Wegen Transit-Streit mit Tirol: Italien beschloss EuGH-Klage gegen Österreich
Aufgrund des Konflikts mit Österreich wegen der Tiroler Anti-Transitmaßnahmen will Italien den Staat Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Das beschloss der Ministerrat in Rom am Montag.
Rom, Luxemburg, Bozen ‒ Die italienische Regierung hat am Montag die bereits mehrmals angekündigte Klage Italiens gegen Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der Tiroler Anti-Transitmaßnahmen beschlossen. Dies kündigte der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini am Ende einer Ministerratssitzung in Rom an.
Es handle sich um eine "schwierige, aber zwingende Entscheidung angesichts der Haltung der EU-Kommission und der Unmöglichkeit eine Verhandlungslösung zu erreichen."
Salvini: „Präzedenzloses Verfahren“
"Erstmals in der Geschichte der italienischen Republik hat der Ministerrat den Rekurs beim EuGH in Luxemburg gegen die Transitverbote beschlossen, die die österreichische Regierung einseitig am Brenner aufgezwungen hat", erklärte Salvini. Damit beginne ein "präzedenzloses Verfahren, in dem wir auch andere Länder einbinden werden", erklärte der Lega-Politiker bei einer Pressekonferenz nach der Ministerratssitzung.
"Der Ministerrat hat den Antrag des Verkehrsministeriums auf Einleitung des in Artikel 259 des EU-Vertrags vorgesehenen Verfahrens gegen die österreichischen Fahrverbote am Brenner angenommen. Dies ist das erste Mal, dass Italien einen anderen Mitgliedstaat wegen Verletzung des EU-Rechts direkt vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat", hieß es zudem in einer Aussendung von Salvinis Ministerium. Es werde "Aufgabe des Gerichtshofs sein, zu klären, ob die österreichischen Fahrverbote für den Schwerverkehr rechtmäßig sind oder ob der in den Verträgen verankerte Grundsatz des freien Waren- und Personenverkehrs Vorrang haben sollte."
Mattle: "Italien wird keinen Erfolg haben"
"Italien wird mit seiner Maximalforderung, nämlich die Aufhebung aller Tiroler Verbote, keinen Erfolg haben", hieß es von Tirols Landeschef Mattle. Rechtsexperten - wie der Europarechtler Walter Obwexer, der die Landesregierung berät - "geben der Klage keine große Chance." Mattle hielt außerdem fest, dass eine Klage gegen die Anti-Transitmaßnahmen "nicht weniger" bedeute, "als gegen die verkehrsgeplagten Menschen entlang des Brennerkorridors vor Gericht ziehen zu wollen."
Er berief sich auf die Alpenkonvention, das Weißbuch Verkehr sowie den Green Deal der EU-Kommission, die allesamt "eine Reduktion des Verkehrs und eine Verlagerung auf die Schiene" vorsehen. Die Transitfrage könne nicht vor Gericht, "sondern muss am Verhandlungstisch mit neuen Entlastungsmaßnahmen gelöst werden", sagte er und verwies auf "vernünftige Stimmen hinter den Kulissen, die an gemeinsamen Lösungen interessiert sind."
Zumtobel fordert gemeinsame Lösungen
Gelassen zeigte sich Tirols Verkehrslandesrat Renè Zumtobel (SPÖ). "Die transitgeplagte Bevölkerung dies- und jenseits des Brenners braucht gemeinsame Lösungen anstatt einseitiger Klagen", ließ er die APA wissen. Sollte es tatsächlich zu einem Verfahren kommen, so werde ein Gericht entscheiden, "ob die Gesundheit einer ganzen Region über den freien Warenverkehr zu stellen ist." Dabei werde insbesondere die Europäische Union Farbe bekennen müssen, "wie ernst sie es mit dem eigenen Green Deal und den selbstauferlegten Klimazielen nimmt."
FPÖ und Liste Fritz attackieren Salvini
Reaktionen kamen auch von Tiroler Oppositionsparteien. Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger nannte die Klage einen "Angriff der Frächterlobby auf die Gesundheit und die Lebensqualität der Tiroler Bevölkerung." Es handle sich um den Beweis, dass "die Bemühungen Österreichs und Tirols im Kampf gegen den Transit gescheitert sind." Gleichzeitig sah Abwerzger in der Klage aber auch eine Chance. Und zwar wenn es den Juristen gelinge, "das Grundrecht auf Gesundheit mit der Warenverkehrsfreiheit auf eine Ebene zu stellen."
Deutlich wurde auch Liste Fritz-Obfrau Andrea Haselwanter-Schneider: "Tirol wird trotz dieser Drohgebärde seitens der italienischen Regierung keine weichen Knie bekommen und deshalb auch keinen Millimeter weichen. Diese Klage ist ein Schlag ins Gesicht der transitgeplagten Bevölkerung nördlich und südlich des Brenners und eine schmerzliche Offenbarung, wie wenig Verbündete im Kampf gegen den überbordenden Transitverkehr die Tiroler Landesregierung wie auch die österreichische Bundesregierung hat."
