Beschwerde aus Burgenland

Politische Unabhängigkeit auf dem Prüfstand: Der VfGH verhandelte zum ORF

Matthias Traimer (Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst, l.) und Florian Philapitsch (Stabsabteilung Verfassung und Recht Land Burgenland, r.) bei der öffentlichen VfGH-Verhandlung zum ORF-Gesetz im Verfassungsgerichtshof in Wien.
© APA/Fohringer

Die Burgenländische Landesregierung sieht zu großen Politikeinfluss. Vertreter des Bundeskanzleramts: "System jedenfalls verfassungsrechtlich zulässig". Ein Zeitpunkt für eine Entscheidung ist noch offen.

Wien – Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat am Dienstag öffentlich über das ORF-Gesetz verhandelt. Dabei stand die in der Verfassung vorgesehene Unabhängigkeit des ORF auf dem Prüfstand. Konkret beanstandete die Burgenländische Landesregierung die Zusammensetzung von ORF-Stiftungsrat und -Publikumsrat. So soll der maßgebliche Einfluss der Bundes- und Landesregierung bei der Bestellung der Mitglieder der beiden Kollegialorgane im Widerspruch zur gebotenen Unabhängigkeit stehen.

Die Richterinnen und Richter des VfGH hatten zur Klärung der Rechtssache noch Fragen an die Vertreter des Bundeskanzleramts und der burgenländischen Landesregierung. So interessierte sie etwa, wie sich die Repräsentation der Zivilgesellschaft in einem Kollegialorgan sicherstellen lasse, ob es Mechanismen gebe, die sicherstellen, dass eine Bestellung von Stiftungsratsmitgliedern gewissen Kriterien genügt und nach welchen Kriterien entschieden wird, welcher Vorschlag einer Organisation zur Bestellung von Publikumsräten berücksichtigt wird.

Zunächst kam Florian Philapitsch, Leiter des burgenländischen Verfassungsdienstes, zu Wort. Er brachte vor, dass der ORF unverzichtbar sei, er aber unter politischem Einfluss stehe. Zuletzt hätten an die Öffentlichkeit gelangten "Sideletter" der türkis-grünen Regierung, die etwa die ORF-Direktorenposten nach Parteien aufteilten, das verdeutlicht.

Florian Philapitsch (Stabsabteilung Verfassung und Recht Land Burgenland), Armin Wolf (ORF TV-Journalist/Moderator) und Dieter Bornemann (ORF TV-Journalist/Moderator).
© HELMUT FOHRINGER

Er brachte für die Burgenländische Landesregierung vor, dass der überwiegende Teil der Mitglieder von Stiftungs- und Publikumsrat von der Regierung bestellt werde und es dafür weder ein öffentliches Auswahl- oder Besetzungsverfahren noch die Möglichkeit gebe, Besetzungen einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Auch würden Regelungen fehlen, welche die Unabhängigkeit und Qualifikation der Mitglieder ausreichend sicherstellen würden. Er schlug eine Besetzung des obersten ORF-Gremiums mit Expertinnen und Experten vor, wobei aber auf Repräsentativität Wert gelegt werden sollte.

Zudem bemängelte er, dass im Stiftungsrat offen, anstatt geheim abgestimmt werde und beim Publikumsrat jüngst ein Mitglied auf Vorschlag einer Organisation bestellt wurde, die keinen gesetzlich vorgesehenen Dreiervorschlag einbrachte, während eine andere Organisation für den Vertretungsbereich dies sehr wohl tat. "Wir halten die gegenwärtige gesetzliche Ausgestaltung von Stiftungs- und Publikumsrat für verfassungswidrig", schloss Philapitsch seine Ausführungen.

