Türkischer Botschafter will Wiederaufnahme von EU-Gesprächen
Die Türkei wünscht eine rasche Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen. Diese seien "extrem wichtig", weil man in ihrem Rahmen "auch über Probleme reden und Lösungen finden" könne, betonte der türkische Botschafter in Wien, Ozan Ceyhun, im APA-Interview. Die EU brauche die Türkei, wenn sie künftig auf globaler Ebene eine "bestimmende Rolle" spielen wolle, so Ceyhun. Lobend äußerte er sich über die österreichische Integrationspolitik. Den Türken in Österreich gehe es gut.
"Klar, Türkiye hat vor, eines Tages Mitglied der Europäischen Union zu sein", bekräftigte der Botschafter. Dieses Ziel sei unverändert. Konkret wünsche das Land nicht nur die Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche, sondern auch die Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei. Dies würde nämlich nicht nur türkischen Unternehmen nutzen, sondern vor allem auch europäischen.
Die Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche sollte auch kein Problem für Länder wie Österreich sein, die eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ablehnen. "Verhandlungen heißt ja nicht, dass wir Morgen Mitglied sind, aber bei den Verhandlungen kann man auch über Probleme reden und Lösungen finden", argumentierte er. Zugleich betonte Ceyhun, dass die Europäische Union mit der Türkei künftig "ganz anders als heute umgehen muss". Diesbezüglich verwies er auf die Rolle seines Landes als Vermittler zwischen Moskau und Kiew, in der Flüchtlingsfrage oder auch als Energielieferant. Entsprechend müsse er als Beobachter in Richtung EU feststellen, "dass es bei der neu entstehenden Weltordnung sehr wertvoll sein könnte, Türkiye auch mit dabei zu haben".
Ceyhun machte klar, dass die Türkei als EU-Mitglied auch eine entsprechend andere Ukraine-Politik verfolgen würde. Aktuell gehe es dem Land vor allem darum, ein Ende des Krieges zu erreichen, weil auch Europa unter diesem leide. "Wir unterstützen die Ukraine. Wir sind aber kein Gegner von Russland", sagte der Diplomat, der in diesem Zusammenhang insbesondere den Einsatz für eine Fortsetzung des jüngst von Russland aufgekündigten Getreideabkommens hervorhob.
Betont positiv äußerte sich Ceyhun über die bilateralen Beziehungen. "Türkiye und Österreich sind zwei befreundete Staaten, und das bleibt immer so", sagte er. Es gebe von der höchsten Regierungsebene abwärts "von beiden Seiten einen sehr guten Dialog", betonte der Diplomat. Er sei auch "begeistert", dass führende Regierungsvertreter auf Bundes- und Landesebene sich um das Integrationsthema bemühen. "Es gibt sehr viele Programme, sehr viele Hilfsangebote, sehr viele Integrationsmaßnahmen, das ist sehr erfreulich." Auch sei man "jederzeit" bereit zu Gesprächen und aufgeschlossen für Vorschläge. "Dialog, Dialog, Dialog, das ist das Allerwichtigste", betonte Ceyhun.
Angesprochen auf die umstrittenen Ausschreitungen am Abend der türkischen Präsidentenwahl in Wien-Favoriten äußerte Ceyhun Verständnis dafür, "dass einige Menschen das nicht gut gefunden haben". "Wir sollten darüber reden und dafür biete ich auch meine Zusammenarbeit an." Er habe daher umgehend den Kontakt zum Bezirksvorsteher Marcus Franz (SPÖ), zu Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sowie zu Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler (Grüne) gesucht. Weil nicht alle Beteiligten türkischstämmig gewesen seien und über türkische Heimatvereine nicht zu erreichen seien, habe er vorgeschlagen, es z.B. über Sportvereine zu versuchen.
Ceyhun kündigte an, dass Wien und Ankara kommendes Jahr zwei wichtige Jahrestage mit Veranstaltungen und auch hochrangigen politischen Kontakten begehen werden, den 100. Jahrestag des türkisch-österreichischen Freundschaftsabkommens und den 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens für türkische Gastarbeiter. In den letzten 59 Jahren habe sich "sehr viel positiv verändert. Die Söhne, Töchter oder Enkelkinder von diesen Menschen sind heute erfolgreiche Ärzte, manche Politiker, andere üben viele andere Berufe aus", betonte er. Von den heute 300.000 türkischstämmigen Menschen in Österreich hätten noch 120.000 die türkische Staatsbürgerschaft, aber auch diese hätten "ihren Lebensmittelpunkt in Österreich". Er gehe davon aus, dass es den Türken in Österreich "nicht schlecht" gehe. "Viele würden sagen: Wir sind zufrieden."
Beim Thema Doppelstaatsbürgerschaft äußerte Ceyhun "Respekt" für die österreichische Position, diese abzulehnen. Er selbst sei deutsch-türkischer Doppelstaatsbürger "und ich habe nie gesehen, dass es Probleme verursacht hat", so Ceyhun, der in den 1980er Jahren über Österreich nach Deutschland gekommen war und dort in Verwaltung und Politik Karriere gemacht hatte. Diesbezüglich zog er einen Vergleich zum Fußball. Die Nationalmannschaften der Türkei und Deutschlands spielten in seinem Leben "höchstens zehn Mal" gegeneinander, und in diesen Fällen sei er für die Türkei. Aber insgesamt bestreite Deutschland "mindestens hundert Nationalspiele mit vielen anderen Mannschaften. Wenn Deutschland nicht mit Türkiye spielt, bin ich für Deutschland."
Ceyhun hob auch die weit in die Geschichte zurückreichenden guten Beziehungen zwischen Österreichern und Türken hervor. Man rede viel über die beiden Belagerungen Wiens, "aber die Türken haben auch Wien verteidigt", sagte er mit Blick auf die Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg. So hätten osmanische Soldaten damals in Galizien (heutige Westukraine) gegen Russland gekämpft. Die dort gefallenen 13.000 Soldaten sei "die höchste Zahl von Soldaten, die wir bei der Verteidigung eines Bündnispartners verloren haben". Für sie soll kommendes Jahr ein Denkmal auf dem Wiener Zentralfriedhof aufgestellt werden, kündigte Ceyhun an.
Zwischen den beiden Ländern habe es seit dem Jahr 1791 keinen Krieg mehr gegeben, und nach dem Ersten Weltkrieg hätten die beiden jungen Republiken einen Freundschaftsvertrag geschlossen. In dem Abkommen aus dem Jahr 1924 sicherten einander Wien und Ankara immerwährende Freundschaft zu, und zwar nicht nur auf Regierungsebene, sondern auch auf jener ihrer Bürger. Ceyhun räumte ein, dass er vor dem Antritt seines Botschafterpostens nicht um diesen "tollen Vertrag" gewusst habe, der "eigentlich weltweit eine vorbildliche Rolle spielen könnte". "Es geht um Demokratie, es geht um Werte, die heutzutage für uns noch immer sehr, sehr wichtig und wertvoll sind", betonte er.
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)