🎬 Neu im Kino

„Die Geschichte einer Familie“: Bemühter Zorn in der Einöde

Die Erinnerungen an gestern verblassen bei Chrissi (Anna Maria Mühe), aber sie sind stets präsent.
© Polyfilm

Das Ende einer Familie ist der Beginn für „Die Geschichte einer Familie“ von Karsten Dahlem.

Innsbruck – Nußdorf also. Dorthin kehrt Chrissi heim. Ganz und gar nicht freiwillig. Oder selbstbestimmt. Seit einem Stunt-Unfall sitzt die Tochter eines Polizisten im Rollstuhl. Weil sie keine geeignete Wohnung bekommt, bleibt ihr nicht viel anderes übrig, als im Haus ihrer Kindheit und Jugend anzuklopfen. Der Vater hat ihr eine Rampe aus zwei Brettern gebaut – wirklich happy ist er über ihre Rückkehr aber nicht. In Nußdorf hat sich schließlich so ziemlich alles verändert.

Das lässt sich anhand der in warmes Honiggelb getauchten Erinnerungen zumindest erahnen. Früher war da nicht nur die kalte Einöde, sondern auch Familie, die Jugendliebe Sascha und der Bruder Jochen, eigentlich „Jo“. Geblieben ist davon nichts. Und der Rest vom Gestern wird heute in Alkohol getränkt. Erinnerungen verblassen wie die Tapete an der inzwischen bröckelnden Wand. Was ist genau passiert? Das wird im Langfilmdebüt von Karsten Dahlems „Die Geschichte einer Familie“ erst nach und nach aufgedeckt. Denn es sind nicht (nur) der eine Unfall und die körperlichen Folgen, die Chrissi rasend machen. Ein erster Unfall hat sie erst zur lebensmüden Stuntfrau gemacht. Es ist jener Unglücksfall aus der Jugend, der ihre Familie als Gesamtes auf dem Gewissen hat.

🎬 Trailer | Die Geschichte einer Familie

Der Zorn ist dem Gesicht von Anna Maria Mühe, die Chrissi verkörpert, regelrecht eingeschrieben. Alles konzentriert sich auf die angestrengte Mimik – sie war bei Mühe schon einmal weniger be-müht. Unvergessen bleibt sie als rechtsextreme NSU-Strippenzieherin Beate Zschäpe in der ARD-Reihe „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“. Erst 2022 spielte Mühe die rachedurstige Bestatterin Brunhilde Blum in Bernhard Aichners „Totenfrau“. Mühes Gegenpart ist jetzt Michael Wittenborn, der alkoholkranke Vater, der das Herz der Familie bleibt – und das, obwohl auch er zum Zusammenbruch der Gemeinschaft seinen Teil beigetragen hat.

Erst relativ spät wird die Familie – und damit auch deren gesamte in Einzelteile zerlegte Geschichte – mit der Mutter (Therese Hämer) komplettiert. Sie hat die Trauer mit Glauben überdeckt. Wie Chrissi fernab der deutschen Provinz, sie ist „ihrem“ Pater Joseph nach Afrika gefolgt. In dieser Beziehung gibt es nichts zu kitten, Chrissi weiß es schnell. Anders als bei ihrem Ex Sascha.

Auf ein Happy End wartet man angesichts der schieren Aussichtslosigkeit in diesem durch und durch bedrückenden Familiendrama lange. Wenn schon keine Aussöhnung, eine Annäherung immerhin gibt es. Plötzlich ist die Provinz nicht mehr ganz so düster. Wenigstens für einen kurzen Moment.

Im Kino

Die Geschichte einer Familie. Ab 12 Jahren. Ab heute im Kino. In Innsbruck: Cinematograph.

TT-ePaper jetzt 1 Monat um € 1,- lesen

Die Zeitung jederzeit digital abrufen, bereits ab 23 Uhr des Vortags.

Verwandte Themen