie den Populismus kritisierte er scharf – was auch Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler (Grüne) tat.
📽️ Video | Van der Bellen: „Sprache darf nicht ausgrenzen“
Wie in den vergangenen Jahren sprach Van der Bellen in seiner Eröffnungsrede in Bregenz nur am Rande über Kunst. „Es ist wieder einmal Zeit, auch anzusprechen, was angesprochen werden muss", stellte er am Anfang seiner Ausführungen fest: „Es scheint so, dass sich manche Dinge in unserem Land nicht in die richtige Richtung entwickeln." Er erinnerte an die US-amerikanische „Theorie der zerbrochenen Fenster" zu eskalierendem Vandalismus und Zerstörung in Städten. „Warum ich diese Theorie erwähne? Weil in unserem Land gerade einige Fenster, finde ich, zerbrochen werden. Daran sollten wir uns nicht gewöhnen."
Sein Appell: „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wieder von einem 'wir' und 'den anderen' gesprochen wird." Damit spielte er - ohne Nennung der Parteien - nicht nur auf die innenpolitische Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien ÖVP und Grüne an (Stichwort: „normal denkende Menschen" vs. „präfaschistoid"), er nannte auch „das Volk", von der FPÖ für sich reklamiert, und „unsere Leute", zuletzt im Fokus auch der SPÖ.
„Wer sind 'unsere Leut'? Bin ich dabei? Sind uns 'die anderen' dann egal? Wer sagt, wer dazu gehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer 'normal' ist und wer nicht?", fragte Van der Bellen. Es sei gefährlich, solche Begriffe so absolut zu verwenden, „denn sie werden sehr schnell gedankenlos wiedergegeben und tragen so mehr und mehr zum Zerbrechen einer Gemeinschaft bei", so der Bundespräsident. Solche Zitate würden mittlerweile von verschiedenen Parteien verwendet, „nicht nur von den üblichen Verdächtigen", wähnte sich Van der Bellen „manchmal wie im Hochwahlkampf".
Manche Politiker glaubten an den Populismus. „Aber Populismus ist nicht daran interessiert, Lösungen zu finden. Populismus will trennen, will ausgrenzen", sagte Van der Bellen. Populismus wolle, dass Probleme bleiben. „Hören Sie auf mit dem Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten. Kämpfen Sie doch lieber um die besten Lösungen", forderte der Bundespräsident „alle im politischen Stadtviertel" auf. Es gebe so viele Themen, die diskutiert und gelöst und vermittelt werden müssten, nannte er Bereiche wie Wohlstand, Klima, Umwelt, sozialen Zusammenhang oder Bildung.
Ebenso betonte Van der Bellen den Wert der liberalen Demokratie. „Wir müssen auf die liberale Demokratie achten und in ihr die konstruktive Kritik und den konstruktiven Streit pflegen, sonst steuern wir auf eine Autokratie zu", sagte das Staatsoberhaupt. In einer solchen gehe es nur jenen gut, die zum 'wir' gehörten. Wie rasch das gehe, innerhalb von 20 Jahren, sehe man „im Osten". Liberale Demokratie gehöre allen. Auch die positiven Aspekte der Migration und Integration für Österreich hob Van der Bellen hervor. „Lassen Sie uns ruhig streiten. Konstruktiv streiten. Bringen wir das Beste in uns und in Österreich zum Vorschein und nicht das Niedrigste", so der Bundespräsident.
Weltoffenheit, Zuversicht, Mut und Freude bildeten zentrale Begriffe in der Rede von Kulturminister Werner Kogler (Grüne). Altes Denken werde bei vielen Fragen nicht weiterbringen, Populisten wollten gar keine Lösungen und hätten keine Antworten. Umso wichtiger sei es, „dass alle gesellschaftlichen Kräfte, die auf tatsächliche Lösungen und Verbesserungen aus sind, zusammenfinden", beschwor Kogler „Stärke durch Zusammenhalt statt Schwäche durch Spaltung". Das gelte besonders für die Verteidigung der Errungenschaften Europas und der liberalen Demokratien auf dem Kontinent, nannte er die europäische Einigung „eine zivilisatorische Höchstleistung". Und doch sei alles, was Europa und Österreich groß gemacht habe, nicht mehr selbstverständlich, da oder dort sogar gefährdet, wählte er ähnliche Worte wie Van der Bellen. „Wir sollten hingegen die riesigen Chancen für Europa nutzen, die es gerade wieder gibt", so Kogler an die Zuhörer: „Wir haben keine Zeit zu verlieren, aber eben Chancen zu gewinnen."
