Ex-Kanzler Kurz muss im Oktober wegen Vorwurfs der Falschaussage vor Gericht
Sebastian Kurz muss vor Gericht: Der Ex-Kanzler ist wegen des Vorwurfs der Falschaussage angeklagt. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft. Auch zwei seiner Vertrauten müssen vor dem Richter Platz nehmen.
Wien – Sebastian Kurz muss vor Gericht. Der frühere ÖVP-Chef und Bundeskanzler wird wegen Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss angeklagt. Das wurde Freitagmittag von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) offiziell bestätigt. Es gibt auch schon einen Termin: Der Prozessbeginn am Wiener Landesgericht für Strafsachen ist mit 18. Oktober dieses Jahres angesetzt. Die Verhandlung ist auf drei Tage anberaumt, die Urteile sollen am 23. Oktober fallen. Der Strafrahmen für das zur Last gelegte Delikt beträgt bis zu drei Jahre Haft.
Von der WKStA wegen falscher Zeugenaussage zur Anklage gebracht wurden neben Kurz auch dessen langjähriger Vertrauter Bernhard Bonelli, Kabinettschef im Bundeskanzleramt unter Kurz und dessen Nachfolger Alexander Schallenberg. Auch die vormalige ÖVP-Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner, bis März 2022 Generaldirektorin der Casinos Austria und Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Lotterien, wird neben Kurz auf der Anklagebank im Großen Schwurgerichtssaal Platz nehmen müssen. Für alle drei Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.
Prozess im Oktober
Kurz und Vertraute vor Gericht: Die konkreten Vorwürfe im Überblick
Wie die Sprecherin des Landesgerichts, Christina Salzborn, bekannt gab, wurde der Strafantrag gegen Kurz, Bonelli und Glatz-Kremsner bereits am vergangenen Freitag beim Landesgericht eingebracht. „Wie es nach der Strafprozessordnung vorgesehen ist, wurde der Strafantrag vor der Zustellung an die Angeklagten und Ausschreibung der Hauptverhandlung erst einer Prüfung durch den Richter unterzogen“, skizzierte Salzborn die weiteren Abläufe. Der umfangreiche Akt umfasse „mehrere Kisten“, der Strafantrag 108 Seiten.
Richter Michael Radastzics führt Vorsitz
Den Prozess wird Michael Radastzics leiten, der seit Anfang Jänner als Richter am Landesgericht für Strafsachen tätig ist. In den vorangegangenen 15 Jahren war er bei der Staatsanwaltschaft Wien tätig, wo er ab 2012 als Gruppenleiter fungierte. Ursprünglich hatte Radastzics, der seine juristische Laufbahn als Rechtsanwalt begonnen hatte, gegen Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser ermittelt und dann jahrelang das Eurofighter-Verfahren betreute, ehe ihm 2019 der Akt entzogen und der WKStA übergeben wurde. Nun wird Radasztics als Einzelrichter die Stichhaltigkeit der Anklage der WKStA gegen Kurz &Co zu beurteilen haben.
Worum geht's?
Wie die WKStA Freitagmittag in einer Pressemitteilung verbreitete, wird Kurz und Bonelli vorgeworfen, sie hätten als Auskunftspersonen vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss insbesondere im Zusammenhang mit der Befragung zur Errichtung der ÖBAG und der Besetzung des Vorstandes und Aufsichtsrates dieser Gesellschaft falsch ausgesagt. Glatz-Kremsner – sie wird in der Aussendung der WKStA nicht namentlich genannt – soll sowohl vor dem U-Ausschuss als auch bei ihrer Vernehmung als Zeugin im Ermittlungsverfahren der WKStA zur Bestellung eines Vorstandsmitgliedes der Casinos Austria AG falsch ausgesagt haben.
Die WKStA geht in ihrem Strafantrag davon aus, dass Kurz und die beiden Mitangeklagten unter Wahrheitspflicht nicht nur mit bedingtem Vorsatz, sondern „wissentlich“ die Unwahrheit gesagt hätten. In der Aussagepsychologie bestünde "Einigkeit darüber, dass Menschen grundsätzlich nicht ohne Motiv lügen", hält die Anklagebehörde fest. Und weiter: „Fallbezogen liegt ein starkes Motiv für eine vorsätzliche Falschaussage vor.“
Die vom Gericht zu beurteilenden inkriminierten Aussagen hätten nämlich allesamt einen Bezug „zu einer möglichen von Kurz zu verantwortenden (strafrechtlich per se nicht relevanten) politischen Einflussnahme auf Postenbesetzungen und umfassende und explizite Vereinbarungen zu verpöntem 'Postenschacher“, betont die WKStA. Kurz und seine Bewegung hätten „stets als Markenkern einen 'neuen Stil' ihrer Politik beworben“ und offensichtlichen Proporz und Postenschacher kritisiert, „weshalb es für Kurz wesentlich war, dass seine Bewegung in der öffentlichen Wahrnehmung eine andere 'Politik' glaubhaft machen kann“.
