Großeinsatz in Norddeutschland

Geiselnahme in Hamburg beendet: Vierjährige Tochter des Bewaffneten konnte befreit werden

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Der Hamburger Flughafen war nach dem Eindringen eines Fahrzeugs auf das Gelände am Samstagabend gesperrt worden. Ein bewaffneter Mann hielt seine Tochter als Geisel. Die Vierjährige konnte aus den Fängen ihres Vaters befreit werden.

Hamburg – Dramatische Szenen am Hamburger Flughafen: Ein Mann hat nach Angaben der deutschen Bundespolizei am Samstag gegen 20.00 Uhr mit einem Auto ein Tor durchbrochen, ist auf das Vorfeld des Airports gefahren und hat in die Luft geschossen sowie mit "einer Art Molotowcocktails" geworfen. Der Mann hatte seine vierjährige Tochter mit im Auto – vorausgegangen war laut Polizei wohl ein Sorgerechtsstreit mit der Mutter. Der Flughafen war geschlossen worden, Dutzende Flüge mussten gestrichen werden.

Am frühen Sonntag teilte der Flughafen mit, dass der Flugbetrieb wegen der Geiselnahme auf unbestimmte Zeit eingestellt bleibe. "Es kommt zu Flugstreichungen und Verzögerungen über den gesamten Tag", teilte der Flughafen weiter mit. Die Polizei bat darum, dass Fluggäste vorerst nicht zum Flughafen anreisen. Für den gesamten Tag waren laut Airport eigentlich 286 Flüge – 139 Abflüge und 147 Ankünfte – mit rund 34.500 Passagieren geplant.

Auf der Homepage des Wiener Flughafens etwa wurde ein Austrian-Flug aus Hamburg, der am Samstagabend um 21.40 Uhr hätte eintreffen sollen als "verspätet" geführt. Zwei Flüge der Austrian bzw. von Eurowings mit regulärer Ankunftszeit in Wien um 11.15 Uhr bzw. um 20.15 Uhr finden demnach am Sonntag definitiv nicht statt. Auch die Abflüge von Schwechat nach Hamburg um 7.20 Uhr mit der AUA und einer um 20.55 Uhr mit Eurowings wurden gestrichen.

Verhandlungen mit Geiselnehmer erfolgreich

Die Hamburger Polizei verhandelte die ganze Nacht mit dem Mann. Mit dem vermutlich 35-Jährigen wurde auf Türkisch verhandelt, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün. Dass sich die Gespräche so lange hinzogen, bewertete sie positiv: "Das ist ein absolut gutes Zeichen", betonte sie. "Er ist uns zugewandt. Er will mit uns sprechen und das bewerten wir erst einmal als sehr positiv." Nach mehr als zwölf Stunden konnte die Geisel, seine vierjährige Tochter, befreit werden. Das von dem 35 Jahre alten Mann als Geisel im Auto festgehaltene vierjährige Mädchen ist allem Anschein körperlich unversehrt.

Sorgerechtsstreit als mögliches Motiv

Die Ehefrau des Mannes, die sich in Stade bei Hamburg aufgehalten haben soll, hatte sich zuvor wegen möglicher Kindesentziehung bei der Landespolizei gemeldet, wie der Sprecher der Bundespolizei sagte. "Wir gehen derzeit davon aus, dass ein Sorgerechtsstreit Hintergrund des Einsatzes ist", twitterte die Hamburger Polizei kurz vor Mitternacht.

Levgrün sagte Sonntagfrüh, die Mutter sei mittlerweile in Hamburg in der Nähe des Flughafens. Man gehe davon aus, dass der Vater der Mutter das Kind "weggenommen" und möglicherweise unter Gewalteinwirkung ins Auto gesetzt habe, bevor er nach Hamburg und dort auf das Rollfeld des Flughafens fuhr.

Der Flughafen wurde noch am Samstagbend weiträumig gesperrt, die beiden Terminals geräumt. Alle Passagiere in den Flugzeugen wurden aus den Maschinen geholt und in einem nahe gelegenen Flughafenhotel untergebracht. Insgesamt 3.200 Passagiere seien betroffen gewesen, sagte ein Polizeisprecher.

