Geopolitisches Schwergewicht

Indien zeigt beim Gipfel Muskeln, G20 in der Krise

Indien demonstriert unter der Regierung des Hindu-Nationalisten Narendra Modi der Welt seine Stärke.
© APA/AFP/ARUN SANKAR

Während Indien beim heute beginnenden zweitägigen G20-Gipfel der führenden Wirtschaftsmächte der Welt seine neue Stärke demonstrieren will, droht die G20-Gruppe an Widersprüchen zu zerbrechen.

Neu-Delhi – Das vor neuem Selbstvertrauen strotzende Indien will den heute beginnenden zweitägigen G20-Gipfel der führenden Wirtschaftsmächte auch dazu nützen, sich als Großmacht zu präsentieren. Im Schatten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China hat Indien an geopolitischem Gewicht enorm zugelegt. Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt (beide haben über 1,4 Milliarden Einwohner) und ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Erde. Bisher oft vernachlässigt, buhlen nun die USA und Europa, aber auch Russland immer drängender um die Gunst Indiens. Das will freilich nicht mehr als Anhängsel oder gar als Bittsteller gesehen werden. Ganz im Gegenteil: Indien präsentiert sich auch innerhalb der BRICS-Gruppe als Fürsprecher und Taktgeber des Globalen Südens. Und jongliert zwischen West und Ost. Mit der erfolgreichen Landung einer indischen Raumsonde auf dem Mond Ende August feierte Indien einen enormen Erfolg und stieg zur vierten Mondfahrnation der Welt auf. Und Indien will mehr, auch als erfolgreiche Hightech-Nation.

Ab heute ist Indiens Hauptstadt Neu-Delhi für zwei Tage der Nabel der Welt. Und massive Sicherheitsvorkehrungen sollen dafür sorgen, dass die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder nicht gestört werden. Das öffentliche Leben Neu-Delhis wurde schon vor Beginn des Gipfels stark eingeschränkt – Teile des Zentrums erinnerten bereits am Freitag an eine Geisterstadt. Viele Geschäfte, Schulen und Büros waren geschlossen. Mehr als 100.000 Sicherheitskräfte patrouillierten in den Straßen. Zudem wurden die in Neu-Delhi zahlreich lebenden Affen und Straßenhunde aus dem Stadtzentrum vertrieben.

Auch wenn Indien versucht, sich im besten Licht zu präsentieren, droht dem diesjährigen G20-Gipfel das Scheitern.

Gipfelerklärung: Eine Abschlusserklärung droht am Streit um eine klare Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu scheitern. Der westlichen Forderung steht eine Allianz aus China und Russland gegenüber. Andere schrecken vor einer klaren Positionierung zurück. Gastgeber Indien hofft auf eine Kompromissformel. Russland und China werden beim Gipfel in Neu-Delhi auch nicht durch ihre Präsidenten vertreten sein. Nach dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hat auch Chinas starker Mann, Staats- und Parteichef Xi Jinping, kurzfristig abgesagt. Putin schickt seinen Außenminister Sergej Lawrow, für China kommt Ministerpräsident Li Qiang nach Indien. China und Indien sind seit Langem Rivalen. Immer wieder eskalieren die Grenzstreitigkeiten etwa in der Himalaya-Region. Xis Abwesenheit deutet auch darauf hin, dass die BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – anders als sie es zuletzt zeigen wollten – nicht mit einer Stimme auftreten können.

Klimaschutz wird zum Randthema: Vor allem die EU hat sich in den vergangenen Jahren darum bemüht, innerhalb der G20 auch den Klimaschutz zu einem Kernthema zu machen. Doch die Euphorie scheint verflogen. Der Krieg in der Ukraine und das geopolitische Ringen um Einfluss haben klimapolitische Ziele in den Hintergrund gedrängt. Nun geht es vor allem darum, bisherige Ziele nicht wieder aufzugeben. Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat die reichen Länder der G20-Runde unterdessen aufgefordert, ihre Treibhausgas-Emissionen deutlich stärker als geplant zu reduzieren.

Afrika soll mehr Gewicht bekommen. Möglicherweise wird die G20 bald größer werden. Die Afrikanische Union (AU) soll neues Mitglied werden. So sollen die Länder der Südhalbkugel ein deutlich stärkeres Gewicht erhalten. Das ist auch ein erklärtes Ziel des indischen Gipfel-Gastgebers und Premierministers Narendra Modi. Indien sieht sich ja als Führungsnation eines unabhängigen Globalen Südens. Eine Aufnahme der Afrikanischen Union würde freilich auch Begehrlichkeiten anderer Regionalorganisationen wie der ASEAN-Gruppe asiatischer Staaten oder der CELAC lateinamerikanischer und karibischer Staaten wecken. Bisher ist die EU die einzige Regionalorganisation, die Mitglied der G20-Gruppe ist.

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