Gewessler verteidigt Tiroler Maßnahmen
Ministerin Gewessler verteidigte indes in einer Reaktion einmal mehr die "Notmaßnahmen" Tirols und betonte, dass der Bund eng an der Seite des Bundeslandes stehe. Gewessler mahnte zu Verhandlungen, schließlich liege mit dem "Slot-System" für buchbare Lkw-Fahrten auf der Brennerstrecke ein Vorschlag am Tisch. "Darüber zu reden wäre jetzt angesagt - anstatt wöchentlich mit rechtlichen Schritten zu drohen. Salvini beweist einmal mehr, nicht an tatsächlichen Verbesserungen interessiert zu sein, sonst würde er nicht von Klagen reden, sondern an den Verhandlungstisch zurückkehren", so die Verkehrsministerin. Österreich ist und bleibe gesprächsbereit. Dies hätten Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sie selbst am Freitag auch in einem Brief gegenüber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bekräftigt, wartete Gewessler mit einer Neuigkeit auf.
Der Chef des italienischen Frächterverbands Fai Conftrasporto, Paolo Uggè, zeigte sich hingegen mit dem Beschluss des Ministerrats in Rom wenig überraschend zufrieden: "Italien hat zum ersten Mal eine starke und entschlossene Initiative nicht nur zugunsten des Straßengüterverkehrs, sondern zum Schutz der gesamten italienischen Wirtschaft ergriffen und dies, nachdem die Europäische Kommission jahrelang nur auf den Dialog mit Österreich gesetzt hat."
Tajani versuchte noch Wogen zu glätten
Vor dem Ministerrat hatte der italienische Außenminister Antonio Tajani versucht, die Wogen zu glätten. "Wir prüfen, was am Brenner geschieht. In diesem Fall muss Vernunft überwiegen. Ich hoffe, dass am Schluss eine Lösung gefunden wird", sagte Tajani bei einem Wahlkampfauftritt anlässlich der Südtiroler Landtagswahl in Bozen am Sonntag.
Tajani betonte, dass er nach wie vor "gute Beziehungen" zu Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) habe. "Ich hoffe, dass Österreich begreift, dass es wirtschaftliche Interessen gibt. Nicht nur auf italienischer Seite und natürlich stets unter Berücksichtigung der Umwelt. Ich hoffe, dass die Vernunft überwiegen wird, denn harte Positionen drohen nur Schäden anzurichten", erklärte der Minister.
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Laut Artikel 259 kann jeder EU-Mitgliedstaat den EuGH anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderes Mitglied gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, hatte Salvini vergangene Woche betont. Bevor ein Mitgliedstaat wegen einer angeblichen Verletzung der Verpflichtungen aus den Verträgen gegen einen anderen Staat Klage erhebt, muss allerdings die EU-Kommission damit befasst werden.
Die EU-Kommission erlässt eine mit Gründen versehene Stellungnahme und gibt den beteiligten Staaten zuvor Gelegenheit zu schriftlicher und mündlicher Äußerung in einem kontradiktorischen Verfahren. Gibt die Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, in dem ein entsprechender Antrag gestellt wurde, keine Stellungnahme ab, so kann ungeachtet des Fehlens der Stellungnahme vor dem Gerichtshof geklagt werden.
Tirol hält an Maßnahmen fest
Die Diskussion um die Tiroler Anti-Transitmaßnahmen auf der Brennerstrecke wie Sektorales Fahrverbot, Nachtfahrverbot oder Blockabfertigungen schwelt seit Jahren zwischen Italien und Deutschland auf der einen und Österreich auf der anderen Seite. Die schwarz-rote Tiroler Landesregierung hatte - mit Unterstützung von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) - wiederholt klargemacht, an den Anti-Transitmaßnahmen festhalten zu wollen und nicht von der Regulierung des Schwerverkehrs abzurücken, solange es keine große europäische Lösung gebe.
Salvini geißelte dagegen - unter anderem vergangene Woche am Brenner - stets das Vorgehen Österreichs und betrachtet es als EU-rechtswidrig. Der EU-Kommission warf er Untätigkeit vor, da sie nicht von sich aus ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einleitet.
Bayern, Tirol und Südtiro für "Slot-System"
Auf regionaler Ebene hatte es dagegen heuer an der Transit-Front eine Einigung gegeben. Die Landeschefs von Bayern, Tirol und Südtirol - Markus Söder (CSU), Anton Mattle (ÖVP) und Arno Kompatscher (SVP) - hatten im April in Kufstein öffentlichkeitswirksam ein "Slot-System" präsentiert. Für ein solches digitales, grenzüberschreitendes Verkehrsmanagement müsste aber ein Staatsvertrag zwischen Österreich, Deutschland und Italien abgeschlossen werden.
Ein solcher ist noch in weiter Ferne. Denn Salvini zeigte sich bisher strikt ablehnend - er will erst darüber reden, wenn die transiteinschränkenden Maßnahmen und Fahrverbote aufgehoben werden. Auch Deutschland reagierte sehr reserviert. (TT.com, APA)