Eine Million Menschen fliehen vor Bodenoffensive, Israel dementiert mögliche Waffenruhe
Vor Beginn der Bodenoffensive sind rund eine Million Personen aus dem Norden des Gazstreifens geflüchtet. Kriegshandlungen gingen auch am Montag unvermindert fort. Das Büro Netanyahus dementierte eine mögliche Waffenruhe.Laut aktuellen Zahlen sind mehr als 1400 Menschen in Israel getötet worden.
New York/Gaza/Jerusalem – Mehr als eine Million Menschen sind angesichts der erwarteten israelischen Bodenoffensive aus dem Norden des Gazastreifens geflüchtet. Während die israelische Armee am Montag weitere Soldaten rund um den palästinensischen Küstenstreifen zusammenzog, setzte sie ihre Angriffe auf die Fluchtwege vom Norden in den Süden des Gebiets am Vormittag nach eigenen Angaben aus. Indes stieg die bestätigte Zahl der von Hamas-Kämpfern in Israel entführten Geiseln auf 199 Menschen
Seit dem Großangriff der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Hamas am 7. Oktober bereitet Israel eine großangelegte Bodenoffensive in dem Palästinensergebiet vor. Israel forderte 1,1 Millionen Bewohner im Norden des Gebiets zur Flucht in den Süden auf.
📽 Video | Oberst zur erwarteten Bodenoffensive
1400 Tote und rund 200 verschleppte Geiseln
Bei dem Angriff der Hamas wurden nach israelischen Angaben mehr als 1400 Menschen in Israel getötet. Die Kämpfer verschleppten auch zahlreiche Menschen in den Gazastreifen. "Wir haben die Familien von 199 Geiseln informiert", sagte der israelische Militärsprecher Daniel Hagari am Montag. "Die Bemühungen zu den Geiseln haben höchste nationale Priorität", sagte er. "Die Armee und Israel arbeiten rund um die Uhr daran, sie zurückzuholen." Am Sonntag hatte Israel die Zahl der Geiseln noch mit 155 angegeben.
Tiktok löscht halbe Million Videos in einer Woche
Der Onlinedienst Tiktok hat nach eigenen Angaben seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas am 7. Oktober mehr als 500.000 Videos gelöscht und 8.000 Live-Übertragungen gestoppt. Die Schritte seien wegen Verstoßes gegen die Nutzungsrichtlinien erfolgt, erklärte das Unternehmen am Sonntag in seinem Blog. Die Teams zur Suche nach verbotenen Inhalten seien zudem verstärkt worden.
EU-Digitalkomissar Thierry Breton hatte Tiktok in der vergangenen Woche wegen der Verbreitung von Falschinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg verwarnt. Die Plattform werde missbraucht, "um illegale Inhalte und Falschinformationen in der EU zu verbreiten", kritisierte er.
Nach Angaben von Forschern werden Online-Netzwerke seit dem Großangriff der Hamas auf Israel und den Vergeltungsangriffen Israels auf den Gazastreifen mit Falschinformationen geflutet. Ausmaß und Geschwindigkeit der Verbreitung von sogenannten Fake News seien beispiellos.
Die israelische Armee nahm den Gazastreifen nach dem Hamas-Angriff unter Dauerbeschuss und riegelte das dicht besiedelte Küstengebiet vollständig ab. Die Lieferung von Treibstoff, Lebensmitteln und Trinkwasser wurde gestoppt. Nach israelischen Angaben wurde am Sonntag die Wasserversorgung im Süden des Gazastreifens wiederhergestellt. Die Anzahl der Todesopfer von israelischen Angriffen im Gazastreifen stieg am Montag nach palästinensischen Angaben auf etwa 2750 Menschen.
UN-Sicherheitsrat soll über Nahost-Resolution abstimmen
Der Weltsicherheitsrat soll noch am Montagabend über einen brasilianischen Resolutionsentwurf zur Eindämmung der Gewalteskalation im Nahen Osten abstimmen. Das Votum des mächtigsten UNO-Gremiums in New York ist ab Mitternacht MESZ geplant, wie aus Ratskreisen verlautete. Es gilt als wahrscheinlich, dass auch ein konkurrierender russischer Text zur Abstimmung gestellt wird.
Die Entwürfe liegen der Deutschen Presse-Agentur vor. Brasilien, das dem UN-Sicherheitsrat derzeit vorsitzt, verlangt in seinem Entwurf neben dem Zugang für humanitäre Hilfe unter anderem, dass Israel seine Aufforderung zur Evakuierung der Zivilbevölkerung aus dem nördlichen Gazastreifen rückgängig macht. Das Land wird in diesem Zusammenhang allerdings nicht direkt genannt. Damit folgt das Papier den Aussagen der UN, die eine Evakuierung von über einer Million Menschen in dem dicht besiedelten Küstengebiet binnen 24 Stunden als unmöglich bezeichnet hatten und vor einem humanitären Desaster warnten.
