Kalte Progression: Niedere und mittlere Einkommen werden entlastet
Mit dem "letzten Drittel" aus der kalten Progression möchte die Regierung Erwerbstätige und Familien entlasten. Steuerliche Begünstigung für Überstunden werden ausgeweitet.
Wien – Das variable Drittel der sogenannten kalten Progression wird zu Entlastung der niedrigen und mittleren Einkommen verwendet. Zusätzlich sollen Familien steuerlich entlastet werden, wie die Regierung am Freitag angekündigte. Mit der Ausweitung der steuerlichen Begünstigung von Überstunden sollen außerdem steuerliche Anreize für Mehrarbeit gesetzt werden.
Beide Koalitionspartner lobten die angekündigte Entlastung bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt am Freitag als "ausgewogenes Paket", mit dem Erwerbstätige und Familien steuerlich entlastet würden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betonte besonders den Leistungsaspekt durch die Entlastung der Erwerbstätigen: "Leistung muss sich lohnen". Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sprach dagegen von einem "sozialen Drittel" der abgeschafften Kalten Progression, weil durch die Entlastung von Familien und Personen mit niedrigen Einkommen der soziale Zusammenhalt gestärkt werde.
📽️ Video | So sollen die Einkommen entlastet werden
Zwei Drittel werden automatisch angepasst
Die Kalte Progression als schleichende Steuererhöhung im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer wurde mit Jahresbeginn abgeschafft. Seitdem werden die Steuerstufen jedes Jahr an die jeweilige Teuerung angepasst, damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler im Zuge der jährlichen Lohnerhöhungen nicht mehr in höhere Steuerstufen rutschen. Die Anpassung der Tarifstufen erfolgt allerdings nicht zur Gänze, sondern nur zu zwei Dritteln automatisch. Was die Regierung mit den übrig gebliebenen Mehreinnahmen macht, bleibt ihr überlassen.
Das variable Drittel macht im kommenden Jahr knapp 1,2 Mrd. Euro aus. Mit rund 800 Millionen Euro davon werden nun die ersten vier Steuerstufen entlastet sowie die Absetzbeträge erhöht. Die Anpassung der Tarifstufen passiert gestaffelt, die erste Tarifstufe wird um 9,6 Prozent erhöht, die folgenden um 8,8, 7,6 bzw. 7,3 Prozent. Die Grenze für steuerpflichtige Einkommen erhöht sich damit von derzeit 11.693 Euro im kommenden Jahr auf 12.816 Euro, wie Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) erklärte. Die Absetzbeträgen werden zur Gänze an die Inflationsrate angepasst.
Überstunden-Freibetrag wird angehoben
Um die Leistung von Überstunden zu belohnen, soll der monatliche Freibetrag dauerhaft von 86 Euro auf 120 Euro angehoben werden. Zeitlich befristet wird in den kommenden zwei Jahren außerdem der monatliche Freibetrag für 18 Überstunden auf 200 Euro im Monat erhöht. Der Grundfreibetrag des Gewinnfreibetrags für Selbstständige wird angehoben. Auch die Freibeträge für Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit steigen. Zudem wird 2021 befristet eingeführte Homeoffice-Regelung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dauerhaft verlängert.
Mit den Maßnahmen will die Regierung nach eigenen Angaben den Arbeitskräftemangel bekämpfen und positive Leistungsanreize schaffen. Die Entlastung der Familien soll der Kinderarmut entgegenwirken. Dazu wird der Kindermehrbetrag von 550 Euro auf 700 Euro angehoben. Verdoppelt werden soll zudem der steuerfreie Arbeitgeberzuschusses zur Kinderbetreuung und die Inanspruchnahme von Betriebskindergärten ausgeweitet werden.
"Akt der Fairness"
Finanzminister Brunner lobte die Abschaffung der Kalten Progression einmal mehr als "wirklich historisch", die für ihn als Finanzminister zwar nicht sehr bequem sei, aber ein "Akt der Fairness". Bundeskanzler Nehammer sprach von "einem guten Tag für Österreichs Steuerzahlerinnen und Steuerzahler".
Kritik kam dagegen von der Opposition: SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer kritisierte das "ausufernde Selbstlob der Regierung", obwohl das "Trostpflaster" der Abschaffung der Kalten Progression "das Regierungsversagen bei der Inflation nicht kompensieren" könne.
Kritik von SPÖ, NEOS, FPÖ
Kritik kam dagegen von der Opposition: SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer kritisierte das "ausufernde Selbstlob der Regierung", obwohl das "Trostpflaster" der Abschaffung der Kalten Progression "das Regierungsversagen bei der Inflation nicht kompensieren" könne. Die NEOS warfen der Regierung eine "So-tun-als-ob-Politik" vor. Die Abschaffung der Kalten Progression sei keine Entlastung, sondern "nur der seit Jahrzehnten überfällige Verzicht auf eine zusätzliche Belastung", so NEOS-Wirtschafts- und Sozialsprecher Gerald Loacker in einer Aussendung. Österreich bleibe weiterhin "ein absolutes Hochsteuerland".
Die Steuern auf Arbeit seien in Österreich nach wie vor viel zu hoch, kritisierte auch die FPÖ und sprach von einem "Taschenspielertrick" der Regierung. Die Kalte Progression sei nicht abgeschafft, sondern nur um zwei Drittel reduziert worden. "Das verbleibende Drittel nimmt sich der Staat nach wie vor vom Steuerzahler, um es umzuverteilen", so der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner, der neben einer "echten Abschaffung dieser versteckten Steuer" einen klaren Fahrplan zur wirksamen Bekämpfung der Inflation forderte.
Fiskalrats-Präsident Christoph Badelt beurteilte die Regierungspläne "auf den ersten Blick" als "sehr vernünftig", weil die niedrigen Einkommensstufen stärker entlastet würden. Die stärkere steuerliche Entlastung von Überstunden und die Verlängerung der Homeoffice-Regelung passe als arbeitsmarktpolitische Maßnahme gut in eine Situation des Arbeitskräftemangels, so Badelt im "Ö1"-Mittagsjournal. Generell blieb der Chef des Fiskalrats aber bei seiner Warnung, dass durch die Abschaffung der Kalten Progression der Regierung Spielräumen in kommenden Haushalten fehlen würden.
Wirtschaft zeigt sich erfreut
Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Industriellenvereinigung (IV) sowie der Wirtschaftsbund befürworten die angekündigte Entlastung. Unter anderem erachten sie die geplante Anhebung des Freibetrags von Überstunden, den Zuschuss der Kinderbetreuung und die Erhöhung des Gewinnfreibetrags für Selbstständige als positiv. "Bürgerinnen und Bürgern, aber auch einkommensteuerpflichtigen Unternehmer:innen wird dadurch mehr netto in der Tasche bleiben", sagte WKÖ-Präsident Harald Mahrer laut Aussendung. So hätten Betrieben mehr Planbarkeit und die Kaufkraft werde gestützt.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) sieht im Paket weniger Vorteile für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ÖGB-Ökonomin Miriam Fuhrmann kritisierte beispielsweise die fehlende Anpassung an die Inflation bei Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Außerdem fordert der ÖGB die Inflationsanpassung auch bei den steuerfreien Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen. Aus Sicht der Arbeiterkammer seien "viele gute Punkte dabei". Notwendig seien jedoch Nachbesserungen bei der Begünstigung von Überstundenzuschlägen und bei der Erhöhung des Gewinnfreibetrags, so AK-Steuerrechtsexperte Pascal Schraml auf der Plattform X (vormals Twitter). (APA)