Die kesse Lippe des Rock: „Rolling Stone“ Mick Jagger wird 80
Mick Jagger wird heute 80. Als Sänger der „Rolling Stones“ ist er eine lebende Legende. Ein kleines Porträt zum Geburtstag.
Martin Scorsese ist im Begriff, die Nerven wegzuwerfen. „Er könnte Feuer fangen? Wir können doch Mick Jagger nicht verbrennen!“, zeigt sich der Regie-Altmeister ernsthaft besorgt.
Scorsese will Jagger und die Rolling Stones für seinen Konzertfilm „Shine a Light“ (2008) hautnah in Szene setzen. Scheinwerfer sollen dem singenden Herrn mit der markantesten Lippe des Rockbusiness dazu möglichst nahe auf die durchtrainierte Pelle rücken. Das geht für ein paar Sekunden gut. Danach droht der Frontmann zu verbrutzeln, live on stage.
Doch alles klappt wie am Schnürchen. „Shine a Light“ wird zum großartigen Porträt Jaggers, ein grandioses Dokument seiner Ausstrahlung und Bühnenpräsenz, seiner enormen Agilität im höheren Alter, das mit heutigem Tage 80 Jahresringe zählt.
Wir sehen Jagger, wie er tänzelt und grimassiert, kaum einmal stillsteht, unterwegs ist und angriffig, immer noch ganz der „Street Fighting Man“ seiner viel jüngeren Jahre. Da verhöhnte er mit „(I Can’t Get No) Satisfaction“ das Spießbürgertum der 1960er-Jahre und machte sich, wiewohl selbst aus gutem Hause stammend, zum Sprachrohr der Underdogs.
Unverdrossen treibt Jagger seine zwei verbliebenen Veteran-Kumpane an, Keith Richards und Ron Wood, die sich jeweils für den besseren Gitarristen halten. Ur-Bassist Bill Wyman hatte schon vor 30 Jahren genug von der Fuchtel des Chefs. Drummer Charlie Watts starb 2021.
Aufhören? Nicht mit Jagger. Nicht mit 80, wahrscheinlich nie. 2022 feierten die Stones ihr 60-Jahr-Bühnenjubiläum – natürlich mit einer ausgedehnten Konzertserie inklusive Stopp in Wien.
Mit Vehemenz hält der als Michael Philip Jagger am 26. Juli 1943 im Süden Englands geborene rastlose Rocker die Zügel fest in der Hand und die gut geölte (Geld-)Maschine Rolling Stones am Laufen.
Jagger ist eben vieles: einer der letzten lebenden großen Rockstars, ja, fallweise auch ein Großmaul, ein herausragender Entertainer, ein Sänger mit unverwechselbarem Organ – und ein Geschäftsmann vor dem Herrn. So einer tritt nicht ab.
Zusammen mit Keith Richards (79), seinem hassgeliebten Wegbegleiter seit den Londoner Anfängen, hat Jagger Hunderte Songs geschrieben. Hadern, Klassiker, Schmachtfetzen, Perlen für das streng zugangsbeschränkte inoffizielle Buch der besten Rocksongs aller Zeiten: „As Tears Go By“, „Tumbling Dice“, „Paint It Black“, „Sympathy for the Devil“, „Start Me Up“, „Wild Horses“ etc. etc.
Die Drogen ließ Jagger bald sein. Im Fach Selbstzerstörung trieb es Kollege Richards bis an den Rand des Abgrunds. Jagger füllte indessen mit wechselnden Liebschaften die Klatschspalten. Er war zweimal verheiratet, ist achtfacher Vater – und schon Uropa.
Na und? „It’s only rock ’n’ roll but I like it.“ Bei Jagger ist das mehr als bloß das Bekenntnis einer großen Lippe. (mark)