Roman von Sabine Gruber

„Die Dauer der Liebe“: Verzweiflungserheiterung für die Tage ohne Trost

Am 23. November stellt Sabine Gruber „Die Dauer der Liebe“ in der Innsbrucker Wagner’schen vor.
© Alain Barbero

Was bleibt von einem gemeinsam gelebten Leben, wenn einer für immer geht? Sabine Grubers neuer Roman „Die Dauer der Liebe“.

Innsbruck – Was bleibt? Und wie geht es weiter? Das hat sich Konrad, der zum Künstler gewordene Architekt, gefragt. Er hat Fotografien historischer Gebäude „überzeichnet“ – und durch die Überzeichnungen herausgearbeitet, was von dem, das einmal da war, noch da ist. Bauten, die im italienischen Faschismus entstanden sind, haben Konrad beschäftigt, modernistische Modellsiedlungen, klarkantige Behauptungsversuche eines verbrecherischen Systems, das für sich beanspruchte, die Zukunft sein zu wollen.

Was bleibt? Wie geht es weiter? Das fragt sich auch Renata. Sie versucht es jedenfalls. Weil Konrad nicht mehr ist. Auf einem Parkplatz ist er zusammengebrochen. Renata, in Wien lebende Übersetzerin, hat erst Tage danach davon erfahren. Obwohl sie und Konrad seit Langem ein Paar waren. Rechtlich legitimiert haben sie die Beziehung nie – weshalb das, was Renata ganz konkret von Konrad bleibt, dürftig ist. Seinem Testament fehlt die notarielle Beglaubigung. „Ein Zettel“, sagt Konrads Tiroler Familie. Sie erhebt Besitzansprüche. Selbst die CDs im gemeinsamen Auto sind weg. Und auch für das gemeinsame Bett hat die Mutter des Verstorbenen Pläne. Renata wird als Witwe wilder Ehe beim Begräbnis geduldet – und immer wieder mit passiv-aggressiven Beiläufigkeiten gedemütigt.

Davon erzählt Sabine Gruber in ihrem neuen Roman „Die Dauer der Liebe“ – von Schock und Trauer, von Sprach- und Trostlosigkeit, vom Zorn, der sich aufstaut, und von der beinahe slapstickhaften Komik, in der er sich entladen kann. Von dem, das bleibt, also. Davon, wie es weitergehen sollte. Davon, wie es weitergeht.

Die Frage, ob Gruber mit „Die Dauer der Liebe“ auch eigene Erfahrungen – im doppelten Wortsinn – überzeichnet, böte sich an. Der langjährige Partner der vielfach ausgezeichneten Südtiroler Autorin starb 2016. In sehr berührenden Gedichten hat sie ihre Trauer ver- und bearbeitet: „Am Abgrund und im Himmel zuhause“ und „Am besten lebe ich ausgedacht“ erschienen 2018 und 2022 in bibliophiler Ausstattung bei Haymon. Manche Motive tauchen nun auch in „Die Dauer der Liebe“ auf: Dass sich Renata beispielsweise auf dem Weg zurück in den Alltag auch auf einschlägigen Dating-Apps nach „Zwischenmännern“ und „Schmerzverdünnern“ umsieht zum Beispiel, sorgt im Roman – um einmal im Feld der Gruber’schen Komposita zu dilettieren – für Verzweiflungserheiterung. Die dubiosen oder derangierten Klickbekanntschaften in spe, die Sabine Gruber in „Die Dauer der Liebe“ an- und ein Stück weit auch vorführt, sind fraglos nah dran an dem, das sich tatsächlich im Digitalen tummelt. Der Roman ist selbstverständlich trotzdem Literatur, also Fiktion, ein kunstvolles Netz an Bezügen und Verweisen – auf andere Trauertexte zum Beispiel, aber auch auf bisherige Romane der Autorin: Bruno etwa, der Renata ohne große, aber meistens mit den richtigen Worte(n) beisteht, ist jener Kriegsfotograf Daldossi, der im Zentrum von Grubers gleichnamigem, 2016 erschienenem Roman steht. Sabine Gruber schreibt der Welt nicht hinterher, sie lässt neben der echten eine andere entstehen: beklemmend, bedrohlich und auf eigentümliche Art schön – wie diese faschistischen Futurismusbauten, die es Konrad angetan haben. In eingeschobenen Rückblenden ist „Die Dauer der Liebe“ auch ein Roman über die Kraft der Liebe, über Intimität und die trügerische Gewissheit, dass Gutes ewig zu währen hat. Von dieser Gewissheit und dem Guten bleiben letztlich Spuren. Renata beginnt sie aufzulesen. Auch als Versuch, dem Unausweichlichen auszuweichen, wird sie zur Detektivin. Gab es Geheimnisse? Geschichten hinter den Geschichten? „Die Dauer der Liebe“ ist ein Buch der kleinen, präzise geschilderten Beobachtungen – und der großen Aha-Momente, die sie anstoßen – hart und schonungslos. Und doch: ein Verzweiflungserheiterer.

Roman Sabine Gruber: Die Dauer der Liebe. C. H. Beck, 251 Seiten, 24,70 Euro.

Verwandte Themen