Im brasilianischen Entwurf wird die Hamas-Attacke auf Israel zudem als "abscheulicher Angriff" verurteilt. Es wird betont, dass beide Konfliktparteien sich an das internationale Völkerrecht zu halten hätten. Gebäude und Institutionen der Vereinten Nationen müssten geschützt werden. Brasilien hatte den Text nach Änderungswünschen Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinigten Arabischen Emirate in der Nacht auf Montag noch einmal angepasst.
Auch Russland hatte zuvor eine Abstimmung seiner eigenen Resolution ebenfalls für Montagabend angestrebt. Im russischen Text werden unter anderem eine "humanitäre Feuerpause" sowie die Freilassung der israelischen Geiseln gefordert. Der terroristische Angriff wird jedoch nicht direkt verurteilt.
Während dem russischen Text keine Chancen eingeräumt werden, gilt auch die Annahme des brasilianischen Entwurfs als unwahrscheinlich. Die USA hatten ihren Verbündeten Israel in der Vergangenheit mit ihrem Vetorecht vor unliebsamen Resolutionen geschützt. Eine Annahme benötigt mindestens neun Ja-Stimmen der 15 Mitglieder, zudem darf es kein Veto geben. Neben den USA haben Russland, China Frankreich und Großbritannien ein Veto-Recht.
Die Abstimmungen des Weltsicherheitsrates erhöhen den Druck vor allem auf Israel, das kurz vor einer Bodenoffensive im Gazastreifen zu stehen scheint. Resolutionen des UN-Gremiums sind völkerrechtlich bindend.
Israel lässt Fluchtwege am Vormittag offen
Indes verkündete die israelische Armee, am Vormittag ihre Angriffe auf den Fluchtwegen in den Süden des Gazastreifens auszusetzen. "Zu Ihrer Sicherheit nutzen Sie diesen kurzen Moment, um sich vom Norden und der Stadt Gaza in den Süden zu begeben", forderte Armeesprecher Avichay Adraee die Menschen im vormals Twitter genannten Onlinedienst X auf.
„Wir befinden uns am Beginn umfangreicher Militäroperationen in Gaza-Stadt“, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus am Montag. „Die Zivilisten wären nicht sicher, wenn sie hierblieben.“ Nach eigenen Angaben wartet das Militär auf eine „politische Entscheidung“ für den Beginn der Bodenoffensive. US-Präsident Joe Biden warnte Israel vor einer Besatzung des Gazastreifens. Dies wäre "ein großer Fehler", sagte er dem Sender CBS. Er unterstützte aber eine Invasion zur "Ausschaltung der Extremisten" von der Hamas.
Iran und Russland tauschen sich über Lage aus
Irans Präsident Ebrahim Raisi hat mit Kremlchef Wladimir Putin über die Lage im Nahen Osten gesprochen. Zu den genauen Inhalten des Gesprächs mit dem russischen Präsidenten wurde zunächst nichts bekannt. Irans Staatsführung hatte den Großangriff der Hamas auf Israel vor gut einer Woche gelobt, eine direkte Verstrickung jedoch zurückgewiesen.
Israel ist seit der Islamischen Revolution von 1979 Irans erklärter Erzfeind. Angesichts internationaler Sanktionen haben der Iran und Russland ihre Kooperation auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet ausgebaut. Die Islamische Republik unterstützt Moskau nach westlichen Erkenntnissen auch mit sogenannten Kamikaze-Drohnen im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Teheran bestreitet dies.
Aus Moskau hieß es indes, dass Putin außer mit Raisi auch mit dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad gesprochen habe. Geplant seien noch Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi.
Der Kremlchef hatte außerdem eine sofortige Feuerpause und den Beginn von politischen Gesprächen zur Beilegung des Konflikts gefordert. Am Montag sagte er bei einer im Staatsfernsehen übertragenen Sitzung, dass in dem Konfliktgebiet humanitäre Fragen gelöst werden müssten. Viele Bürger Russlands lebten in der Region, sagte Putin. Russland, das über enge Kontakte zur arabischen Welt verfügt, bot sich wiederholt als Vermittler an. Moskau hatte nach Angaben des russischen Außenministeriums in diesem Jahr bereits mehrfach Kontakt zur Hamas.
Mit hastig zusammengerafften Sachen, auf Motorrädern, in Autos, Anhängern oder mit Esels-Karren fliehen seit Tagen hunderttausende Palästinenser aus dem Norden in den Süden des Küstenstreifens. In der ersten Woche des Kriegs zwischen Israel und der Hamas wurden nach Schätzungen der UNO rund eine Million Menschen im Gazastreifen vertrieben.
UN warnt vor humanitärer Katastrophe
Die Abriegelung des Palästinensergebiets schürte international Befürchtungen einer humanitären Katastrophe. Der Nahe Osten stehe "am Rande des Abgrunds, warnte UN-Generalsekretät António Guterres am Sonntag. Dem Gazastreifen gingen "Wasser, Strom und andere lebenswichtige Güter aus".