Folglich habe Kurz im U-Ausschuss auf Fragen nach der Gesetzmäßigkeit von Postenbesetzungen entsprechende, nicht wahrheitsgemäße Antworten gegeben, vermeint die WKStA. Und führt dazu im Antrag auf Bestrafung dann weiter ins Treffen: „Hinzu kommt aber noch die aussagepsychologische Erkenntnis, dass eine Lüge besonders leichtfällt, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Einerseits, wenn sie einer Person oder Institution dient, zu der eine enge Bindung besteht (hier die eigene Partei); andererseits, wenn durch die Lüge keine andere Person unmittelbar geschädigt wird, höchstens eine anonyme Institution, z.B. der Staat.“
In ihrem Strafantrag spricht sich die Strafverfolgungsbehörde übrigens explizit gegen ein diversionelles Vorgehen aus, das beim Delikt der Falschaussage grundsätzlich möglich wäre. Im gegenständlichen Fall komme eine Diversion, mit der Kurz & Co einer Verurteilung – allenfalls gegen Auferlegung einer Geldbuße – einer Verurteilung entgehen würden, „mangels Verantwortungsübernahme und zusätzlich auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten nicht in Betracht“, meint die WKStA.
Kurz weist Vorwürfe zurück
Was man bereits am Vormittag über die Medien erfahren habe, habe sich nun offiziell bestätigt, ließ nach Bekanntwerden der Anklage ein Sprecher des ehemaligen Kanzlers wissen. Nun werde die Anklage erst einmal durch Kurz' Anwalt geprüft. Bereits am Vormittag hatte Kurz selbst auf Twitter (X) geschrieben: „Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen.“
Es sei „für uns wenig überraschend, dass die WKStA trotz 30 entlastender Zeugenaussagen dennoch entschieden hat, einen Strafantrag zu stellen“, schrieb Kurz weiter. Als „bemerkenswert und rechtsstaatlich nicht unbedenklich“ bezeichnete es Kurz, „dass die Medien einmal mehr vor den Betroffenen über den Verfahrensstand informiert sind“.
Am Freitagvormittag hatten sich unter Journalistinnen und Journalisten Hinweise auf die bevorstehende Anklage gegen Kurz verdichtet. Nach gesicherten Informationen der APA wurde die Kanzlei von Rechtsanwalt Werner Suppan, der Kurz vertritt, jedoch vor Freitagmittag von der Justiz sowohl vom Einbringen des Strafantrags als auch dem Prozesstermin informiert.
Nehammer: „Möglichkeit der Aufklärung“, Kritik von Babler
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sieht bei der Anklage gegen Kurz vor allem die Gelegenheit für eine Aufklärung des Falles: „Wenn es soweit ist, besteht jetzt endlich die Möglichkeit der Aufklärung für alle betroffenen Personen und die Gelegenheit, tatsächlich diese Aufklärung anzustreben“, sagte er in einer Pressekonferenz mit seinem deutschen Amtskollegen Olaf Scholz am Freitag in Salzburg. „Es ist wichtig, dass es endlich zur Klärung der Vorwürfe kommt“, meinte auch ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.
„An Tagen wie heute zeigt sich einmal mehr: Die Justiz arbeitet ohne Ansehen der Person und ermittelt unabhängig“, reagierte der Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen, in einer schriftlichen Stellungnahme. „Wir haben vollstes Vertrauen in die Justiz, die wird in Ruhe und mit der gebotenen Seriosität arbeiten.“ Aufklärung und Transparenz seien jetzt die entscheidenden Punkte. „Angriffe und Unterstellungen gegen die Justiz und den Rechtsstaat sind jetzt – wie auch sonst – nicht sinnvoll und unpassend“, hieß es weiter in der Aussendung.
„Jetzt geht um es eine gerichtliche Frage, moralisch ist dieses System Kurz gescheitert“, meinte SPÖ-Chef Andreas Babler am Rande einer Pressekonferenz. Kritik übte er an Nehammer, denn „eine Distanzierung findet überhaupt nicht statt“. „Moralisch und politisch mag ich nicht einmal anstreifen an so einem Politikstil“, sagte Babler.
Das „System Kurz“ sei in der ÖVP noch immer intakt, kommentierte der einstige SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Jan Krainer, die Anklageerhebung. Noch immer seien „zahlreiche Drahtzieher" in engsten Parteikreisen beschäftigt. NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos meinte wiederum: „Jetzt gilt es, die Justiz in Ruhe arbeiten zu lassen – ohne Versuche, die Justiz und dieses Verfahren durch türkise Querschüsse behindern zu wollen.“ Der Freiheitliche Christian Hafenecker sieht in der Anklage „nur die Spitze des Eisberges“. Die FPÖ setze ihr Vertrauen ganz in die Justiz. (TT.com, APA)
Causa Kurz: Die relevanten Gesetzesstellen
Die im Verfahren gegen Sebastian Kurz relevanten Gesetzesstellen finden sich im Strafgesetzbuch und beziehen sich auf die Regelungen zur falschen Beweisaussage bzw. zum bedingten Vorsatz. Die Stellen im Wortlaut:
Paragraph 288 StGB: (1) Wer vor Gericht als Zeuge oder, soweit er nicht zugleich Partei ist, als Auskunftsperson bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch aussagt oder als Sachverständiger einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten erstattet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (2)......
(3) Nach den Abs. 1 und 2 ist auch zu bestrafen, wer eine der dort genannten Handlungen im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrates oder einer Disziplinarbehörde des Bundes, eines Landes oder einer Gemeinde begeht.
Im Verfahren eine entscheidende Rolle dürfte auch die Regelung zum sogenannten bedingten Vorsatz spielen. Für eine Verurteilung wegen falscher Beweisaussage ist vorsätzliches Handeln nötig – allerdings „nur“ in der Form des sogenannten „bedingten Vorsatzes“ nach Absatz 1. Absichtliches oder wissentliches Handeln ist dagegen nicht nötig.
Paragraph 5 StGB (1) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
Ergebnis bald bekannt