Aussagen zu Armut und Teilzeit

Empörung über Nehammers „Burger-Video“: Kanzler verteidigt Aussagen

Keine warmen Mahlzeiten für Kinder mehr leistbar? Der Bundeskanzler verweist auf billigen McDonald's-Burger um 1,40 Euro.
© Böhm/Screenshot X

In geselliger Runde ließ sich Kanzler Nehammer am Rande einer Veranstaltung u.a. über Kinderarmut und Frauen in Teilzeit aus. „Wenn ich zu wenig Geld habe, gehe ich eben mehr arbeiten“, so der Kanzler. Nun schlägt ihm scharfe Kritik entgegen. Am Donnerstag verteidigte Nehammer seine Aussagen.

Hallein – In geselliger Runde bei Weißwein und italienischer Jause hat Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) seine Ansichten zum Thema Armut und Teilzeitquote zur Schau gestellt. Mit kontroversen Ansichten waren die Türkisen bereits in der Vergangenheit aufgefallen. Nehammers Vorgänger Sebastian Kurz etwa hatte als Mittel gegen Altersarmut den Kauf von Wohnungen empfohlen.

Was ist eigentlich mit den Eltern?
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP)

In einem Video, das in einer Vinothek aufgenommen wurde und am Mittwochabend im Netz auftauchte, ließ sich Nehammer über Frauen, die in Teilzeit arbeiten, die Diskussion um Kinderarmut und die Sozialpartnerschaft aus. Beim Thema Kinderarmut schiebt er die Schuld den Eltern zu: „Was ist eigentlich mit den Eltern? Was heißt, ein Kind kriegt keine warme Mahlzeit in Österreich? Wisst ihr, was die billigste warme Mahlzeit in Österreich ist? Sie ist nicht gesund, aber sie ist billig: Ein Hamburger bei McDonald´s. 1,40 Euro, mit Pommes 3,50 Euro.“

Falsche Zahlen

Die Kalkulation des Kanzlers ist übrigens nicht völlig korrekt: Ein Hamburger bei McDonald's kostet mittlerweile 1,99 Euro, eine kleine Portion Pommes 2,99 Euro, eine große Portion bereits 3,99 Euro.

Niemand solle behaupten, so eine Mahlzeit könnten sich Eltern nicht leisten, legte er nach. Es handle sich zwar nicht um gesundes Essen, wenn der Staat jedoch mit „Kalorientabellen“ eingreife, sei man bald in der DDR.

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Das Weltbild des McKanzler’s

Auch mit Kritik an Frauen in Teilzeit spart Nehammer in dem Video nicht: „Wieso erhöht sich die Teilzeitquote nicht? Nicht einmal bei den Frauen, die keine Betreuungspflichten haben? Wenn ich zu wenig Geld habe, gehe ich mehr arbeiten.“

Welle der Empörung

Nehammer selbst schlug am Donnerstag eine Welle der Empörung entgegen. Vor allem im Netz hagelte es Kritik, der ÖVP wurde Weltfremdheit attestiert. SPÖ-Chef Andreas Babler berief am Donnerstag eigens eine Pressekonferenz ein, um auf das Video zu reagieren. Dabei sparte er nicht mit Kritik: „Wir sehen in dem Video einen Bundeskanzler, der die Leute für etwas verachtet, dass er selbst zu verantworten hat. Nehammer bindet den Leuten die Schuhe zusammen, und wenn sie fallen ruft er 'steht auf und rennt weiter'.“ Fast jede Frau, die in Teilzeit arbeite, müsse das aufgrund von Betreuungsverantwortung tun. In seiner Ansprache ließ Babler es sich auch nicht nehmen, aus seiner Kindheit zu berichten. Seine Mutter habe ihn in die Arbeit mitnehmen und dort verstecken müssen, damit sie keinen Ärger bekomme. Österreich habe sich einen Bundeskanzler verdient, der die Menschen respektiere, und nicht „23.000 Euro im Monat schwer bei Wein und Käsehappen“ über sie urteile.

Nehammer bindet den Leuten die Schuhe zusammen, und wenn sie fallen ruft er 'steht auf und rennt weiter'.
SPÖ-Chef Andreas Babler

Mit Blick auf die Nationalratswahl in rund einem Jahr, sagte Babler, sehe man in dem Video zumindest, „was uns unter der nächsten schwarz-blauen Regierung blühen könnte.“ Auf eine Journalistenfrage nach einer möglichen Koalition mit der ÖVP unter Karl Nehammer antwortete Babler, "es würde jeder ausscheiden als Koalitionspartner, der Menschen nicht mag."

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte Nehammer scharf: „Immer dann, wenn Nehammer glaubt, unter Seinesgleichen zu sein, bricht bei ihm diese Mentalität durch, die man aus der Führungsmannschaft der ÖVP nur allzu gut kennt – Stichwort Pöbel! Ein Politiker, der derart empathielos, abgehoben, eiskalt und eine derartige Verachtung für die armutsgeplagten Menschen an den Tag legt, ist für den Job als Bundeskanzler ungeeignet.“

Caritas-Präsident Michael Landau reagierte via X mit den Worten: „In Österreich muss niemand verhungern oder im Winter erfrieren. Aber wer sagt, dass niemand hungert oder friert, hat von der Wirklichkeit der Menschen keine Ahnung.“

