Funkes "Tintenwelt" geht mit Teil 4 weiter
Als Cornelia Funke vor über 20 Jahren die Tintenwelt ersonnen hat, wusste sie noch nicht, wohin die Geschichte sie führen wird. Das weiß sie selten, denn die weltbekannte deutsche Schriftstellerin lässt sich beim Schreiben ihrer Romane gern von ihren Figuren an der Hand nehmen. So kommt es auch, dass die erste Fassung ihres vierten Tintenwelt-Bandes, "Die Farbe der Rache", zunächst noch eine andere Geschichte erzählte als die letzte, die nun im Dressler-Verlag erschienen ist.
"Ich hatte schon vor Corona eine Fassung der ersten 20 Kapitel geschrieben. Das wird auch interessant für alle Leser, die die vergleichen. Sie war vollkommen anders als das, was es nachher geworden ist", sagt Cornelia Funke im dpa-Gespräch. Das entspreche aber auch ihrer Arbeitsweise. "In dem Moment, in dem ich anfange, an der Geschichte zu arbeiten, häutet sie sich, führt mich in die Irre, lockt mich und verändert sich immer wieder dramatisch. Das geht manchmal 10, 15 Fassungen lang. Meine Lektorin kennt das schon. So arbeite ich", so die 64-Jährige.
Die ersten Fassungen des Buches waren dabei noch aus Meggies Perspektive geschrieben - also der Tochter des Buchbinders Mo, der mit seiner Stimme Geschichten und Figuren aus Büchern zum Leben erwecken kann. Doch Funkes Tochter Anna habe eine entscheidende Bemerkung gemacht: "Anna sagte so schön: Das ist ja eigentlich Staubfingers Buch und nicht Meggies. Und dann habe ich die ganze Perspektive umgestellt - und alles fiel an seinen Ort."
Auf den 352 Seiten von "Die Farbe der Rache" steht diesmal also der Feuertänzer Staubfinger im Mittelpunkt. Und es geht um ein Buch, das mit der Macht von wunderschönen Bildern die liebsten Menschen von Staubfinger verschwinden lässt. Hinter dem Racheakt steckt Mos Erzfeind Orpheus, der es nie verwunden hat, dass Staubfinger seine Freundschaft ablehnte und sich sogar gegen ihn stellte. Nun ist Orpheus in seiner Rachsucht im Bunde mit einer Schattenleserin, die ihm hilft, Staubfinger Licht, Farbe und Liebe zu stehlen. Doch er unterschätzt eine ganz andere Macht.
In "Die Farbe der Rache" geht es aber nicht nur um die Macht der Bilder versus die Macht der Worte und den Kampf zwischen Gut und Böse. Es geht - bei aller Kälte und Dunkelheit - auch um Freundschaft, Vertrauen, innere Werte, Familie, Liebe und Natur. Also im Grunde um all das, was das Leben lebenswerter macht.
"Und es geht auch darum, dass am Ende vielleicht doch die Jungen die Welt retten werden", sagt Funke dazu. "Das Thema schlich sich ganz überraschend in die Geschichte. Jehan (Staubfingers Stiefsohn) und seine Freundin Lilia waren Figuren, auf die ich ebenso wenig gefasst war wie auf die Rolle, die sie später spielen." Teil der Geschichte sind auch Gedanken um Heimat, Identität und andere Kulturen. Funke selbst sagt dazu: "All diese Themen haben sich in die Geschichte gewoben. Und ich hoffe, es ist aus allem ein fliegender Teppich geworden, der die Leserinnen und Leser gut trägt."
Das Buch hinterlässt beim Lesen das Gefühl eines nass-kalten und doch wohligen Herbsttages, den man mit einer schönen warmen Tasse Tee und unter einer kuscheligen Decke genießt. Aus beinahe jeder Zeile spricht nicht nur die Liebe zur Natur und zu den Tieren und Pflanzen, sondern auch die zu den Künsten des Lebens - ob Bücher, Malerei oder Musik. Die Kapitel sind aus den Perspektiven fast aller Figuren geschrieben. Damit kommt viel Tiefe und Gefühl in die Geschichte und das Mitfiebern, Hoffen und Bangen wird verstärkt.
Landschaftliche Inspiration fand Funke übrigens in der Toskana, wo sie seit zwei Jahren wohnt. "Ich lebe ja in der Nähe von einer 3.000 Jahre alten Stadt, die sehr an Ombra erinnert. Das hat es sehr leicht gemacht, die Landschaften zu beschreiben, denn ich bin umgeben von ihnen und weiß, wie sie im Herbst und Winter aussehen. Das hat wunderbar inspiriert." Die Übersetzung ins Englische stammt zum ersten Mal von Cornelia Funkes Tochter Anna. Gelesen wird das Hörbuch übrigens wie immer von Rainer Strecker.
Ob es einen fünften Tintenwelt-Band geben wird, ließ Funke zunächst offen. "Ich habe keine Pläne. Ich denke, die Geschichte ist zu Ende erzählt. Aber es ist wie bei allen Geschichten: Sie gehen alle immer weiter. Ich könnte jedes meiner Bücher fortsetzen. Aber das werde ich wohl in meiner Lebenszeit nicht schaffen."