Raketeneinschlag bei Gaza-Spital: Zweifel an Opferanzahl
Laut israelischer Armee sei bei der Zahl der Opfer, die bei einem Raketeneinschlag bei einem Spital in Gaza getötet worden ist, übertrieben worden. Sie sprechen von einer Desinformationskampagne der islamistischen Hamas.
Washington/Jerusalem – Beim Einschlag einer Rakete vor dem Al-Ahli-Arab-Spital in Gaza sollen nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums am Dienstagabend 471 Menschen getötet worden sein. Es gibt allerdings Zweifel an dieser Darstellung. Am Donnerstag betonte auch die israelische Armee, dass die Zahl der „tragischen Todesfälle“ übertrieben worden sei. Zuvor sprach eine europäische Geheimdienstquelle von „eher dutzenden als hunderten Opfern“.
„Es gibt nicht 200 oder gar 500 Tote, sondern eher ein paar Dutzend, wahrscheinlich zwischen zehn und 50“, sagte die anonyme europäische Quelle laut der Nachrichtenagentur AFP. Sie verwies darauf, dass das Gebäude nicht zerstört worden sei. Das Krankenhaus sei wahrscheinlich zuvor evakuiert worden, wie eine ganze Reihe von Krankenhäusern im nördlichen Gazastreifen, nachdem die israelische Armee dies angeordnet hatte. Dafür, dass sich hunderte Menschen auf dem Parkplatz davor befunden hätten, gebe es „keine Beweise“.
Die Hamas hatte Israel zuvor beschuldigt, das Krankenhaus beschossen zu haben. Die israelische Armee macht hingegen eine fehlgeleitete Rakete der Terrororganisation Islamischer Jihad im Gazastreifen verantwortlich und legte Beweise vor, die das belegen sollen. Die palästinensische Seite sowie zahlreiche arabische Staaten geben Israel die Schuld.
Es gebe keine typischen Zerstörungen an den umliegenden Gebäuden oder einen Krater wie bei einem israelischen Luftangriff, erklärte demgegenüber der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. In einem von Israel abgefangenen Telefongespräch zwischen zwei Mitgliedern der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas sei außerdem von der Fehlfunktion einer palästinensischen Rakete die Rede gewesen. Es gebe zwei unabhängige Videos, die als Beweis für eine fehlgeleitete Rakete dienten.
Israel laut USA Informationen nicht verantwortlich
Auch nach Darstellung der USA ist Israel den bisher vorliegenden Informationen zufolge nicht für die Explosion in dem Krankenhaus im Gazastreifen verantwortlich. Grundlage der Einschätzung sei die Auswertung von Luftaufnahmen, abgefangenen Informationen und öffentlich zugänglichen Quellen, erklärt die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates (NSC), Adrienne Watson, auf dem Kurznachrichtendienst X (Twitter). Die Auswertungen würden fortgesetzt.
Israels Außenminister Eli Cohen forderte von den Vereinten Nationen, die Schuldigen öffentlich zu machen. Er habe an UNO-Generalsekretär António Guterres appelliert, bekannt zu geben, dass „die palästinensischen Terrororganisationen“ für die Explosion im Al-Ahli-Krankenhaus im Gazastreifen verantwortlich seien, teilte Cohen am Mittwoch auf der Plattform X (ehemals Twitter) mit.
Palästina will Strafgerichtshof einschalten
Die im Westjordanland herrschende palästinensische Autonomiebehörde beantragte dagegen eine Untersuchung des Vorfalls durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). „Der palästinensische Staat hat heute einen Antrag beim IStGH eingereicht, um eine Untersuchung bezüglich dieses Verbrechens zu erreichen", sagte die Vertreterin der Palästinenserregierung in Frankreich, Hala Abu Hassira, am Mittwoch in Paris. „Wir brauchen eine internationale Untersuchung.“ Für Abu Hassira steht fest, dass Israel die Schuld trägt.
Weltweit wurde die Attacke auf das Krankenhaus verurteilt, darunter vom Iran, Ägypten, Jordanien, Katar und der Türkei. In mehreren muslimischen Ländern kam es zu Protesten gegen Israel. Der Iran brachte Sanktionen gegen Israel im Rahmen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) ins Spiel und forderte die islamischen Länder zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Israel auf.
Biden vermutet „anderes Team“
US-Präsident Joe Biden reagierte mit Bestürzung. Bei einem Besuch in Israel am Mittwoch schenkte der US-Präsident der israelischen Darstellung Glauben, indem er sagte: Nach dem, was er gesehen habe, sei die Explosion „vom anderen Team“ verursacht worden.
Ursprünglich hatte der US-Präsident im Anschluss nach Jordanien weiterreisen wollen, um dort noch am Mittwoch auch mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und dem jordanischen König Abdullah II. zusammenzukommen. Nach dem Vorfall um die Al-Ahli-Arab-Klinik wurde das Treffen in Jordanien jedoch kurzfristig abgesagt.
Viele Staaten reagieren zurückhaltend
Das russische Außenministerium sprach von einem schockierenden, unmenschlichen Verbrechen. Der russische Präsident Wladimir Putin rief zu umgehenden Verhandlungen auf. Mit Schuldzuweisungen legte sich Moskau nicht fest. Ähnlich äußerte sich China.
Auch die österreichische Regierung legte sich nicht auf eine Urheberschaft fest. „Nach Einschätzung des Heeresnachrichtenamts ist keine abschließende Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt möglich“, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) am Mittwoch. Bundespräsident Alexander Van der Bellen forderte „rasch eine unabhängige Aufklärung“, um Klarheit bezüglich der Urheberschaft zu schaffen. “Spitäler und medizinisches Personal müssen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht geschützt werden“, betonte er.
Warnung vor voreiligen Schlüssen
Großbritannien zeigte sich bereit, sich an einer Untersuchung zu der Explosion zu beteiligen. Außenminister James Cleverly warnte vor voreiligen Schlüssen und Reaktionen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf Twitter (X): „Ich bin entsetzt über die Bilder, die uns von der Explosion in einem Krankenhaus in Gaza erreichen.“ Er forderte eine genaue Aufklärung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach im EU-Parlament in Straßburg von einer „sinnlosen Tragödie“. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) warnte in der Folge vor einem Kollaps des Gesundheitssystems im Gazastreifen. „Die Lage ist äußerst prekär“, sagte Präsidentin Mirjana Spoljaric Egger am Mittwoch im Deutschlandfunk. Die Krankenhäuser seien überfüllt. Es fehle an Ärzten, Material, Betten und Operationssälen. „Es ist eine Frage von Stunden oder Tagen, bis das ganze System zusammenbricht.“ (APA/dpa/Reuters/AFP)
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