„Nathan der Weise“ bei den Salzburger Festspielen: Die Dialektik der Aufklärung
Ulrich Rasche inszeniert Lessings „Nathan der Weise“ mit Valery Tscheplanowa auf der Perner Insel.
Hallein –Hochkonzentriert ist dieser „Nathan“. Und er fordert höchste Konzentration. Bisweilen wird es ziemlich zäh an diesem mit einer Spielzeit von gut vier Stunden doch recht langem Abend. Jede Silbe von Gotthold Ephraim Lessings „dramatischem Gedicht“, so scheint es, will hier betont werden. Das geht auf Kosten der Zwischentöne – und macht das Ganze arg monoton. Regisseur Ulrich Rasche nimmt das Paradestück der deutschen Aufklärung als Partitur, formt es zu formstrengen Deklamationstheater auf sich durchwegs drehenden Drehbühne.
Lessing hat die Bühnentauglichkeit des „Nathans“ bezweifelt, verstand seinen 1779 veröffentlichten Text eher als Lese- und Lehrstück. Rasche räumt diesen Zweifel aus – und findet dafür neue. Auch „Nathan der Weise“ lässt sich in großen Licht- und Nebelbildern erzählen. Aber der Kern des Stückes, „Nathan“ als Hochamt von Vernunft und Toleranz, die selbst grausamste Glaubenskrieger gnädig stimmt, diese Botschaft mag man nicht mehr glauben. Man muss Horkheimer, Adorno und deren „Dialektik der Aufklärung“ nicht studiert haben, um zu wissen: Reine Vernunft verhindert keine Katastrophen. Auch deshalb taucht Rasche das „Happy End“ des Stücks in Blutrot. Und wenn im Chor Menschlichkeit skandiert wird, dann klingt das unheilvoll.
Aber der Reihe nach: Mit Rasches „Nathan“-Neuinszenierung in der Sudhalle der Pernerinsel in Hallein startete am Freitagabend – den „Jedermann“ einmal außen vor – das Schauspielprogramm der heurigen Salzburger Festspiele. Dass der weise Nathan von Valery Tscheplanowa gespielt wird, sorgte zuletzt für viel Gerede. Nicht weil Tscheplanowa den Part kurzfristig übernommen hat, sondern weil sie kein alter, weiser oder eben weißer Mann ist. Großartig, weil kühl, klar, hart und, wenn auch nur für Augenblicke, emotional griffig ist sie trotzdem. Oder deswegen? Belauert, verfolgt und befragt wird ihr Nathan von Sprechfiguren – selbst die große Almut Zilcher als Schwester des Sultans bleibt blass. Mal gepresst, mal breit grimassierend und meistens den leeren Blick aufs Irgendwo im hinteren Zuschauerraum gerichtet arbeiteten sich Sultan (Nicola Mastroberardino), Tempelherr (Mehmet Atesci) und Recha (Julia Windischbauer) durch den Text. Manchmal gehen sie dabei mit, meist gegen die Richtung Drehrichtung der Bühne. Die Bewegung, das Spiel von Nähe und Distanz, die Choreografie zeitigt erstaunliche Effekte: Es zieht sich – und doch entwickelt sich Spannung. In den besseren Momenten, vornehmlich im ersten Teil, wird sie von der live gespielten Musik (Komposition: Nico van Wersch) unterstrichen. Langweilig ist dieser „Nathan“ nicht, er hat Momente, aber langatmig ist er. Man möchte sagen: dialektisch. (jole)