Rede zur Lage der EU

Fit für die Zukunft: Von der Leyen kündigt Initiativen für die Wirtschaft an

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
© APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Die EU-Kommissionspräsidentin stellt einen Arbeitsmarktgipfel und Initiativen zur E-Mobilität und Künstlichen Intelligenz in Aussicht. Österreich kassierte von der Kommissionspräsidentin einen Seitenhieb zu seiner Blockade der Schengen Erweiterung. Ihre Rede erntete Lob und Kritik.

Brüssel, Straßburg – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Europas Wirtschaft fit für die Zukunft machen. Sie schlug bei ihrer vierten und womöglich letzten Rede zur Lage der Europäischen Union Mittwochfrüh in Straßburg mehrere Initiativen vor, um die Industrie bei der Dekarbonisierung zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu verbessern. Die anschließende Debatte im EU-Parlament war von Lob und Zustimmung gekennzeichnet.

"Wir haben die Klima-Agenda zu einer wirtschaftlichen Agenda weiterentwickelt", sagte von der Leyen. Sie kündigte zudem eine Untersuchung an mit Blick auf unlauteren Wettbewerb bei Elektroautos aus China. Die E-Mobilität sei eine entscheidende Industrie für eine "saubere Wirtschaft". Die Weltmärkte würden nun aber von billigen chinesischen E-Autos "überschwemmt", deren Preis durch staatliche Subventionen gedrückt werde. Von der Leyen betonte aber, dass es wichtig sei, die Kommunikationskanäle nach China offen zu halten. Weiters werde die Kommission ein "Paket für die Windkraft in Europa" vorlegen. So sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, Auktionssysteme "in der gesamten EU" verbessert werden.

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Sie unterstrich in ihrer Rede aber auch die Wichtigkeit, die Wirtschaft zu dekarbonisieren. Von der Leyen verwies auf Hitzewellen in ganz Europa, sowie Waldbrände und Überschwemmungen in Griechenland und Spanien. "Dies ist die Realität eines Planeten, der kocht", appellierte die Kommissionspräsidentin.

Zukunft der Ukraine „in der EU“

Ein deutliches Plädoyer gab es auch mit Blick auf die Ukraine. Die Zukunft der Ukraine liege in der Europäischen Union, so von der Leyen. Das gleiche gelte auch für den Westbalkan und Moldau. Der Weg in die EU werde aber nicht leicht sein. "Ein Beitritt beruht auf Leistung, und die Kommission wird diesen Grundsatz stets verteidigen", sagte sie. Die Ukraine habe aber bereits große Fortschritte gemacht, seit dem Land der Kandidatenstatus verliehen wurde. Die EU werde der Ukraine auch "so lange wie nötig" zur Seite stehen. Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Land wegen des Krieges verlassen haben, seien nach wie vor genauso willkommen wie zu Beginn des Krieges. Die EU-Kommission werde daher eine Verlängerung des vorübergehenden Schutzstatus von Flüchtenden aus der Ukraine sowie die Bewilligung von weiteren 50 Milliarden Euro für Investitionen und Reformen in der Ukraine vorschlagen.

Die Kommissionschefin trat auch Bedanken entgegen, dass eine Erweiterung der EU deren Handlungsfähigkeit einschränken könnte. "27 von uns haben sich auf NextGenerationEU geeinigt. 27 von uns haben vereinbart, Impfstoffe zu kaufen. Wir haben in Rekordzeit Sanktionen vereinbart - ebenfalls 27 von uns". Europa werde auch mit mehr als 30 Staaten funktionieren. Die Europäische Union müsse aber auch nach innen reformiert werden - falls nötig "durch einen Europäischen Konvent und eine Änderung der Verträge". Eine Erweiterung um weitere Staaten könne aber nicht auf so eine Strukturreform warten.

Seitenhieb auf Österreich

Ohne das Land beim Namen zu nennen, gab es einen Seitenhieb in Richtung Österreich, das nach wie vor einen Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien blockiert: Die Kommissionspräsidentin forderte einen Schengen-Beitritt der beiden Länder "ohne weiteren Verzug".

Immer mehr Menschen würden durch Kriege, den Klimawandel und politische Instabilität aus ihrer Heimat vertrieben. Die Kommissionschefin appellierte in dem Kontext an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat, bei der Reform der EU-Migrations- und Asylpolitik zu einer Einigung zu kommen. "Zeigen wir, dass Europa die Migration effizient und zugleich humanitär steuern kann." Noch nie sei man einem Abschluss der Verhandlungen zum EU-Migrationspakt so nah gewesen.

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Zukunftsbericht über europäische Wettbewerbsfähigkeit

Um die drei großen Herausforderungen dieser Zeit - den Arbeitskräftemangel, die Wettbewerbsfähigkeit und die Rahmenbedingungen für Europas Unternehmen anzugehen - schlägt von der Leyen mehrere Initiativen vor. Sie habe den ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi - laut der Kommissionschefin einen der größten Wirtschaftsexperten Europas - gebeten, einen Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu erstellen. Um den Arbeitsmarkt fit für die Zukunft zu machen, und den Fach- und Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, will die Kommission im kommenden Jahr gemeinsam mit der belgischen Präsidentschaft erneut einen Gipfel mit den Sozialpartnern in Val Duchesse einberufen.

Die anschließende Debatte im EU-Parlament war von Lob und Zustimmung gekennzeichnet.
© FREDERICK FLORIN

Für die Wettbewerbsfähigkeit sind auch kritische Rohstoffe und der effiziente Einsatz der Künstlichen Intelligenz höchst relevant. "Aus diesem Grund werden wir noch in diesem Jahr das erste Treffen unseres neuen Clubs für kritische Rohstoffe einberufen", betonte von der Leyen. Gleichzeitig werde die Kommission auch weiterhin einen offenen und fairen Handel vorantreiben: "Wir sollten uns bemühen, bis Ende des Jahres auch mit Australien, Mexiko und dem Mercosur zu einem Abschluss zu gelangen." Auch die Zusammenarbeit mit Afrika soll verstärkt werden. Deshalb werde die Brüsseler Behörde zusammen mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ein neues Strategiekonzept für den nächsten EU-AU-Gipfel vorlegen.

