Von der Leyen reist nach Lampedusa, Meloni fordert EU-Mission
Italiens Regierungschefin pocht auf ein Eingreifen der EU, um Migranten auf dem Weg über das Mittelmeer zu stoppen – wenn nötig mit dem Einsatz der Marine. Ihre Forderungen dürfte sie bei einem Besuch aus Brüssel auf der überlasteten Insel Lampedusa geltend machen.
Hanau, Lampedusa – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will nach der Ankunft Tausender Migranten auf der kleinen Mittelmeerinsel Lampedusa noch an diesem Samstag nach Italien reisen. Zuvor hatte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einen europäischen Mission gefordert, um Migrantenboote auf dem Weg nach Europa zu stoppen. Wenn nötig müsse die Marine eingesetzt werden, sagte die Rechtspolitikerin in einer Videobotschaft am Freitagabend.
Nach Melonis Vorstellung sollen die Menschen bereits in Nordafrika vom Ablegen abgehalten werden. Eine solche Mission müsse „sofort“ starten.
Seit Montag haben mehrere Tausend Bootsmigranten die kleine Insel zwischen Sizilien und Nordafrika erreicht. Allein am Dienstag kamen mehr als 5000 Menschen an – so viele wie noch nie an einem einzigen Tag. Zeitweise war das Erstaufnahmelager mit rund 6800 Menschen maßlos überfüllt. Wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax gehört Lampedusa seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Der Stadtrat der Insel rief am Mittwoch angesichts der angespannten Lage den Notstand aus.
Von Rom weiter nach Lampedusa
Meloni lud von der Leyen nach Lampedusa ein, „um sich persönlich den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen“. Am Samstag sagte ein Sprecher von der Leyens der Deutschen Presse-Agentur am Rande einer Veranstaltung in Hanau, die Kommissionschefin werde am Samstag zunächst nach Rom reisen und von dort aus am Samstag oder Sonntag mit Meloni weiter nach Lampedusa.
Italiens Außenminister Antonio Tajani kündigte indes Maßnahmen zur Eingrenzung der illegalen Migration an. „Wir werden Orte einrichten, an denen diejenigen, die illegal in unser Land eingereist sind, festgehalten werden, um in Übereinstimmung mit den EU-Vorschriften zu überprüfen, ob sie ein Bleiberecht haben oder nicht. Sicherlich werden sie nicht mehr wie in der Vergangenheit in Italien herumlaufen können“, sagte Tajani nach Medienangaben.
Protestkundgebung von Anrainern
Auf Lampedusa kam es indes am Samstag zu einer Protestkundgebung von Anrainern. Sie demonstrierten gegen angebliche Pläne zur Errichtung eines Zeltlagers für die Unterbringung der Migranten, da der Hotspot der Insel überfüllt ist. „Schluss, Lampedusa gehört uns und nicht der EU“, skandierten einige Demonstranten.
In der Früh hatten weitere drei Boote mit insgesamt 121 Menschen an Bord, die von der tunesischen Küste abgefahren sind, die Insel erreicht. Am Freitag waren 527 Personen an Bord von 15 Booten eingetroffen.
Baby starb kurz nach Geburt
Ein Baby, das während der Überfahrt auf einem Migrantenboot geboren wurde, starb kurz nachdem es zur Welt kam. Die Mutter des Babys hatte mit Hilfe einiger Mitreisender entbunden. Etwa 40 Migranten befanden sich an Bord des Bootes, das von einem Patrouillenboot der Hafenbehörde gerettet wurde.
Wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax gehört Lampedusa seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa. Der Stadtrat der Insel rief am Mittwoch angesichts der zugespitzten Lage den Notstand aus.
Meloni sieht die EU in der Pflicht, Italien zu unterstützen. Sie habe deswegen den Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel, gebeten, das Migrationsthema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels im Oktober zu setzen. Die Regierungschefin betonte die Wichtigkeit des geplanten Abkommens mit Tunesien. Die vereinbarten finanziellen Mittel müssen nach ihren Worten schnellstmöglich übertragen werden, um den Deal zu beschleunigen.
Migrationsabkommen mit Tunesien geplant
Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa. Die EU-Kommission plant derzeit ein Migrationsabkommen mit dem nordafrikanischen Land. Im Gegenzug für millionenschwere Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren.
Meloni sagte, das Mittelmeerland und Europa könnten die enorme Zahl an Menschen nicht aufnehmen. „Der Migrationsdruck, den Italien seit Anfang dieses Jahres erlebt, ist unhaltbar“, sagte die Rechtspolitikerin. Sie beabsichtige, „außergewöhnliche Maßnahmen“ zu ergreifen. So solle das Höchstmaß der Haftdauer in Abschiebungshaftanstalten angehoben werden. Meloni kündigte an, die Maßnahmen sollten am Montag in einer Kabinettssitzung beschlossen werden.
Weniger Migration als Wahlversprechen
Italien wird seit Oktober 2022 von einer Rechtsallianz regiert. Die ultra-rechte Meloni versprach, die Migration einzuschränken. Bisher konnte sie das Wahlversprechen nicht erfüllen. Seit Jahresbeginn kamen laut Zahlen des Innenministeriums in Rom mehr Migranten als im gesamten Jahr 2022 über das Meer nach Italien. Bis zum 15. September waren es rund 127.200 Menschen (Stand 15. September) – im Vorjahreszeitraum rund 66.200.
Angesichts der Lage auf Lampedusa beriet sich die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit ihrem französischen Amtskollegen Gérald Darmanin. Weitere Gespräche mit EU-Amtskollegen und der Kommission sollten folgen, hieß es am Samstag aus dem deutschen Innenministerium. Deutschland hält daran fest, vorerst keine weiteren Migranten aus Italien über den freiwilligen Solidaritätsmechanismus aufzunehmen.
Derzeit würden keine Interviews zur Vorbereitung von weiteren Übernahmen aus Italien stattfinden, sagte ein Sprecher. Es gebe noch einige Migranten, die das Verfahren bereits durchlaufen hätten und übernommen würden. Die Interviews zur Vorbereitung von Übernahmen könnten „jederzeit wieder aufgenommen“ werden. (APA, dpa)