Zurückhaltender reagierte hingegen der grüne Koalitionspartner. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag auf das Video angesprochen, sagte Vizekanzler Werner Kogler, er habe einiges von dem Video gehört, dieses aber noch nicht gesehen. „Ich werde mich dann ärgern, wenn ich es mir angeschaut habe, oder auch nicht.“ Kogler lobte hingegen die Regierungsarbeit, explizit das Paket gegen Kinderarmut. „Wenn das (Video, Anm.) jetzt Aufmerksamkeit erregt – möglicherweise berechtigt – dann ist doch ein guter Zeitpunkt für die Regierung und auch für den ÖVP-Teil, das was angekündigt wurde (...) beschleunigt anzugehen.“

Klubobfrau Sigrid Maurer präzisierte auf Twitter: „Die Teilzeitquote wird sich erst dann ändern, wenn es tatsächlich Wahlfreiheit gibt – mit einem entsprechenden Ausbau der Kinderbetreuung. Das hat der Kanzler selbst angekündigt – es ist jetzt ein guter Zeitpunkt diesen Worten Taten folgen zu lassen.“

Ich werde mich dann ärgern, wenn ich es mir angeschaut habe, oder auch nicht.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)

Als zynisch bezeichnet es hingegen der grüne Sozialminister Johannes Rauch, Menschen in Not auszurichten, sie seien selbst Schuld oder sollen ihren Kindern Fast Food servieren. „In der Regierung arbeiten zwei sehr unterschiedliche Parteien mit teils sehr unterschiedlichen Werthaltungen zusammen. Der Bundeskanzler sagt ja selbst am Ende dieses Videos, dass seine Vorstellungen mit den Grünen nicht durchzusetzen sind. Und das ist gut so.“ Die grüne Menschenrechtssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic reagierte erschrocken über die Aussagen, wenn sie darin auch „wenig überraschend einen Teil der bürgerlichen Verrohung“ erkannte.

📽️ Video | Aufregung um Nehammer-Video

Mit einem Video reagierte indes der stellvertretende NEOS-Parteichef Christoph Wiederkehr. Es gehe nicht nur um ein warmes, sondern um ein gesundes Mittagessen für Kinder, betont der Wiener Vizebürgermeister auf Instagram: „Die ÖVP hat nach der Wirtschaftskompetenz nun auch die Familienkompetenz verloren.“

Die Gewerkschaft, die Nehammer im Video auch als größten Bremser bei der „Rot-weiß-rot“-Card bezeichnet, zeigte sich über die Rede des Kanzlers schockiert.„Die Sozialpartnerschaft hat einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung von Krisen geleistet, insbesondere durch Maßnahmen wie die Kurzarbeit. (...) Sie ist ein Erfolgsmodell für unser Land und hat maßgeblich zu unserem Wohlstand beigetragen. Für uns sind die Aussagen des Kanzlers daher absolut unverständlich“, sagte Vizepräsidentin Korinna Schumann zur APA. Die Wirtschaftskammer wollte die Aussagen nicht kommentieren.

Die ÖVP bestätigte die Echtheit des Videos. Es sei am Rande der Funktionärsveranstaltung in Hallein entstanden: „Es handelt sich um ein echtes, aber zusammengeschnittenes Video“. Man sei davon überzeugt, „dass jedes Kind in Österreich eine warme Mahlzeit bekommen kann, wenn die Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen, zumal wir die Familien wie nie zuvor unterstützen“, betont die Partei gegenüber dem Sender Puls4.

Nehammer verteidigt Video

Am Donnerstagnachmittag reagierte auch Karl Nehammer auf das Video. Mit „Hast du schon die Diskussion auf Social Media um ein Video von mir gesehen?“ adressiert Nehammer seine Follower und Followerinnen auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) und verteidigt den Inhalt des umstrittenen Videos: „Ich stehe dazu, dass sich Leistung lohnen muss, und ich stehe dazu, dass Eltern eine Fürsorgepflicht für ihre Kinder haben“. Und weiters: „Wer davon spricht, dass es in Österreich keine warme Mahlzeit für Kinder gibt, der stellt dieses Land in ein schlechtes Licht.“

Die Verantwortung dafür liege aber bei den Eltern. Bei jenen Familien, die nicht zurecht kämen, greife das soziale Netz, ist Nehammer überzeugt. Während andere Videos „zusammenschneiden und verkürzen“ will sich der Kanzler „unser Österreich“ nicht schlechtreden lassen, denn „die Schlechtredner werden nichts besser machen.“ Generalsekretär Christian Stocker ortet in der Diskussion „schmutzige Angriffe“ der Opposition, die sich bereits im „Wahlkampfmodus“ befinde.

Mitarbeiterin der Volkshilfe postete Video

Gepostet hatte das Video am Mittwochabend Beatrice Keplinger, die in der Kommunikation und Marketing der Volkshilfe Oberösterreich tätig ist. Sie habe es von einer Freundin erhalten und einen 50-sekündigen Zusammenschnitt davon angefertigt, um es auch in ihrer Story als Privatperson posten zu können, erzählte sie dem Standard. Später hat sie das Video auch in voller Länge zur Verfügung gestellt. „Man kann in Österreich alles sagen. In Deutschland müsste man zurücktreten“, so Keplinger.

Nehammer gibt dem Publikum übrigens, kurz bevor das Video endet, noch eines mit: „Wir sind alle gelernte ÖVPler, wir wissen was Leiden heißt.“ (TT.com)