„System verfassungsrechtlich zulässig“

Matthias Traimer vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts konterte die Bedenken etwa damit, dass die Zusammensetzung der ORF-Gremien ein hohes Maß an Pluralität aufweise. "Das System ist jedenfalls verfassungsrechtlich zulässig." Das ORF-Gesetz schütze speziell durch die verankerte Weisungsfreiheit die Unabhängigkeit der einzelnen Mitglieder. Auch existiere eine klare Trennung von ORF-Gremien und den redaktionellen Tätigkeiten von Journalisten, deren Unabhängigkeit sichergestellt sei. Einer externen unabhängigen Regulierungsbehörde kommen Kompetenzen zur Wahrung der Unabhängigkeit zu, führte Traimer zudem aus.

Michael Kogler vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts meinte, demokratisch legitimierte Organe wären in besonderer Weise berufen, an der Bestellung von Gremienmitgliedern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mitzuwirken. Das Bestellungsrecht der Länder sei Ausdruck des föderalistischen Elements. Aber die Landesregierungen würden keine geschlossene Gruppe darstellen und verfolgten auch keine gemeinsamen Interessen, sah Kogler keine Gefahr für die Pluralität gegeben. Bei der Bestellung von Publikumsräten durch das Bundeskanzleramt komme es nicht darauf an, ob eine Einrichtung am Repräsentativsten sei. Das sei nämlich schwer festzustellen.

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Die Verfassungsrichter interessierte zudem, warum die Tätigkeit im Stiftungsrat ein Ehrenamt sei. Kogler erklärte dies damit, dass somit ausgeschlossen sei, dass Stiftungsräte die Tätigkeit womöglich aus finanziellen Überlegungen ausüben. Auch zu den parteipolitischen "Freundeskreisen" im Stiftungsrat zeigten sich die Richter interessiert. Kogler verneinte, dass es gesetzlich vorgesehen sei, dass "Freundeskreise" existieren. Es erleichtere aber die Beschlussfassung im Gremium. Philapitsch meinte, dass allein die Existenz dieser "Freundeskreise" zeige, dass der parteipolitische Einfluss auf den ORF viel zu groß sei.

Beratung der RichterInnen hinter den Kulissen

Die an die öffentliche Verhandlung anschließende Beratung der Verfassungsrichterinnen und -richter ist nicht öffentlich. Wann diese über den Fall entscheiden bzw. wann das Erkenntnis veröffentlicht wird, ist offen.

Der ORF-Stiftungsrat ist das oberste Aufsichtsgremium des ORF und hat 35 weisungsfreie, ehrenamtliche Mitglieder. Die Mitglieder des Gremiums werden von Regierung (9), Parlamentsparteien (6), Bundesländern (9), ORF-Publikumsrat (6) und Zentralbetriebsrat (5) beschickt und sind - abgesehen von wenigen Ausnahmen - in parteipolitischen "Freundeskreisen" organisiert. Seit längerem verfügt die ÖVP mit von ihr entsendeten und türkis-nahen Räten über eine Mehrheit. Aufgabe der Stiftungsräte ist unter anderem, alle fünf Jahre den ORF-Generaldirektor und kurze Zeit später auf dessen Vorschlag höchstens vier Direktoren und neun Landesdirektoren zu bestellen.

Im Falle des Publikumsrats bestimmt das Bundeskanzleramt 17 Personen aus 14 Vertretungsbereichen auf Basis von Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen. Insgesamt sind 30 Personen in dem Gremium vertreten. Die weiteren 13 Mitglieder werden direkt bestellt - etwa von diversen Kammern oder auch der römisch-katholischen Kirche. Der Publikumsrat erstattet etwa Empfehlungen für die ORF-Programmgestaltung und entsendet sechs Mitglieder in den ORF-Stiftungsrat.

Für Aufregung sorgten in den vergangenen Jahren publik gewordene Absprachen aus der Zeit der türkis-blauen, aber auch der gegenwärtigen türkis-grünen Regierung. Darin wurden ORF-Direktorenposten nach Parteien aufgeteilt. Auch das Vorschlagsrecht für den Vorsitz des ORF-Stiftungsrats wurde ausgedealt. Zudem drangen Chats von Stiftungsräten mit Politikern an die Öffentlichkeit, die etwa Personalia zum Inhalt hatten.

Die Verhandlung war am späten Vormittag noch im Gange. (APA)

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