„Killers of the Flower Moon“: Ein Gangsterepos in der Prärie
Martin Scorsese bleibt einer der besten Chronisten des menschlichen Bösen: „Killers of the Flower Moon“ startet heute in den Kinos.
Innsbruck – Es gab eine Zeit, da waren die Osage-Indianer aus Oklahoma das reichste Volk der Welt, weil sie in eine Oase aus schwarzem Gold verbannt wurden. Glück hat ihnen das Öl keines gebracht. Sie wurden dafür umgebracht. Martin Scorsese hat die Kriminalsaga mit „Killers of the Flower Moon“ nun furios verfilmt. Bevor es auf Apple TV+ erscheint, startet das Drama heute im Kino. Das heißt: bitte Sitzfleisch mitnehmen!
Denn wer erinnert sich nicht: Erst 2019 inszenierte Scorsese mit „The Irishman“ entgegen jeden aktuellen Sehgewohnheiten einen dreieinhalbstündigen Abgesang auf die Mafia – und seine eigenen Gangsterepen. Sein neuer Film ist wieder genauso lang – dafür aber sein erster „Western“, wie er sagt. Die Handschrift des Regisseurs bleibt dennoch erhalten: der verrottete Kern des menschlichen Herzens, die mafiösen Verstrickungen, amerikanische Mythen und die schmutzige Wahrheit darüber inklusive.
📽️ Video | Offizieller Trailer – „Killers of the Flower Moon“
Basierend auf einem Buch von David Grann, startet Scorsese im Oklahoma der 1920er – in einer Zeit, in der das Volk der Osage mit Wohlstand überflutet wird. Bei einer Zeremonie der Indigenen quillt das schwarze Gold als spontaner Schwall aus dem Boden hervor. Ihr Tanz unter der Ölfontäne wird von einem bluesigen Riff begleitet – es ist jener Moment, der auf Paul Thomas Andersons Prärieoper „There Will Be Blood“ (2007) hindeutet. Scorseses Western hat ähnliche Wucht – und auch hier wird Blut fließen.
Ergänzt wird das Intro mit einem bizarren Kurzfilm im Stummfilm-Stil von damals: Die Osage spielen Golf, die Weißen kutschieren sie. Unter ihnen ist Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio), kein besonders schlauer Kerl und Kriegsrückkehrer, der bei seinem Onkel Bill Hale (Robert De Niro) unterkommt, dem selbst erklärten „King“ der Gegend – so einer, der sich als Gönner der Osage ausgibt und derweil im Hintergrund die Fäden zieht. Er will, dass sein Neffe die Indigene Mollie Kyle (Lily Gladstone) heiratet, um an ihr Geld zu kommen. Ernest scheint sie aufrichtig zu lieben – und hat gleichzeitig nichts dagegen, seine Frau langsam zu vergiften.
Jahre vergehen, Kinder werden geboren, da beginnen Mollies Verwandte langsam dahinzusiechen. Mit jedem Todesfall fließt das Familienvermögen ihr und damit Ernest zu. Kann denn nichts unternommen werden, um das mysteriöse Morden zu stoppen? Die US-Regierung schickt einen Ermittler (Jesse Plemons). Aber es ist bereits fast zu spät.
Auch mit 80 ist Martin Scorsese noch scharfer Chronist des menschlichen Bösen. Echos seiner gesamten Filmografie flackern immer wieder auf – von „Taxi Driver“ über „GoodFellas“ hin zu „The Wolf of Wall Street“. DiCaprio verbringt die meiste Zeit damit, verwirrt zu schwitzen, während De Niro finster seinen Charme spielen lässt – das ist genau jene Art von toxischer Männerbeziehung, die Scorsese im Schlaf inszenieren kann. Die Frauen bleiben da normalerweise schöner Hintergrund – Anna Paquin etwa durfte in „The Irishman“ ganze sieben Worte sprechen.
Das ist diesmal anders. Lily Gladstone liefert eine der außergewöhnlichsten Darstellungen einer Frau in einem Scorsese-Film. Sie ist eine tragische Figur mit Feuer im Bauch. Auch wenn die beiden Stammschauspieler ihr fast buchstäblich die Luft zu atmen nehmen, hört man ihre Wut und Verzweiflung laut und deutlich. (APA, TT)