Zweiter Verhandlungstag

Ex-Kanzler Kurz sieht sich vor Gericht als Opfer: „Opposition wollte mich zerstören“

Am zweiten Prozesstag musste der ehemalige Kanzler dem Gericht Rede und Antwort stehen.
© HELMUT FOHRINGER

Am Freitag fand der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen Ex-Kanzler Kurz und zwei seiner Vertraute statt. Kurz’ Strategien: Er fühlt sich verfolgt. Die Staatsanwälte attackiert er. Seinen langjährigen Weggefährten Schmid versucht er als unglaubwürdig darzustellen. Beim U-Ausschuss war er nicht gut vorbereitet gewesen.

Wien – Sebastian Kurz versuchte im Gerichtssaal souverän zu agieren. Das gelang ihm nicht immer. Er wirkte zwischendurch angriffig („Der Staatsanwalt schaut schon wieder so verdutzt“) und emotional. Er sieht sich zudem als Opfer, klang dabei fast weinerlich. Er versuchte immer wieder von der Anklagebank aus die Rolle des gestenreichen Erklärers einzunehmen – so wie er als Kanzler agiert hatte. Dem „Herrn Rat“ versuchte er obendrauf Verständnis für seine Position abzuringen.

Man habe ihm „schwerste Korruption“ unterstellt. Man müsse zwar als Politiker eine „dicke Haut haben“, aber das war ihm dann doch zu viel. Ja, die „Opposition wollte mich zerstören“. Der frühere ÖVP-Bundeskanzler nützte am Freitag ausführlich die Gelegenheit, als Angeklagter seine Sicht der Dinge darstellen zu können. Kurz wird Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen.

Doch nicht nur von der Opposition fühlt er sich verfolgt, auch von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Das Verfahren habe ihm die „Freude an der Politik geraubt“.

Auf die Strategie, sich als Verfolgter darzustellen, setzt Kurz schon seit Jahren. So auch Freitag im (nicht mehr so dicht gefüllten) Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts. „Die WKStA hat bewusst versucht, eine Falschaussage zu konstruieren.“ Er, Kurz, habe zwar sein „Jus-Studium nicht abgeschlossen, aber eines habe ich mir mitgenommen: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Ich will nicht jammern“, um dann aber hinzuzufügen, dass er sich ungerecht behandelt fühle.

Der Kanzler stellte sich als überzeugter Demokrat dar, um die Vorwürfe zu entkräften, er habe ein „mangelndes Demokratieverständnis“. Er betonte sodann, dass der Job des Kanzlers – er war damals 33 Jahren alt – eben „ein stressiger“ sei. Da könne er sich eben nicht mehr an alle Details erinnern. Er „war auf die Befragung im U-Ausschuss (am 24. Juni 2020) „nicht gut vorbereitet“. Im U-Ausschuss herrschte seiner Meinung nach zudem eine aufgeheizte Stimmung. Er musste aufpassen, so sagte der frühere ÖVP-Chef, dass er mit seinen Antworten kein Strafverfahren provoziere. Diese Aussage zielt wohl auch darauf ab, im Nachhinein auf einen Aussagenotstand pochen zu können.

Gut erinnern konnte sich der Altkanzler jedoch im Zusammenhang mit Aufsichtsratsbestellungen, nämlich ob er Entscheidung getroffen habe oder eben nicht. Denn: „Ich habe kein Hirn wie ein Nudelsieb.“

📽️ Video | Kurz-Prozess fortgesetzt

Klarstellung zu „Kriegst eh alles, was du willst“

Bevor dann Richter Michael Radasztics seine Fragen stellte, versuchte Kurz noch seinen langjährigen Weggefährten und Freund Thomas Schmid als unglaubwürdig bloßzustellen.

Die Falschaussagen kreisen um den Komplex der Staatsholding ÖBAG. Es ging um Schmids Bestellung zum Alleinvorstand der Staatsholding und die Bestellung der Aufsichtsräte. Darüber wollten die Abgeordneten im U-Ausschuss von der Auskunftsperson Kurz Antworten erfahren. Später ausgewertete Chatnachrichten bildeten dann das Quellenmaterial für die Anklagebehörde. Zudem packte Schmid über Kurz aus und bot sich damit der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge an. Im Prozess wird der gebürtige Tiroler wohl schon Anfang November als Zeuge aussagen müssen.

„Wenn der Thomas Schmid damals mit mir über die Bestellung gesprochen hat, dann kann ich Ihnen versichern, es war für ihn wichtiger als für mich“, sagte Kurz dem Richter und widersprach so der WKStA ein ums andere Mal. Seine Nachricht an Schmid „Kriegst eh alles, was du willst“ interpretierte Kurz gegenüber dem Richter so: Schmid konnte den Hals nicht vollkriegen. Dieser habe nämlich den Aufsichtsratsvorsitz bei allen ÖBAG-Beteiligungen angestrebt. „Ich hätte das für Wahnsinn erachtet“, sagte Kurz.

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Strafrechtsexperte im Interview

Zweiter Akt mit Auftritt Kurz im Prozess wegen Falschaussagen

Auch die Nachricht vom Tod des ehemaligen Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek spielte kurz in die Verhandlung hinein. Nach einer Pause erwähnte Kurz, dass er gerade eben von dem tragischen Ereignis gehört habe. Er fügte hinzu, dass er am Donnerstag noch „mit Pilnacek telefoniert“ habe. Pilnacek soll mit Kurz wegen des laufenden Prozesses immer wieder in Kontakt gewesen sein.

Kurz’ Anwalt Otto Dietrich kündigte nach der Befragung des Richters an, dass sein Mandant Fragen der WKStA nicht beantworten werde. „Es ist sehr bedauerlich, dass Ihnen Aufklärung nicht am Herzen liegt“, meinte Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic nach der aus diesem Grund recht kurzen Befragung des Beschuldigten.

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Das war der erste Prozesstag

Ex-Kanzler Kurz plädiert auf Freispruch, aber Diversion für Vertraute Glatz-Kremsner

Neben Kurz ist wegen desselben Delikts sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli angeklagt. Bonelli wird am Montag befragt.

Nicht mehr auf der Anklagebank sitzt Ex-Casinos-Vorsitzende und frühere Stellvertreterin von Kurz in der ÖVP Bettina Glatz-Kremsner. Auch sie war wegen des Delikts der Falschaussage angeklagt. Glatz-Kremsner nahm das Angebot einer Diversion wahr. Die Verteidigung von Kurz und Bonelli wurde am Mittwoch von Glatz-Kremsners Strategie überrascht.

🔴Der zweite Prozesstag im Live-Blog Rückblick: