Sterbende Giganten: Ausstellung in Oetz zum Leben mit den Gletschern
Eine Ausstellung in Oetz widmet sich dem Leben in Angst vor und um die Gletscher.
Oetz – Der Scherz ist bitter – und drängt sich gerade deshalb auf: Ein Museum, das sich Gletschern widmet, geht mit der Zeit. Der Schwund der alpinen Eisberge ist hierzulande das offensichtlichste Zeichen der Klimaerwärmung. Die Bilder von nur vermeintlich ewigem Eis, das in weißes Vlies gepackt in immer heißeren Sommern geschützt werden soll, lassen sich inzwischen regelmäßig kaum anders deuten denn als Warnung: So wie bisher wird es wohl nicht mehr lange weitergehen. Auch wenn die, deren Geschäftsgrundlage nicht zuletzt die Gletscher sind, ihren Rückgang fleißig dazu nützen, etwaige Ski-Weltcup-Hänge zu sanieren.
Im Turmmuseum Oetz ist derzeit die sehr sehenswerte, ungemein aufschlussreiche – und recht bedrückende Ausstellung „Ötztaler Gletscher. Katastrophen, Klimawandel, Kunst“ zu sehen. Das die Schau begleitende gleichnamige Sachbuch ist im Studienverlag erschienen.
Illusionen, dass dem Abschmelzen der Eiszungen Einhalt geboten werden kann, erlauben weder die Buchlektüre noch der Museumsrundgang. „Pro Tag schmelzen im Sommer zehn bis zwanzig Zentimeter Eis“, berichtet etwa die Glaziologin Andrea Fischer in ihrem Aufsatz „Wie der forschende Blick auf die Gletscher unsere Sicht auf die Welt änderte“. Und wenige Zeilen später fällt dann der Satz, der auch in der Ausstellung prominent platziert ist: „Kinder, die heute geboren werden, werden mit großer Wahrscheinlichkeit nahezu eisfreie Ostalpen erleben.“
Angesichts dieser Aussicht sehnt man sich beinahe zurück in eine Zeit, als Gletscher noch eine Bedrohung für Land und Leben waren – und besagtes Leben, wie es Franz Jäger in seinem Beitrag zum Sammelband hervorhebt, „nur mit und nicht gegen die Natur gelingen“ konnte. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein stieß der Gletscher in Kaltphasen in den Lebensbereich der Bewohner des hinteren Ötztals vor. Eis verriegelte ganze Taler, dahinter drohte aufgestautes Wasser. Die Erzählungen von „Polarmeeren“ im Hochgebirge – darin lässt sich durchaus auch unfreiwillige Ironie erkennen – machte die Gegend in vortouristischer Zeit für Reisende und Künstler, die das Außerordentliche, Ursprüngliche und Erhabene suchten, interessant.
Die Ötztaler Gletscher bilden eine der größten zusammenhängenden Eisflächen der östlichen Alpen. Vom Leben damit zeugen zahlreiche kulturgeschichtliche Artefakte und Kunstwerke. Die wohl älteste Darstellung eines Gletschers überhaupt, eine Aquarellzeichnung des Vernagtferners von Abraham Jäger, stammt aus dem Jahr 1601. Die Leihgabe des Ferdinandeums zählt zu den Höhepunkten der Ausstellung. Das Bild stellt – wenn man so will – auch den Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Gletschern dar, deren Entwicklung die Schau auch nachzeichnet.
Turmmuseum Oetz. Schulweg 2, Oetz; bis Oktober 2024. Do–So, 14–18 Uhr. www.oetztalermuseen.at
Sachbuch. Edith Hessenberger/Veronika Raich (Hg): Ötztaler Gletscher. Katastrophen, Klimawandel, Kunst. Studienverlag, 188 Seiten, 27,90 Euro