Die Festspiele seien ein Herzstück der Region rund um den Bodensee. „Alle, die herkommen, sind davon beeindruckt, dass hier so viele Menschen über Grenzen hinweg miteinander verbunden sind und nachgeradezu im europäischen Geist zusammenarbeiten „, sagte der Vizekanzler. Angesichts etwa des Kriegs in der Ukraine, der höchsten Inflation seit Jahrzehnten oder der Erderhitzung wisse man nicht, was die Zukunft bringe. Allerdings könne man sie „leidenschaftlich gestalten", betonte Kogler. Hilfreich dabei sei es, Irritationen und Ängste anzusprechen, mutig zu entscheiden, Vielfalt zuzulassen oder auch Freude zu haben. „Die Freude dürfen wir uns gerade in schwierigen Zeiten nicht nehmen lassen", unterstrich Kogler. „Nicht zuletzt deswegen lieben wir die Kunst", sagte der Vizekanzler.
Festspielpräsident Hans-Peter Metzler griff einen Gedanken des Philosophen Hanno Sauer auf, wonach biologische und kulturelle Evolution „jeweils Sonderfälle eines allgemeinen Prinzips" seien. Evolution im Verständnis der Bregenzer Festspiele heiße, „dass wir sowohl neue Wege beschreiten, Vielversprechendes ausprobieren als auch auf Bewährtes zurückgreifen, auf Erfolgreiches setzen", sagte Metzler. Das Festival sei stolz auf seinen internationalen Ruf und insbesondere „auf die Neugier und Aufgeschlossenheit unserer Besucher". In Bezug auf die Stoffe in den heuer programmierten Inszenierungen stellte der Festspielpräsident fest, dass Kunst sehr wohl aufrütteln und herausfordern dürfe. „Lassen Sie sich inspirieren!", sagte er an das Publikum gerichtet.
Über 70 Veranstaltungen bis 20. August
Bis 20. August stehen am und auf dem Bodensee insgesamt über 70 Veranstaltungen auf dem Programm, für die rund 215.000 Karten aufgelegt wurden. Mindestens 90 Prozent der Tickets waren zu Festspielbeginn bereits gebucht. Den künstlerischen Auftakt des Festivals bildete am Mittwochabend die Premiere von Giuseppe Verdis „Ernani" als Oper im Festspielhaus. Die Wiederaufnahme von Giacomo Puccinis „Madame Butterfly" als Spiel auf dem See war für Donnerstagabend programmiert. Für die 26 Aufführungen von „Madame Butterfly" gelangten 185.000 Karten in den Verkauf. Mit den Opernwerken „The Faggots and Their Friends Between Revolutions" sowie „Die Judith von Shimoda" stehen auch eine Österreichische Erstaufführung bzw. eine Uraufführung auf dem Programm.
Abseits der Reden bestach die live im TV übertragene Eröffnung durch die Darbietungen der Festspiel-Künstler, die auf höchstem Niveau in vielfältigen Auszügen das Festspielprogramm vermittelten. Moderator Nikolaus Habjan sorgte mit seinem Handpuppen-Ehepaar Robert und Grete wie in den vergangenen Jahren für beste Unterhaltung. „Seien's ruhig streng, das kommt gut an", sagte etwa Grete zum Bundespräsidenten vor dessen Rede. Nach dem Abschluss der Eröffnungszeremonie mit der Europahymne traf man sich – auch das ist Tradition in Bregenz – zum nun „Festspielempfang" genannten Volksempfang auf dem Vorplatz des Festspielhauses.
77. Bregenzer Festspiele 2023
- von 19. Juli bis 20. August
- Spiel auf dem See: „Madame Butterfly" von Giacomo Puccini
- Hausoper: „Ernani" von Giuseppe Verdi
- Weitere Informationen, gesamtes Programm und Tickets unter www.bregenzerfestspiele.com
(APA)