Die am Grenzübergang zwischen Rafah im Süden des Gazastreifens und Ägypten eingetroffenen Hilfsgüter aus mehreren Ländern werden bislang nicht durchgelassen: Nach Angaben mehrerer ägyptischer Augenzeugen hatten die Hilfskonvois am Montag noch nicht die Stadt al-Arish verlassen, die sich etwa 40 Kilometer östlich von Rafah befindet.
Fragezeichen Waffenruhe
Israel wies am Montag sowohl Berichte über eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe zurück. Derzeit gebe es weder eine Feuerpause noch humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen im Austausch für die Ausreise von Ausländern, erklärte das Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu am Montag. Hamas-Medienchef Issat al-Rishk bestätigte, dass "keinerlei Wahrheit" in den Medienberichten stecke.
Mitglieder des bewaffneten Hamas-Arms feuerten am Montag nach eigenen Angaben eine weitere Rakete auf die israelische Küstenstadt Tel Aviv ab. Im Stadtzentrum war eine dumpfe Explosion zu hören, es gab aber keinen Raketenalarm. Die Al-Qassam-Brigaden schrieben bei Telegram, es handle es sich um eine Reaktion auf "Massaker" an Zivilisten durch Israel.
Unterdessen bleibt auch die Lage im Norden Israels äußerst angespannt. Am Montag kündigte Israel die Evakuierung von Ortschaften in einem zwei Kilometer breiten Streifen an der Grenze zum Libanon an. Sie würden in staatlich finanzierten Unterkünften untergebracht, teilten Verteidigungsministerium und Armee mit. Im Süden Israels wurde die Stadt Sderot an der Grenze zum Gazastreifen evakuiert.
📽 Video | Wasserversorgung im Gazastreifen wieder hergestellt
Die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon hatte sich in den vergangenen Tagen zu mehreren Raketenangriffen auf Nordisrael bekannt, Israel hatte daraufhin Ziele im Südlibanon angegriffen.
Biden zieht Besuch in Israel in Betracht
US-Präsident Joe Biden zieht US-Medien zufolge eine Reise nach Israel in den kommenden Tagen in Betracht. Das berichteten US-Medien wie das Portal Axios am Sonntagabend (Ortszeit) unter Berufung auf Quellen in der israelischen und US-amerikanischen Regierung. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu habe Biden während eines Telefonats am Samstag nach Israel eingeladen. Die endgültige Entscheidung über eine Reise sei aber noch nicht getroffen, hieß es weiter.
Biden hatte nach den Angriffen der islamistischen Hamas-Terroristen seinen Außenminister Antony Blinken vergangene Woche nach Israel und in weitere Länder in der Region geschickt. Blinken wollte auch an diesem Montag wieder Termine in Israel wahrnehmen. Auch Verteidigungsminister Lloyd Austin war am Freitag zu Gesprächen in Israel.
Die USA warnten am Sonntag vor dem Entstehen einer zweiten Front zwischen Israel und dem Libanon. US-Außenminister Antony Blinken kehrte am Montag zu seinem zweiten Besuch innerhalb weniger Tage nach Israel zurück. Zuvor war er in mehrere arabische Länder gereist. Niemand dürfe Öl ins Feuer gießen, warnte Blinken am Sonntag. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will offenbar am Dienstag nach Israel reisen.
Hamas beherrscht Gazastreifen seit zwei Jahrzehnten
Israel rief die Bewohner im Norden des Gazastreifens zudem zur Flucht in den südlichen Teil des Küstenstreifens auf. Die israelische Armee bereitet sich eigenen Angaben zufolge auf eine Bodenoffensive in dem Palästinensergebiet vor.
Die Hamas beherrscht den Gazastreifen seit fast zwei Jahrzehnten und verwickelte Israel mehrmals in Kriege. Vor einer Woche gelang es Hamas-Kämpfern erstmals, auf israelisches Territorium vorzudringen. In einer beispiellosen Terrorkampagne töteten sie dabei rund 1.400 Israelis, rund 160 wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Die barbarischen Akte führten zu einer Solidarisierungswelle mit Israel, doch fanden in zahlreichen Ländern – darunter Österreich – auch Pro-Palästina-Demonstrationen statt, bei denen auch Vernichtungsslogans an die Adresse Israels gerufen wurden.
Während die PLO in den 1990er Jahren eine Friedenslösung mit Israel in Aussicht genommen hat, in deren Folge auch eine Autonomieverwaltung in den palästinensischen Gebieten eingerichtet wurde, hat sich die Hamas die Vernichtung des Judenstaates auf die Fahnen geschrieben. Die radikal-islamische Bewegung wird vom Iran unterstützt, der auch mit der im Libanon dominierenden Schiitenmiliz Hisbollah verbündet ist. (APA, Reuters, dpa, AFP)
Grausames Hassverbrechen
26 Stiche: Mann in USA tötete Sechsjährigen wegen Hass auf Muslime
Wegen schlechter Sicht
Israel verschiebt Bodenoffensive: „Brauchen Zeit, um zu siegen“
🔴 Live-Updates