Besondere Premiere

„Parsifal“ in Bayreuth: Gral, Sterne, Blumen – und ein gähnender Fuchs

Elına Garanca (mit Andreas Schager als Parsifal) gelang als Einspringerin für die Partie der Kundry ein ausgezeichnetes Bayreuth-Debüt.
© Enrico Nawrath

Bayreuth eröffnet mit einem besonderen „Parsifal“. 300 Besucher erleben die Premiere mit Spezialbrille virtuell aufgepeppt.

Bayreuth – Auf dem Empfang im Neuen Schloss Bayreuth gratulierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dem Team des neuen „Parsifal“, merkte aber an, dass er die virtuelle Komponente für Spielerei und verzichtbar halte.

Gemeinsam mit gut 300 Mitstreitern durfte Ihr Kritiker eine „Augmented Reality“-Brille tragen. Der Rest des Publikums erlebte eine recht konventionelle Inszenierung, die den Kampf um seltene Erden, die Probleme eines blutdürstigen Clans mit dem Verzicht auf Erlösung verknüpft. Der Gral wird schlussendlich zertrümmert und die Botschaft könnte lauten: Kümmert euch um Weltliches, vor allem um Natur und Umwelt.

Man sieht als Spezialbrillenträger diese Inszenierung zwar auch, bemerkt ihre zeitweise große Statik, wird aber oft in die stupenden Videowelten von US-Regisseur Jay Scheib entführt, nein, eher katapultiert. Die überwiegend live kreierte virtuelle Welt bringt einem Sterne, zahllose Tiere (Insekten, Vögel, aber auch einen gelangweilt gähnenden Fuchs – nicht mit dem Rezensenten verwandt!), Batterien und überdimensionalen Plastikmüll oder eine überdrehte Blumenwelt vor die Augen. Letztere enerviert ein wenig, weil die auf der Bühne anmutig schreitenden Blumenmädchen nicht unbedingt durch ständig vorbeirasende Pflänzchen ergänzt werden müssten.

Überhaupt lenkt manches ab von der Kerngeschichte. Die Konzentration der Gralszeremonien geht ebenso flöten wie die stückimmanenten, pathetischen Begegnungen mancher Figuren. Vor allem Parsifal und seine (scheiternde) Verführerin Kundry bleiben einem ob der Bilderflut emotional recht fern.

Das mag man alles bedauern, indes wird mit dieser Premiere tatsächlich Neuland betreten. Man nimmt auch einige Kinderkrankheiten (vor allem die doch ziemlich schwere, manchmal auch sehr warm werdende Brille oder ein paar Ruckeleffekte) gerne in Kauf, weil man doch immer wieder frappierende Momente erlebt und ahnt, dass hier Zukunftsmusik entsteht. Dass, mit Verlaub, der Kritiker gleich zweimal einen fast nackten Kundry-Avatar auf seinem Schoß hatte, war auch eine ganz neue Erfahrung.

Publikum gespalten

Musikalisch ist bei dieser Premiere nichts möglich außer Schwärmen! Elina Garancas wunderbares Kundry-Verführerinnen-Timbre mit einer tollen Tiefe und exzellenter Textverständlichkeit, Georg Zeppenfels’ brillant orgelnder Gralshüter Gurnemanz, Jordan Shanahan, hier eher eleganter denn böser Klingsor, sowie Andreas Schager, der zuletzt manche Wagner-Partie lautstärkemäßig doch überzeichnete und nun einen feinen, klaren, an den passenden Stellen burschikos auftrumpfenden Parsifal singt – sie alle überzeugen. Wie auch die Blumenmädchen und der Gralsritterchor mit nur ein paar kleineren Wacklern.

Bleibt der Debütant im Graben. Allzu oft gibt es selbst bei guten, renommierten Dirigenten im ersten Jahr Schwierigkeiten. Nicht so bei Pablo Heras-Casado. Ja, man mag über ein paar zu gedehnte Tempi diskutieren. Insgesamt entsteht ein voluminöses, nicht zu pompöses Klangbild mit starken Akzenten genau da, wo sie hingehören.

Das Publikum war gespalten: extremer Jubel für die Musik, einige heftige Buhs fürs Regieteam. Wobei natürlich völlig unklar bleibt, ob den Zauberbrillenträgern die Sache nicht gefiel oder den „normalen“ Zusehern die „normale“ Inszenierung – oder ob vielleicht jemand sauer war, weil er oder sie keine Brille bekommen hatte.

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