Sieben Aspekte, um den Nahost-Konflikt zu verstehen
Der israelisch-palästinensische Konflikt bestimmt seit Jahrzehnten die politische Lage im Nahen Osten. Anhand von sieben Punkten erklären wir, was die Auslöser der aktuellen Angriffe sind.
1. Kriege und Aufstände
Gegründet wurde der Staat Israel am 14. Mai 1948. Seitdem haben insgesamt sechs Kriege die Region erschüttert, der Unabhängigkeitskrieg 1948-49, die Suezkrise 1956, der Sechstagekrieg 1967, der Yom-Kippur-Krieg 1973 sowie die Libanon-Kriege 1982 und 2006.
Nach der Gründung des Staates Israel griffen fünf arabische Staaten Israel an, der erste Nahostkrieg begann. Im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens 1949 übernahm Jordanien die Kontrolle über Ost-Jerusalem und das Westjordanland, Ägypten über den Gazastreifen. Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel auch diese Gebiete. Die UN-Resolution 242 forderte einen Abzug Israels aus den besetzten Gebieten.
Bei zwei Palästinenseraufständen (1987-1993 und 2000-2005) gab es ebenfalls viele Todesopfer auf beiden Seiten. Seit 2008 hat sich Israel außerdem mit der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas und anderen militanten Palästinensern immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen geliefert.
2. Friedensabkommen und Annäherungen
Mit den beiden nördlichen Nachbarländern Syrien und Libanon befindet Israel sich offiziell noch im Kriegszustand. Ägypten hatte 1979 als erstes arabisches Land einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet, 1994 unternahm Jordanien denselben Schritt. 2020 unterzeichneten die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain als erste Golfstaaten Annäherungsabkommen mit Israel. Im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen kündigten auch Marokko und der Sudan eine Normalisierung ihrer Beziehungen zu Israel an. Derzeit gibt es unter US-Vermittlung Gespräche zwischen Israel und Saudi-Arabien.
3. Die Palästinensischen Gebiete
Die Palästinensischen Gebiete sind ein Begriff für das Westjordanland, den Gazastreifen und den arabisch geprägten, 1967 von Israel eroberten und später annektierten Ostteil Jerusalems. Die Palästinenser fordern diese Gebiete für einen künftigen unabhängigen Staat. Denn ihr Leben war bisher überwiegend fremdbestimmt.
Bis 1918 gehörte das historische Palästina – ein Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer – vier Jahrhunderte lang zum Osmanischen Reich. Danach übernahm Großbritannien als Mandatsmacht die Kontrolle. Ein UN-Plan sah 1947 die Aufteilung des Gebiets in einen jüdischen und einen arabischen Staat vor. Dies wurde von der zionistischen Führung akzeptiert, jedoch von arabischer Seite zurückgewiesen.
Im Rahmen der nach 1993 unterzeichneten Friedensverträge zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO erzielten die Palästinenser eine Teilautonomie im Gazastreifen und Westjordanland. Für die Palästinenser war zentrales Ziel stets ein eigener Staat. Eine angestrebte Ausweitung der Palästinensischen Autonomiegebiete blieb jedoch aus, die Friedensverhandlungen scheiterten 2014 endgültig.
4. Die Palästinensische Autonomiebehörde
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wurde 1994 gegründet, auf der Basis der Friedensverträge zwischen Israel und der PLO. Sie ist zuständig für grundlegende Dienstleistungen wie die Versorgung mit Wasser und Strom, das Schulsystem und die Müllabfuhr. Sie gibt aber auch Dokumente wie Pässe, Geburts- und Todesurkunden und Führerscheine heraus. Wichtigster Geldgeber der Palästinenserbehörde ist die Europäische Union.
Der erste Palästinenserpräsident war Yassir Arafat, nach seinem Tod 2004 wurde Mahmud Abbas PLO-Chef. Im Jahr darauf wurde Abbas direkt vom Volk zum Präsidenten gewählt. Seine Amtszeit ist seit 2009 abgelaufen, es gab danach keine Wahl mehr. Die letzte Parlamentswahl fand im Jänner 2006 statt, damals siegte die Hamas. Die vierjährige Legislaturperiode ist seit 2010 abgelaufen. Seitdem gibt es keine demokratisch legitimierte Führung mehr. Eine Neuwahl wurde mehrmals angekündigt, fand jedoch wegen fortwährender Streitigkeiten zwischen der Fatah-Bewegung von Abbas und der im Gazastreifen herrschenden Hamas bisher nicht statt.
5. Die israelische Siedlungen
Nach der Eroberung des Westjordanlands und Ost-Jerusalems begann Israel mit der systematischen Besiedlung des Gebiets. 1980 annektierte Israel Ost-Jerusalem. Auch im Gazastreifen gab es 21 israelische Siedlungen, die jedoch im Zuge des israelischen Abzugs 2005 komplett geräumt wurden. Im Westjordanland leben neben den etwa drei Millionen Palästinensern inzwischen auch etwa eine halbe Million israelische Siedler in rund 200 Siedlungen, zusammen mit Ost-Jerusalem sind es sogar 700.000 Siedler.
Nach internationalem Recht dürfen Staaten keine eigene Zivilbevölkerung in besetztes Territorium umsiedeln. Der UN-Sicherheitsrat hatte Israel Ende 2016 zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich Ost-Jerusalems aufgefordert. Siedlungen wurden in der UN-Resolution 2334 als Verstoß gegen internationales Recht und als großes Hindernis für Frieden in Nahost bezeichnet.
