Karas kandidiert bei EU-Wahl weder für ÖVP noch mit eigener Liste
Wien, Brüssel – Zu einer „persönlichen Erklärung“ hat Othmar Karas geladen. In den 15. Stock des Mediatowers – mit Blick über Wien. Mit „OK.“ als Schrift auf dem Pult, mit der Österreich- und der EU-Fahne an der Seite tut er das, was er vor dem Sommer angekündigt hat. Er sagt, wie es mit ihm politisch weitergeht.
Als erneuter Spitzenkandidat bei der EU-Wahl jedenfalls nicht. Karas, der seit 1999 im Europäischen Parlament und seit Anfang 2022 Erster Vizepräsident dieses Hohen Hauses ist, lässt wissen, im Juni kommenden Jahres nicht anzutreten – nicht für die ÖVP, nicht mit einer eigenen Liste. „Das ist keine einfache Entscheidung für mich. Sie tut auch weh.“
Der 65-Jährige begründet sie mit dem Zerwürfnis zwischen ihm und seiner Partei. „Die ÖVP ist nicht mehr dieselbe Europapartei, die ich einst mitgestaltet habe. Sie ist nicht mehr die Kraft der Mitte.“ Auch „menschlich enttäuschend“ seien die vergangenen Monate gewesen. Der Umgang der Bundesoberen mit ihm sei einer staatstragenden Partei „unwürdig“. So habe ihn ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker als Saboteur bezeichnet, weil er gefordert habe, dass es für illegale Pushbacks Konsequenzen geben müsse.
📽️ Video | Persönliche Erklärung von Othmar Karas (ÖVP)
Von „nicht akzeptablem“ Stil spricht Karas, der seinem Selbstverständnis widerspreche. Er ortet auch „Scheindebatten“ wie die von ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer initiierte Diskussion über das Recht auf Bargeld in der Verfassung. Und einmal mehr beklagt Karas den asyl- und migrationspolitischen Kurs der Volkspartei. Es gehe ihm „unheimlich auf die Nerven“, von manchen als Linker tituliert zu werden, „weil ich dafür eintrete, dass Frauen und Kinder nicht im Mittelmeer ertrinken“. Sinnlose Polarisierung und Emotionalisierung ortet Karas ebenfalls; neuerdings nenne man das „SNU – strategisch notwendigen Unsinn, wobei am Ende nur der Unsinn überbleibt“.
War es das mit der politischen Karriere? Ist es damit nach der EU-Wahl vorbei? Das lässt Karas offen. Gefragt, ob er bei der nächsten Nationalratswahl mit einer Liste kandidieren könnte, antwortet er: „Ich habe heute eine erste persönliche Entscheidung bekannt gegeben.“ Alles andere werde sich zeigen. Das sagt er auch auf die Frage der TT, ob die Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl im Jahr 2028 eine Option für ihn sei. Und: „Eines ist sicher – ich werde nur das tun, was für unser Land einen Mehrwert bedeutet, wo ich das, was ich für richtig und notwendig erachte, umsetzen kann.“ ÖVP-Mitglied wolle er bleiben, sagt Karas, weil er deren Grundsatzprogramm nach wie vor hochhalte – im Gegensatz zu manchen in der Partei. In der Funktion als Erster Vizepräsident werde er bis zur EU-Wahl bleiben.
1999 war Karas für die ÖVP in das EU-Parlament eingezogen. Von 2006 bis 2009 sowie von 2011 bis 2019 leitete er die ÖVP-Delegation. Im Jänner 2022 wurde der Niederösterreicher zum Ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments gekürt. Dieses Amt hatte er schon von 2012 bis 2014 und von 2019 bis 2022 inne. Karas’ kompromissloser Einsatz für die europäische Sache führte zunehmend zu Zwist mit seiner Partei. Ob Asylpolitik, „Bargeld in der Verfassung“ oder EU-Budget – die Distanz wurde stetig größer.
Stimmen zu Karas
ÖVP Die Volkspartei nehme die Entscheidung von Othmar Karas „zur Kenntnis“, heißt es von Generalsekretär Christian Stocker. „Wie auch immer sein weiterer Weg aussieht, ich wünsche ihm für seine persönliche Zukunft alles Gute.“ Es sei „nichts Neues, dass sich die Positionen der Volkspartei sowie jene von Othmar Karas insbesondere in den vergangenen Jahren immer weiter voneinander entfernt haben“.
SPÖ Parteichef Andreas Babler lädt in Kreisky-Manier „alle Christlich-Sozialen in der ÖVP ein, ein Stück des Weges mit der Sozialdemokratie zu gehen“. Mit Karas verliere das EU-Parlament einen „überzeugten Europäer und Demokraten mit klarer Haltung“, befindet der SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder.
FPÖ Einen „Zerfalls- und Spaltungsprozess der ÖVP“ orten die Freiheitlichen. „Nach der Kurz-ÖVP gibt es jetzt neben der Nehammer-ÖVP auch noch eine Karas-ÖVP“, konstatiert Generalsekretär Michael Schnedlitz.
Grüne Grünen-EU-Delegationsleiterin Monika Vana nennt Karas einen „glaubwürdigen Pro-Europäer“ – und gibt ihm in vielem Recht, etwa was seine Kritik am Schengen-Veto, an illegalen Pushbacks und der Warnung vor der FPÖ und Rechtsruck anlangt.
NEOS Parteichefin Beate Meinl-Reisinger zollt Karas Respekt und bezeichnet ihn als eine „seit fast 25 Jahren geschätzte und konstruktive Stimme Österreichs im Europäischen Parlament“. Seinen Befund teilt sie: „Die ÖVP hat die Werte sehr vieler Menschen aufgegeben.“ Mit Karas verliere sie ihren „letzten aufrechten Europäer“.