Hochleistungscomputer für KI-Start-ups

Die Künstliche Intelligenz (KI) kann laut von der Leyen einiges verbessern. "Doch sollten wir auch die durchaus realen Gefahren nicht unterschätzen", warnte sie: "Unsere oberste Priorität ist es, sicherzustellen, dass sich die KI auf eine menschenzentrierte, transparente und verantwortungsvolle Weise entwickelt." Wichtig seien hier Supercomputer: "Deshalb kann ich heute eine neue Initiative ankündigen, KI-Start-ups unsere Hochleistungscomputer zur Verfügung zu stellen, um ihre Geschäftsmodelle zu erproben."

Lob von Kocher und Karas, Reserviertheit von Karner

Die an die Rede anschließende Debatte mit den EU-Abgeordneten und weitere Reaktionen waren von Kritik und Zustimmung gekennzeichnet. Weitgehend lobend äußerte sich Österreichs Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP), der in einer Aussendung beschleunigte Verhandlungen zum von der Kommission im Frühjahr vorgestellten Net-Zero Industry Act forderte. "Das ist einerseits wichtig, um auf den US-amerikanischen Inflation Reduction Act zu reagieren, andererseits müssen wir aber auch unabhängig davon den Ausbau der für die grüne und digitale Transformation strategisch wichtigen Technologien noch schneller vorantreiben."

Zurückhaltender gab sich Kochers Regierungskollege und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Der Kampf gegen irreguläre Migration und Schlepper müsse eine Priorität der Kommission sein. Ihm zufolge steigen aktuell die Migrationszahlen in Europa: "Zu so einem Zeitpunkt macht es für mich daher keinen Sinn, über eine Erweiterung des Schengenraums zu sprechen. Wir brauchen mehr und nicht weniger Kontrollen", so Karner.

Die an die Rede anschließende Debatte mit den EU-Abgeordneten und weitere Reaktionen waren von Kritik und Zustimmung gekennzeichnet. Der spanische Außenminister Jose Manuel Albares Bueno betonte als Vertreter der spanischen Ratspräsidentschaft den "Einklang der Prioritäten" und den Willen zur "Zusammenarbeit für ein stärkeres Europa". Auch für Othmar Karas (ÖVP), Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, war die Rede "ein selbstbewusstes und mutiges Bekenntnis für eine zukunftsfitte Union! Die EU muss sich der ökonomischen und ökologischen Transformation offensiv stellen und dabei unabhängiger und wettbewerbsfähiger werden", erklärte er auf Twitter (X). Sein Parteikollege, EVP-Vorsitzender Manfred Weber, appellierte in seiner Wortmeldung für eine "europäische Verteidigungsunion". Er betonte den Glauben seiner Partei an den Green Deal - aber auch die Unternehmen müssten Gehör finden.

"Es lohnt sich, für die Zukunft unseres gemeinsamen Europas und unsere Werte zu kämpfen. Die Herausforderungen - angefangen vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit all seinen Auswirkungen über die Klimakrise bis hin zur illegalen Migration und der Wettbewerbsfähigkeit - sind größer geworden. Die EU hat in den letzten Jahren bewiesen, dass sie an Herausforderungen wachsen und ein mutiges und geeintes Europa diese Herausforderungen auch bestehen kann. Nichtsdestotrotz sind viele wichtige Fragen ungelöst, die wir dringend angehen müssen", betonte Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in einer Aussendung.

Kritik von FPÖ und Grünen an Rede

Als Gewerkschafterin begrüße sie sehr, dass von der Leyen einen Sozialpartnergipfel abhalten wolle, erklärte Parlamentsvizepräsidentin Evelyn Regner (SPÖ) auf Twitter (X). Damit bestätige sie, wie essenziell die Sozialpartnerschaft für die EU-Gesetzgebung sei. Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europaparlament, sieht die "EU in einem erbärmlichen Zustand. Doch von der Leyens Universum kreist vor allem um sie selbst. Noch nie war das ganze aufgesetzte Pathos ihrer Rede zur Lage der EU so weit weg von dem, was Europas Bürger denken."

"Was die Kommissionspräsidentin vollständig ausgeklammert hat, ist die soziale Frage, die aber angesichts der Teuerung und steigenden Armutsgefährdung eine der größten Baustellen der EU ist. Es braucht endlich eine Sozialunion mit europaweiten Mindesteinkommen und einem Care Deal zum Ausbau sozialer Infrastruktur", zeigte sich auch Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen, kritisch.

Kritik kam auch von Seiten der Umwelt- und Tierschutzorganisationen: "Ein großer Teil unseres Kontinents hat den Sommer über entweder unter Bränden oder Überschwemmungen oder unter beidem gelitten. Von der Leyens Politik verurteilt uns zu weiteren Umweltkatastrophen. Die Kommissionspräsidentin liefert weder einen Plan für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen noch eine Exit-Strategie aus der industriellen Landwirtschaft", kritisierte Greenpeace-EU-Direktor Jorgo Riss. VIER PFOTEN betonte in einer Aussendung, in ihrer Rede habe von der Leyen die längst überfälligen ambitionierten Vorhaben der Union zur Verbesserung des Tierwohls völlig ausgeklammert. Die Kommission sei vor der mächtigen Agrarlobby eingeknickt, so Direktorin Eva Rosenberg. (APA)

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