Israel vertritt dagegen die Auffassung, das 1967 eroberte Westjordanland sei zuvor kein Staat, sondern nur von Jordanien kontrolliert gewesen. Israel beruft sich zudem auf das Völkerbundsmandat für Palästina von 1922, in dem historische Rechte der Juden auf das Land bestätigt wurden. Die Siedler sehen sich im Westjordanland zudem nicht als Fremdkörper. Nach ihrem Verständnis leben sie in Judäa und Samaria, dem Land ihrer Vorväter.
6. Der Gazastreifen
Im Gazastreifen herrscht seit 2007 de facto die islamistische Palästinenserorganisation Hamas. Sie wird von Israel, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Israel und die Hamas haben sich bereits drei Kriege geliefert: 2008/2009, 2012 und 2014. Dabei wurden Tausende von Menschen getötet. Militante Palästinenser im Gazastreifen feuern immer wieder Raketen auf israelisches Grenzgebiet und senden Brand- und Sprengstoff-Ballons. Israel reagiert darauf meist mit Angriffen auf Hamas-Ziele. Israel hatte 2007 eine Blockade des Gazastreifens verschärft, die inzwischen von Ägypten mitgetragen wird. Beide Länder begründen die Maßnahme mit Sicherheitserwägungen. Rund zwei Millionen Einwohner leben unter sehr schlechten Bedingungen in dem Küstenstreifen am Mittelmeer.
FAQ Gazastreifen
Dicht besiedelt
Das Mittelmeer, Israel und Ägypten begrenzen den nur 41 Kilometer langen zwischen sechs und zwölf Kilometer breiten Gazastreifen. Im dem etwa 360 Quadratkilometer großen Gebiet leben mehr als zwei Millionen Menschen. Mit fast 6000 Bewohnern pro Quadratkilometer ist Gaza eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt.
5000-jährige Geschichte
Archäologen fanden 1998 nahe Gaza die Überreste der großen befestigten kanaanäischen Stadt Tell es-Sakan, die von 3200 bis 2000 vor Christus durchgehend besiedelt war. In der Folgezeit stand das Gebiet des heutigen Gazastreifens nacheinander unter assyrischer, babylonischer, römischer, arabischer und christlicher Herrschaft.
Gaza war aufgrund seiner Lage an den Karawanenrouten, die Afrika, Europa und Asien auf dem Landweg verbanden, seit der Antike ein bedeutender Handelsplatz.
Im Unabhängigkeitskrieg Israels 1948 flohen viele Palästinenser in das Gebiet oder wurden dorthin vertrieben. Israel eroberte den Landstreifen, der zuvor vorübergehend von Ägypten verwaltet wurde, im Sechstagekrieg 1967. In einem einseitigen Schritt zog Israel 2005 seine Truppen aus dem Gazastreifen ab und löste die dortigen jüdischen Siedlungen auf.
Isoliert
2006 verfügte Israel nach der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalit durch die Hamas eine Luft-, Land- und Seeblockade des Gazastreifens. Das Land verstärkte die Blockade, nachdem die radikalislamische Hamas 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm.
Gaza wurde fortan vorrangig durch Schmugglertunnel entlang der ägyptischen Grenze versorgt. Dem Sturz der islamistischen Regierung in Kairo unter Präsident Mohammed Mursi im Jahr 2013 folgte schließlich die Zerstörung dieser Tunnel durch die ägyptische Armee.
Der einzige nicht von Israel kontrollierte Zugang zum Gazastreifen ist in Rafah an der Grenze zu Ägypten. Seit Mai 2018 hat Kairo den Rafah-Übergang nach Jahren der fast vollständigen Schließung überwiegend offengelassen.
Verheerende Armut
Über Rohstoffe oder Industrieproduktion verfügt das Gebiet nicht. Die Fischereirechte sind stark eingeschränkt. Die wenigen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen liegen oft in Grenznähe und sind wegen der Spannungen nicht kultivierbar. Bei der Wasser- und Stromversorgung hängt der Gazastreifen stark von Israel ab.
Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist nach Angaben der Weltbank arbeitslos, mehr als zwei Drittel der Bewohner hängen von Entwicklungshilfe ab.
Die fünfte Eskalation seit 2008
Die militanten Palästinenser im Gazastreifen und Israel haben sich bereits in den Jahren 2008, 2012, 2014 und 2021 in schweren militärischen Auseinandersetzungen bekämpft. Die am Samstag begonnene Eskalation ist in ihrem Ausmaß und der Zahl der Todesopfer auf israelischer Seite jedoch bisher beispiellos.
7. Palästinensische Flüchtlinge
Nach der Gründung des Staates Israel griffen fünf arabische Staaten Israel an, der erste Nahostkrieg begann. Er führte zur Flucht oder Vertreibung von rund 700.000 Palästinensern aus ihrer Heimat. Im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens 1949 übernahm Jordanien die Kontrolle über Ost-Jerusalem und das Westjordanland, Ägypten über den Gazastreifen. Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel auch diese Gebiete. Die UN-Resolution 242 forderte einen Abzug Israels aus den besetzten Gebieten.
Nach UN-Angaben beträgt die Zahl der registrierten Flüchtlinge, die auch die Nachkommen einschließt, rund sechs Millionen. Viele davon leben in Lagern im Libanon und Syrien, aber auch in den von Palästinensern kontrollierten Gebieten gibt es bis heute Flüchtlingslager. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) kümmert sich seit 1948 um die Flüchtlinge.
Das Flüchtlingsproblem gehört mit dem Streit über den künftigen Status Jerusalems zu den kompliziertesten Fragen im israelisch-palästinensischen Konflikt. Während die Palästinenserführung ein Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge in ihre alte Heimat fordert, lehnt Israel dies ab. (APA)