27 Flüge betroffen

Der Flughafen Hamburg ist wegen des Eindringens eines Autos auf das Vorfeld weitgehend geräumt. „Der Flughafen wird geräumt und ist es größtenteils auch schon“, sagte eine Flughafensprecherin am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Es seien auch mehrere Maschinen bereits geräumt worden.

Auf der Homepage des Flughafens hieß es am Abend: „Aufgrund einer bundespolizeilichen Maßnahme sind zurzeit keine Starts und Landungen möglich.“ Die Airport-Sprecherin sagte, von der offiziellen Sperre des Flughafens um 20.24 Uhr bis Betriebsschluss um 23.00 Uhr wären normalerweise sechs Starts und 21 Landungen erwartet worden.

Die erwarteten Flüge kämen unter anderem aus Hurghada, Agadir, Malaga oder Lissabon, hieß es. Teilweise seien sie bereits umgeleitet worden, teils seien Flüge gestrichen worden. Wie es mit dem Flugverkehr weitergehe, hänge von der Einsatzlage ab, sagte die Sprecherin.

Eine junge Frau, die am Samstagabend nach Mallorca fliegen wollte, sagte der Deutschen Presse-Agentur: Sie habe ein Feuer gesehen und erst gedacht, das werde schnell wieder gelöscht. Dann habe sie gehört, es gebe einen Amoklauf, das sei schon gruselig gewesen. Tatsächlich hatte der bewaffnete Mann bei seiner Fahrt auf dem Flughafen heraus Brandflaschen geworfen, die auf dem Vorfeld Feuer auslösten.

Die Polizei hatte kurz vor Mitternacht keine Erkenntnisse, dass jemand verletzt worden ist. Die Polizei sah zu dem Zeitpunkt auch keine akute Gefährdung von Dritten mehr. Das Flugzeug der Turkish Airlines, unter dem der Mann sein Auto abgestellt hatte, wurde geräumt, wie ein Polizeisprecher der dpa sagte. Es gebe keine Gefährdung Unbeteiligter mehr.

Flughafen sieht keine Sicherheits-Versäumnisse

Der Flughafen Hamburg sieht trotz der Geiselnahme auf dem Vorfeld des Airports keine Versäumnisse bei der Sicherung des Geländes. „Die Sicherung des Geländes entspricht allen gesetzlichen Vorgaben und übertrifft diese größtenteils“, sagte eine Flughafensprecherin am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Dennoch könne bei der Größe des Flughafens – sie entspreche fast 800 Fußballfeldern – nicht ausgeschlossen werden, „dass ein hochkrimineller, unbefugter Zutritt zum Sicherheitsbereich mit brachialer Gewalt erfolgen kann“.

Um die Sicherheit des Luftverkehrs zu gewährleisten, sind neben baulichen Maßnahmen auch Alarmketten etabliert, die einwandfrei gegriffen haben.
Sprecherin Flughafen Hamburg

Der Flugbetrieb sei sofort nach dem unbefugten Zutritt eingestellt und der Täter lokalisiert worden. „Nähere Angaben zu sicherheitsrelevanten Details sind nicht möglich“, erklärte die Sprecherin.

Bereits im Oktober war der Hamburger Flughafen gesperrt worden, damals allerdings wegen einer Anschlagsdrohung auf eine Maschine von Teheran nach Hamburg. Im Juli hatten Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation den Hamburger Flughafen für Stunden lahmgelegt. Der Flugbetrieb musste für mehrere Stunden aus Sicherheitsgründen eingestellt werden. Tausende Passagiere, darunter viele Familien mit Kindern, waren betroffen.

Nach Angaben der Flughafensprecherin hat die Analyse des Vorfalls mit den Aktivisten der Letzten Generation – sie hatten sich durch den Außenzaun geschnitten und waren dann mit Fahrrädern auf das Rollfeld gelangt – keine neuen Erkenntnisse gebracht. „Es liegen noch keine neuen Anforderungen für Einrichtungen der kritischen Infrastrukturen vor“, sagte die Sprecherin. Derzeit teste der Flughafen neue Kamera- und Zaunsensorik-Systeme. „Zudem wurde die Bestreifung der Zaunanlage durch Sicherheitskräfte nachhaltig erhöht.“ (APA, dpa)