Aufruf zur Evakuierung

„Nächste Phase des Kriegs“: Israel kündigt Bodenoffensive im Gazastreifen an

Für die bevorstehende Offensive berief Israel Hunderttausende Reservisten ein.
© THOMAS COEX

Gaza/Tel Aviv – Die israelische Armee hat eine Bodenoffensive gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas angekündigt. Man bereite sich auf einen "integrierten und koordinierten Angriff aus der Luft, vom Meer und dem Land" auf die islamistische Gruppe vor, teilte die Armee am Samstagabend in Tel Aviv mit. Die Vorbereitungen stünden vor dem Abschluss. Dazu zähle die Einberufung von Hunderttausenden Reservisten sowie deren Ausrüstung.

Einsatzkräfte seien bereits im ganzen Land stationiert und bereit, "die Bereitschaft für die nächsten Phasen des Krieges zu erhöhen, wobei der Schwerpunkt auf einer bedeutenden Bodenoperation" liege, hieß es weiter. Man bereite eine "breite Palette von Plänen für Offensivoperationen" vor.

Netanyahu kündigte nächste Phase im Krieg gegen Hamas an

Kurz zuvor hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die nächste Phase im Krieg gegen die Terrorgruppe angekündigt. Bei einem Truppenbesuch nahe der Grenze zum Gazastreifen sagte er am Samstag zu den Soldaten: "Seid ihr bereit für die nächste Phase? Die nächste Phase kommt." In dem Video war zu sehen, wie die Soldaten nickten.

Unser Ziel ist es, die Regierungs- und Militärkapazitäten der Hamas und anderer Terrororganisationen vollständig zu zerstören.
Israelischer Armeesprecher

"Unser Ziel ist es, die Regierungs- und Militärkapazitäten der Hamas und anderer Terrororganisationen vollständig zu zerstören", sagte der Armeesprecher. Die Bewohner von Gaza-Stadt sollen ihre Häuser verlassen "und nicht zurückkehren, bevor wir es nicht sagen", betonte er. Die Hamas versuche die Evakuierungen zu verhindern, fügte er hinzu.

Unterdessen gab es neuerlich Raketenangriffe vom Gazastreifen auf Tel Aviv und Zentralisrael. Zehn Raketen seien Richtung des Großraums der Küstenmetropole abgefeuert worden, meldeten israelische Medien. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht. Schon am Vormittag und am Nachmittag hatte es Raketenalarm gegeben. Auch im Süden des Landes wurde wieder Raketenalarm ausgelöst.

Noch über 30 Österreicher und Angehörige im Süden Gazas

Angesichts der bevorstehenden israelischen Bodenoffensive befinden sich noch mehr als 30 Österreicherinnen und Österreicher samt Angehörigen im Gazastreifen. Dies teilte das Außenministerium am Samstagabend auf Anfrage mit. "Sie befinden sich aktuell im Süden Gazas", hieß es mit Blick auf die von der israelischen Armee angeordnete Evakuierung des nördlichen Gazastreifens. Man bemühe sich, allen Ausreisewilligen eine Ausreise nach Ägypten zu ermöglichen. "Großteils" handle es sich bei den Betroffenen und Doppelstaatsbürgerinnen und Doppelstaatsbürger. Man stehe mit ihnen seit dem Wochenende "in ständigem Austausch".

Nicht in die Zahl dieser registrierten Personen eingerechnet seien die beiden österreichisch-israelischen Doppelstaatsbürger, die nach dem Hamas-Terrorangriff vermisst werden. Zu diesen liegen dem Außenministerium "weiterhin keine bestätigten Informationen vor".

Dass es eine Bodenoffensive geben wird, gilt seit Donnerstag als ausgemacht. Damals hatte die israelische Armee die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen ultimativ aufgerufen, sich in den Süden des schmalen Küstenstreifens zu begeben. Nach Auslaufen des Ultimatums gab die Armee den Bewohnern am Samstag neuerlich sechs Stunden Zeit, sich auf einer eingezeichneten Fluchtroute nach Khan Yunis zu begeben. Vom Evakuierungsaufruf war eine Million Menschen betroffen. Hunderttausende Menschen haben sich laut der Armee bereits auf den Weg in Richtung Süden gemacht. "Wir sind uns im Klaren, dass dies Zeit brauchen wird", sagte Militärsprecher Richard Hecht am Samstag.

Die im Gazastreifen herrschende Terrorgruppe Hamas benutzt die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde und lehnte eine Evakuierung ab. Die Palästinenser würden weder den Gazastreifen noch das Westjordanland verlassen und nicht nach Ägypten ausreisen, sagte Hamas-Chef Ismail Haniyeh am Samstag in einer TV-Rede. "Unsere Entscheidung ist es, in unserem Land zu bleiben", betonte er.

Einige verschleppte Israelis tot aufgefunden

Die israelische Armee vermeldete am Samstagabend den Fund von Leichen einiger Israelis, die von der radikal-islamischen Hamas verschleppt worden waren. Sie seien am Rande des Gazastreifens gefunden worden, hieß es. Später teilte ein Armeesprecher mit, dass es derzeit 126 Geiseln im Gazastreifen gebe. Die Zahl militärischer Opfer liege bei 279.

Zuvor hatte die Armee berichtet, bei Angriffen auf Einsatzzentralen der Hamas im Gazastreifen auch den der mutmaßlich Verantwortlichen des Massakers an israelischen Zivilisten getötet zu haben. Merad Abu Merad, Leiter des Hamas-Luftüberwachungssystems in Gaza-Stadt, sei maßgeblich für die Steuerung der Terroristen während des Massakers verantwortlich gewesen, teilte das israelische Militär Samstag früh mit. Auch Ali Kadi, der als Kommandant einer Eliteeinheit den Überfall bewaffneter Kämpfer auf Ortschaften im Süden Israels vor einer Woche angeführt hatte, sei bei einem Luftangriff getötet worden, teilte die Armee am Samstag mit.

📽️ Video | Armee: Anführer des Hamas-Angriffs auf Israel getötet

Weitere Angriffe durch die Hisbollah aus dem Libanon

Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah grifft am Samstag erneut israelische Stellungen an. Dabei sei ein "großer Teil der technischen Ausrüstung der Besatzer" in den Shebaa-Farmen zerstört worden, teilte die Organisation am Samstag mit. Bereits am Nachmittag hatte es einen Feuerwechsel an der Grenze gegeben. Bei dem Gefecht am Nachmittag habe es zwei Todesopfer unter Zivilisten gegeben, sagte ein libanesischer Politiker am Samstag. Auch mehrere Häuser seien durch den israelischen Beschuss beschädigt worden.

Der israelische Nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi betonte, dass die Aktionen der mit der Hamas verbündeten Schiitenmiliz bisher "unter der Eskalationsschwelle" seien. Israel wolle nicht in einen Zwei-Fronten-Krieg geraten. "Wir hoffen, dass Hisbollah nicht die faktische Zerstörung des Libanon auslöst", sagte er. In der Früh hatte die israelische Armee eine "Terrorzelle" zerschlagen, die vom Libanon ins Land eindringen wollte.

Hamas: Mehr als 2200 Tote durch israelische Angriffe

Die Machthaber im Gazastreifen gaben die Zahl der getöteten Palästinenser am Samstag mit 2.215 an. Zudem seien 8.714 Menschen verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen am Samstag mit. Hamas-Angaben zufolge starben bei israelischen Luftangriffen auch neun Geiseln, darunter vier Ausländer.

Terroristen hatten vor genau einer Woche im Auftrag der Hamas ein Massaker unter israelischen Zivilisten in Grenzorten und auf einem Musikfestival angerichtet – das schlimmste seit Israels Staatsgründung. Mehr als 1300 Menschen kamen dabei ums Leben.

📽️ Video | ORF-Korrespondent über die Lage in Israel

UN warnt vor "katastrophaler Situation" im Gazastreifen

Israels Aufforderung zur Massenevakuierung ist umstritten. Die Vereinten Nationen forderten Israel bereits am Freitag auf, die Anweisung zu widerrufen. Es drohe eine "katastrophale Situation". Auch aus Saudi-Arabien sowie Ägypten und Jordanien gab es scharfe Kritik. Der türkische Außenminister Hakan Fidan sagte am Samstag in Kairo, sein Land lehne eine Ausweisung von Palästinensern aus dem Gazastreifen ab. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock drängte nach Gesprächen in Kairo auf rasche humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. "Den Menschen in Gaza fehlt es gerade an allem", sagte sie.

Die EU-Kommission kündigte eine Verdreifachung der humanitären Hilfe für den Gazastreifen auf mehr als 75 Millionen Euro an. UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sagte am Samstag, dass die Lage im Gazastreifen "rasch untragbar" werde. Dort gebe es keinen Strom, kein Wasser, keinen Treibstoff und die Lebensmittel gingen zur Neige, so Griffiths. Die Menschheit habe im aktuellen Konflikt "versagt", kritisierte er. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) stellte sich indes klar hinter Israel. "Jedes zivile Opfer im Gazastreifen ist der Hamas zuzuschreiben", sagte Schallenberg im Ö1-"Journal zu Gast" am Samstag. (APA/Reuters/dpa)

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